laut.de-Kritik
Die Wüste bleibt kahl.
Review von Franz Mauerer"Feuilletonliebling" ist ein Label, weil die Menschen halt Label mögen und Musikfans mögen Label (Genres) natürlich erst recht. Aber es gibt Musiker, bei denen muss man in dogmatischer Subjektivität einfach feststellen, dass sie nicht "nur" beständig hochqualitativ liefern, sondern ihrem Werk dabei eine Authentizität bewahren, die nie gewollt wirkt, stets vom Kern ausgeht und doch weit ausgreift. Nick Caves Karriere basiert unter anderem auf dieser Einzigartigkeit, Converge, Wovenhand, Future Islands und Red Hot Chili Peppers wären weitere Vertreter dieser elitären Truppe.
Protomartyr tragen dieses Label auch und zwar quasi seit Beginn ihrer Karriere. Obwohl der Stil, um Sänger Joe Caseys lyrischen wahlweise distanzierten oder erhabenen Sprechgesang zentriert, sehr speziell ist und nur entfernt mit Baxter Dury, Scott Lavene und in seiner Härte mit Shellac zu vergleichen ist, waren alle Alben bislang hochunterhaltsame Angelegenheiten.
Nun liegt mit dem wie gewohnt exzellent benannten "Formal Growth In The Desert" die neue Scheibe vor, und deren Beginn und Single "Make Way" wiegt uns etwas in trügerischerer Sicherheit, denn so melodisch geht es gar nicht oft zu. "Make Way" ist ein typischer Protomartyr-Song, der im Vergleich zur jüngeren Vergangenheit nur etwas Western-twangig in den Gitarren ausfällt, sonst von der wunderbaren Verschiebung zwischen Caseys Vortrag und der Gitarrenwand genau so sorgsam und organisch konstruiert, wie man es kennt.
Nachdem die Apokalypse als katharsisches Reinemachen besungen wurde, folgt thematisch passend das dystopische "For Tomorrow", mal wieder eine "Hymne" auf Detroit und einer der besten Songs der Bandgeschichte. Höchstmelodisch, ab Sekunde null mitreißend und genau in dem Moment, in dem man doof mittanzen möchte, schon wieder ganz woanders. Zwar gibt es hier zarte Keyboard-Begleitung – es bringt halt was, die tolle Kelley Deal zumindest auf Tour mitzunehmen – ansonsten wird hier aber auch wieder ganz konservativ die Suppe angerührt, zumal beim stampfenden Ende. Aber halt auf einem Niveau, bei dem das Schwein pfeift beziehungsweise die Wüste inkrementell wächst.
"Elimination Dances" wirkt schon auf den ersten Blick wie ein Song, der nur eben dem standhält und es an Tiefe mangeln lässt. Zu offen liegt die eine Idee in der Wüstensonne, die genau dann an Kraft aufnimmt, als der Song auch endet. Auch "Fun In Hi Skool" erschließt sich nicht so recht, auch beim mehrfachen Durchhören. Allerdings wartet dieses Lied mit einem schmissigen letzten Drittel auf, das die Handbremse aber auch nicht recht löst. Beide Songs, seltsamerweise Singles, geraten etwas arg artsy. Allerdings liefern beide textlich im allerhöchsten Regal ab, selbst Conrad Keely schrieb nie so herrliche Zeilen wie "Athletic amateurs will damage you / If you say the wrong thing / Too bad you haven't said a good thing / Since the drought of '83" und "I was sucking on a rubber ear/ For your and my amusement / Terms of service, they ain't so clear / Pale youth is my replacement", die beide im Songkontext sogar Sinn ergeben.
"Let's Tip The Creator" fehlt es leider an so ziemlich allem, eine fade Nummer, zusammengesetzt aus von der Band altbekannten Versatzstücken und ohne jede Dynamik; ein unnötiger Filler. "Graft Vs Host" macht es besser und überzeugt nicht zuletzt dank Caseys gesanglicher, authentisch zögerlicher Leistung, die dem Song emotionale Fallhöhe verleiht, wenn der Amerikaner über einer eleganten Drumroll von seiner Mutter singt. Mit "3800 Tigers" hat sich der Baseball-Fan Casey tatsächlich einen Detroit Tigers-Song zurechtgeschnitzt, der dank Bassist Davidson überdurchschnittlich ausfällt und nicht in den Quatsch abgleitet.
"Polacrilex Kid" treibt Nikotinentzug weit ins Existenzialistische: "Can you hate yourself and/ Still deserve love?" Aus der flotten Grundidee, die auf einer Schlagzeugfigur von Leonard basiert, entwickelt sich diesmal ein ernstzunehmender, komplexer Song im Banddurchschnitt. "Fulfillment Center" erreicht diesen nicht, dafür fallen Thema und Musik zu faul aus. Der Song ist vorbei, bevor man ihn so recht bemerkt. "We Know The Rats" handelt davon, dass Casey sein Elternhaus aufgrund der grassierenden Kriminalität in Detroit verlassen musste. Zum Schluss des Tracks lässt die Band die eigentlich von ihr gewohnten komplexen Verschiebungen im Sound und das so passgenaue Zusammenspiel der einzelnen Teile erahnen.
Normalform erreicht die Band erst wieder mit "The Author", bezeichnenderweise geht es erneut um Caseys Mutter. Die Dramatik, das wohlig Erdrückende im Sound sind hier zurück und Casey zitiert gewohnt optimistisch seinen alten Pfarrer: "Time's your enemy / Every gift you see will be taken for sure". Für die letzte Minute dieses wundervollen Liedes würden viele Songwriter ihre linke Hand hergeben. Mit "Rain Garden" zeigen die vier erneut scheinbar mühelos, zu welchen Epen sie in der Lage sind. "Rain Garden" ist ein seelenloser Parkplatz hinter Coney Island, in dem Casey beim "Genuss" eines Signature-Getränks von Taco Bell die Erkenntnis kam, dass er Liebe verdiene. Damit hat er recht, wir Hörer verdienen im Übrigen mehr Songs wie diesen.
"Formal Growth In The Desert" ist das schwächste Album einer tollen Band. Die Messlatte war hoch, der Druck angesichts der devoten Anhängerschaft aber nicht. Diese Platte kann gegen ihre Vorgänger nicht anstinken, sie wirkt in der Konzeption ungar. Sollte es eine Rückbesinnung auf die Zeit des Erst- und Zweitlings werden? Warum wurde das Wüstenbild nicht konsequenter durchgezogen? Stattdessen bietet sich dem Hörer ein Potpourri mit B-Seiten-Charakter, auf dem einzelne hellstrahlende Diamanten (die als EP mindestens 4 Sterne verdient hätten) nicht darüber hinwegtäuschen können, dass weite Teile dieses Albums schlicht fad und eindimensional sind; eine völlig neue Erfahrung von Protomartyr, die im Herbst übrigens nach Deutschland kommen.
1 Kommentar mit einer Antwort
Das Album wächst, ich fand es erst auch nicht so dolle, aber ich sehe es nicht als schwächste Platte der Jungs.
Sehe ich genauso. Bei mir sind oft gerade die Alben die nicht sofort zünden diejenigen, die ich immer wieder auflege. Für mich eines der bisherigen Jahreshighlights.