3. Februar 2015

"Ein Wort sagt mehr als tausend Bilder"

Interview geführt von

Nachdem sie am 26. Januar in Bremen ein Konzert gegeben haben, das der NWR im Radio live ausgestrahlt hat, erholen sich die Punch Brothers beim Buffet in ihrem Zimmer im Hamburger Hyatt Hotel.

Die Stimmung ist prächtig, schließlich war der Auftritt gut und die Reaktionen auf das gerade veröffentlichte vierte Album "Phosphorescent Blues" durchgehend positiv. Etwas abseits macht es sich Sänger und Mandolinspieler Chris Thile auf dem Sofa gemütlich und beantwortet engagiert alle Fragen. Aus dem Hintergrund geben die anderen Mitglieder ab und an einen Kommentar ab.

Wie immer habt ihr euch viel Mühe mit der Verpackung eurer Musik gemacht. Guter Druck, ein schöner Pappschuber und ein ansprechendes Cover.

Wir haben ewig gesucht, bis wir das richtige Bild hatten. Schließlich haben wir dieses Gemälde von Rene Magritte gewählt. Ein verhüllter Mann und eine verhüllte Frau, die sich nicht sehen können, aber trotzdem versuchen zu kommunizieren. Das bringt dich zum Nachdenken. Heutzutage sehen wir es als selbstverständlich an, dass wir jederzeit mit jemandem in Verbindung stehen können. Doch eine Verbindung ist nicht nur eine zeitlich begrenzte Angelegenheit, sondern etwas Immerwährendes. Mein Eindruck ist, dass zwischenmenschliche Kommunikation immer schwächer wird, je weiter die technologischen Möglichkeiten fortschreiten. Das ist eines der Themen dieses Albums.

Ist dieses Tendenz in den USA besonders ausgeprägt oder weltweit zu beobachten?

In den USA mag sie ausgeprägter sein als anderswo, doch ist sie eher global, wie auch die Technologie. Viele der Texte sind aufgrund von Diskussionen innerhalb der Band entstanden und ich habe den Eindruck, dass die Menschen, mit denen ich darüber rede, auch denselben Eindruck haben.

Andererseits liefert die Technologie auch Möglichkeiten. Wenn du auf Reisen bist, kannst du ein Foto machen und denen schicken, die nicht dabei sind. Das erspart lange Telefonate und sagt auch viel aus.

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, wie es so schön heißt. Aus meiner Sicht ist es mittlerweile aber eher andersrum. Denn Geschichten erlauben es deiner Fantasie, abzuheben. Du gehst zum Beispiel fischen, ziehst ein Prachtexemplar aus dem Wasser, machst ein Foto davon, das ein paar Quadratzentimeter groß ist, und verschickst es. Fertig. Eine zweidimensionale Darstellung, aufs Äußerste reduziert. Früher hättest du eine Geschichte dazu erzählt, der Fisch wäre bei jeder Wiederholung größer geworden und die Story drum herum ausgefeilter. Ich fürchte, dass uns diese Auseinandersetzung mit den eigenen Erfahrungen zunehmend fehlt. Die Geschichte bleibt immer dieselbe, ohne Reflexion, ohne Weiterentwicklung. In diesem Sinne sagt ein Wort mehr als tausend Bilder.

Technology won't save us, um einen Albumtitel zu zitieren?

Ja, Technologie wird uns nicht retten, aber sie wird uns auch nicht zerstören. Letztendlich ist es nicht anders als bei der Einführung des PCs, von Radio, Fernsehen, oder Elektrizität bis hin zum Rad. Bei dieser Technologie sind wir noch Babys, die das Laufen lernen, die menschliche Komponente wird sich aber auch diesmal wieder durchsetzen. Zumindest, solange wir die Welt nicht zerstört haben.

Das könnte durchaus sein. Hoffen wir mal, dass es die Welt es noch eine Weile mit uns aushält, denn euer neues Album hat es verdient, lange angehört zu werden. Es besitzt ein Prädikat, das nur wenige Alben haben – es klingt zeitlos.

Danke!

"Vinyl ist eine andere Welt ..."

Es beginnt gewagt, mit einem 10-minütigen Stück, das aus drei fast schon separaten Teilen besteht. Als ich es zum ersten Mal gehört habe, ist mir "A Day In The Life" der Beatles in den Sinn gekommen, das Stück, das "Sgt. Pepper's" abschließt. Nicht musikalisch, aber vom Aufbau und vom Sinn her. Auch hier geht es um verschiedene Momente im Leben einer Person, die beispielhaft für die Gesellschaft oder unsere Zeit stehen. Erst verträumt, dann hektisch, schließlich im Rückblick eher ruhig.

Deine Interpretation gefällt mir sehr gut.

Auf diese Weise ist auch das gesamte Album aufgebaut, wobei die drei Phasen durch eure Interpretation klassischer Kompositionen von Debussy und Scriabin getrennt werden. Im mittleren Teil setzt ihr sogar Schlagzeug und Perkussionen ein, was ihr bislang noch nie getan habt. Zum Schluss wird es dann eher nachdenklich.

Ich mag es sehr, wenn ein Album nicht abrupt aufhört, sondern so etwas wie ein offenes Ende besitzt. Das Album öffnet ein Fenster in eine anderes Universum und du als Hörer kannst entscheiden, ob du in diese Welt hineintreten willst oder nicht. Bei all meinen Lieblingsalben ist das so, etwa bei "Sgt. Pepper's", "Kid A" von Radiohead oder Debussys Streichquartett. Der Zugang ist zeitlich begrenzt, die Länge des Albums eben, aber immer verfügbar. Ob unserem Album das auch gelingt wird sich zeigen, jedenfalls bin stolz drauf, dass der Schluss eher eine Rampe bildet als ein Ende.

Du nimmst ja ungefähr 55 Alben im Jahr auf. Da bleibt vermutlich wenig Zeit, in aller Ruhe Stücke zu schreiben. Diesmal habt ihr euch tatsächlich mehrmals zusammengesetzt, um zu komponieren und zu texten, bevor ihr ins Studio gegangen seid. Ich finde, das hat dem Album sehr gut getan.

Das stimmt. Älteren Platten von uns klingen ausgesprochen real. Ein toller Aspekt des Aufnehmens ist ja, Dinge zu erschaffen, die gar nicht existieren, die der Phantasie entspringen. Das ist der große Unterschied zu einem Liveauftitt, wo tatsächlich das geschieht, was man sieht und hört. Wir hatten bislang unsere Tätigkeit als Band eher dokumentiert. Diesmal haben wir uns gesagt: Wie klingt der Song in unserer Vorstellung? Versuchen wir doch, diesen Sound zu finden, unsere Phantasie einzusetzen.

Wir hatten diesmal viel mehr Zeit als sonst. Wir haben mehr Aufwand ins Schreiben als ins Einüben der Stücke gesteckt. Das war ein Novum, denn wir wollten diesmal die Energie einfangen, die zu hören ist, wenn man ein Stück die ersten Male spielt. Als wir ins Studio gegangen sind, war also tatsächlich nicht schon alles so gut wie fertig. Wir konnten noch viel anpassen oder ändern.

In der Tat sind auch die Pausen, die Augenblicke der Ruhe Bestandteil dieses Album. Man spürt förmlich den Raum, in dem sich die Musik entfaltet. Das kriegt man vermutlich nur hin, wenn man sehr sorgfältig Instrumente und Mikrophone aufstellt und abstimmt.

Unser Fiddle-Spieler Gabe Witcher hat sich da viele Gedanken gemacht und viel Zeit reingesteckt. Das hat zum Teil Stunden gedauert. Er liebt so was. Ich dagegen hatte das Studio bis dahin immer als das notwendige Übel angesehen, um unsere Musik herauszubringen. Ich muss zugeben, dass ich da nicht sehr geduldig bin, nach dem Motto, jetzt geht's los und fertig. Aber ich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden, denn, wie du sagst, man spürt den Raum. Dazu besteht jedes Stück aus Klangschichten, die sich einzeln abschälen lassen, wenn man es als Hörer so möchte. Es war einfach die Platte, die wir endlich mal machen mussten.

Diese Suche nach dem Klang hat ja teilweise groteske Züge angenommen. Rolling Stones, Led Zeppelin oder Deep Purple haben Anfang der 70er Jahre Anwesen gemietet, mit großem Aufwand verkabelt und ihre Instrumente von einem Zimmer ins nächste geschoben, nur um einen bestimmen Klang oder Hall zu finden. Das macht ihre besten Platten auch aus – sie bestehen nicht nur aus dem, was du bewusst hörst. Natürlich hatten sie auch andere finanzielle Mittel.

Das waren die glorreichen Tage. Doch der Grund, Musik aufzunehmen, hat sich nicht geändert: Etwas Besonderes zu schaffen. Das ist, wie gesagt, der große Unterschied zur Livemusik, die natürlich auch toll ist. Aus finanzieller Sicht habe ich kein Problem damit, dass Menschen Musik kostenlos hören. Mir ist es wichtiger, dass sie dabei eine besondere Erfahrung machen. Wenn ich etwas aufnehme ist meine höchste Priorität, dass sich es so viele Menschen wie möglich anhören. Das Problem ist allerdings, dass diese Erfahrung dadurch beeinträchtigt wird, dass sie nichts gekostet hat. Wenn du 15 Dollar für eine Platte bezahlt hast, setzt du dich hin um herauszufinden, ob sie ihr Geld wert war. Das ist heutzutage schwierig.

Und es wird vermutlich nicht einfacher werden.

Die Budgets werden immer kleiner. Wir sind unserem Label sehr dankbar, dass es uns auch finanziell die Möglichkeit gegeben hat, unseren Gedanken freien Lauf zu lassen. Wie lange wird das noch möglich sein? Viele denken, "och, da ist mal wieder ein Haufen verwöhnter Musiker, die nur herumjammern, weil sie sich ein noch größeres Haus kaufen wollen". Mir geht es aber darum, dass Musik, die ordentlich in einem Studio aufgenommen wurde, gefördert wird. Natürlich besteht da kein direkter Zusammenhang. Man könnte sogar sagen, dass die furchtbarsten Platten, die je aufgenommen wurden, die mit den höchsten Budgets waren. Doch es muss ein Weg gefunden werden, um mit Musik Geld zu verdienen, ansonsten sehe ich schwarz.

Um zum besonderen Klang zurück zu kommen – ich freue mich auf die Vinyl-Version, die erst sechs Wochen nach der CD veröffentlicht wird.

Das ist gut, denn wir sind sehr stolz auf die Vinyl-Version. Wir haben ja analog auf Band aufgenommen und auch analog abgemischt, also kriegst du dann die volle Dröhnung. Die CD ist ok, mp3 wie immer unterirdisch, aber Vinyl ist eine ganz andere Welt.

"Wir lieben alle, die Musik lieben."

Eines euren vielen anderen Projekte in den letzten Jahren war der Film "Inside Llewyn Davis" und das Konzert in New York mit dem Titel "Another Day, Another Time", bei dem neben dem Soundtrack auch viele andere Folk-Stücke gespielt wurden, von einer mit Stars gespickten Liste an Musikern. Ihr habt das Konzert eröffnet und viele von ihnen begleitet. Hat bestimmt Spaß gemacht.

Ja, hat es. Es war nicht nur auf der Bühne eine Party, sondern auch dahinter, denn es gab die unwahrscheinlichsten Jam Sessions und Leute, die panikartig herumrannten und brüllten, "hey, ihr müsst sofort auf die Bühne! In einer Minute seid ihr dran!". Die Generalprobe am Morgen war allerdings eine Katastrophe. Wir konnten es kaum glauben, dass es am Abend dann so gut lief.

Die vielen alten Hasen wissen, wie es geht, oder? Ein Auftritt, der mich besonders berührt hat, war der von Joan Baez, bei dem sie auch "Joe Hill" gesungen hat. Genau das Stück, mit dem sie im Soundtrack zum Woodstock Festival 1969 zu hören ist.

Ja, wirklich. Es war schon etwas Besonderes, mit all diesen Musikern zusammen zu spielen.

Für Soundtrack und Konzert zeichnete T Bone Burnett verantwortlich, der auch euer Album produziert hat. Welche Rolle hat er auf "Phosphorescent Blues" gespielt?

Zweifellos eine große. Erstmal hat er viel Ruhe reingebracht. Ich und die anderen Jungs sind sehr leidenschaftlich, denn das, was wir tun, liegt uns sehr am Herzen. Jeder möchte seinen Beitrag leisten, was manchmal dazu führt, dass wir nicht unser Bestes geben. Es ist wie bei einem Athleten, der im entscheidenden Moment zu angespannt ist, um seine volle Leistung abrufen zu können. Bei T Bone fühlt man sich wie in einem ruhigen Hafen, vereint durch das gemeinsame Ziel, gute Musik zu erschaffen. Außerdem kann er außerordentlich gut Gedanken vermitteln und ebenso gut zuhören. Nicht nur, was die gespielte Musik betrifft, sondern auch, was du darüber zu sagen hast. Schließlich schafft er es, voll im Augenblick aufzugehen und sich mitreißen zu lassen, ohne das große Ganze zu vergessen.

Nur ein Beispiel: Wir arbeiteten am letzten Stück, "Little Lights". Er kam zu uns sagte, "OK, wir sind fertig, das war's". Wir waren nicht einverstanden, weil wir das Gefühl hatten, es fehle noch etwas. Wir wollten also noch mal eine Version aufnehmen. Er meinte nur: "Wir lassen es ein paar Tage liegen und hören es uns wieder an. Wenn ihr dann wollt, nehmen wir es noch mal auf. Doch ist 'besser' manchmal ein Feind von 'gut'". Und so war es: Wir gingen ins Studio mit der Überzeugung, den Song noch mal aufnehmen zu müssen, hörten ihn uns aber erst an und dachten "wow, genauso wollten wir ihn haben". Ohne T Bone hätten wir wahrscheinlich weiter an ihm gearbeitet und wären technisch besser, aber nicht so wirkungsvoll gewesen.

Eine weitere Besonderheit dieses Stücks ist der Chor. Der besteht aus den Stimmen von Fans, die ihr auf eurer Webseite gebeten habt, einen Text aufzusagen. Ihr schreibt, dass ihr etwa 1.000 Beiträge erhalten habt.

Ja, das stimmt, und wir haben tatsächlich die meisten von ihnen verwendet. Das war wieder eine Idee von Gabe Witcher. Wir wollten das Album mit einem Gesang beenden, wie er entsteht, wenn das Publikum bei einem unserer Konzerte mitsingt. Wir haben es selbst versucht, indem der eine hoch, der andere tiefer gesungen hat und wir die Spuren übereinander gelegt haben, aber das hat sich eben nur nach fünf Typen angehört, die so klingen möchten wie ein Publikum.

Werdet ihr jemals kommerziellen Erfolg haben? Oder gar auf Platz 1 der Charts landen?

Das ist eigentlich nicht das, worauf wir aus sind. Klar, wir nehmen jeden auf, der zu unseren Konzerten kommen will. Unsere Arme sind offen und sie sind ziemlich breit. Wir lieben alle, die Musik lieben. Und wir möchten Musik machen, die sie lieben. Der Punkt ist allerdings: Wir machen Musik, die wirklich angehört werden muss.

Qualität und kommerzieller Erfolg schließen sich aber nicht aus. Ich denke da an eine andere Platte, die T Bone Burnett produziert hat, "Raising Sand" von Alison Krauss und Robert Plant, die 2009 fünf Grammys abgeräumt hat.

Und sich millionenfach verkauft hat. Ja, sag niemals nie.

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