10. Juni 2013

"Stefan Raab? Wer?"

Interview geführt von

Zwei Jahre nach ihrem bis dato erfolgreichsten Album "Endgame" lehnen sich die vier rebellischen Hardcore-Punks entspannt zurück und lassen Vergangenes die Arbeit tun. Denn mit der Veröffentlichung von "RPM10" feiern die Mannen aus Chicago das zehnjährige Jubiläum ihrer "Revolutions Per Minute".Das Monster Bash-Festival steht seit Jahren für beste Hardcore- und Punk-Unterhaltung. Wie schon in den vergangen Jahren trafen sich wieder zahlreiche Speerspitzen der Szene, um ordentlich einzuheizen. Pennywise, Flag, Less Than Jake, Millencollin und viele andere spielten sich Ende April in München und Berlin die Finger wund, um für reichlich schweißgetränkte Shirts und blaue Flecken vor den Bühnen zu sorgen.

Mit Rise Against konnten sich die Veranstalter ein besonders vielversprechendes Zugpferd angeln, schließlich landete das letzte Album des amerikanischen Quartetts 2011 mal eben so im Vorbeigehen in der Pole Position der deutschen Longplayer-Charts. Dementsprechend groß war natürlich der Presseandrang im Vorfeld, sodass sich die Band-Verantwortlichen letztlich dazu entschieden, das 'Interviewfenster' so übersichtlich und klein wie nur möglich zu halten, um den straff gestrickten Zeitplan während des Festivals nicht zu gefährden. Wir sind zum Glück dabei und treffen in Berlin auf einen gutgelaunten Joe Principe

Hi Joe, ein unglaubliches Line-Up, zwei nahe nebeneinanderliegende Konzerthallen, schönes Wetter und massenhaft Fans mit hohen Erwartungen: Toll, oder?

Joe: Ich fühle mich großartig. Wir sind allesamt gut drauf und freuen uns schon tierisch auf die Show nachher. Ich meine, guck dich mal um, es ist jetzt 16 Uhr und da unten (wir sitzen in der obersten Etage der Columbiahalle) springen schon hunderte Kids umher, die einfach nur Lust auf eine gute Zeit haben. Das ist einfach super.

Schaust du dir vorher noch andere Bands an? Oder bist du eher der Typ Musiker, der sich auf einem Festival bis kurz vor der eigenen Show lieber Backstage einkaserniert?

Eigentlich bin ich schon jemand, der gerne rausgeht. Aber es hängt natürlich auch immer von den gegebenen Umständen ab.

Wie sind denn die Umstände hier in Berlin?

Es läuft alles reibungslos. Die Location ist geil, und die Leute sind nett. Wir wurden hier mit offenen Armen empfangen. Das macht natürlich vieles einfacher. Auch das Billing ist fantastisch. Als Punk-Fan kann man da wirklich nicht meckern. Außerdem kommt es mir auch vor wie ein zufälliges Familientreffen, denn ich habe heute schon Bands und Musiker getroffen, die ich schon seit Jahren kenne, aber lange Zeit nicht mehr gesehen habe. Da müssen wir erst extra nach Berlin fliegen. (lacht)

Ich bin kurz vor unserem Treffen durch den Backstagebereich geführt worden. Dort standen nahezu alle Türen offen, egal ob es sich um das Quartier von Lagwagon, Pennywise oder Millencollin handelte. Gibt es vor einem derart großangelegten Event keinerlei Hahnenkämpfe untereinander?

Nein, nicht wirklich. Die meisten Bands hier sind schon so lange unterwegs, da kommt es nur ganz selten zu territorialen Kämpfen. (grinst) Viele Bands haben auch schon oft miteinander gespielt, sodass man bei dem ganzen familiären Gewusel manchmal gar nicht mehr so richtig weiß, wer denn jetzt zu wem gehört. Das kann bisweilen auch anstrengend werden – vor allem immer dann, wenn bestimmte Termine eingehalten werden müssen.

Gelegentlich sitzen dann Mitglieder von unterschiedlichen Bands stundenlang irgendwo in einer Ecke rum und quasseln über die guten, alten Zeiten, während sich die anderen irgendwelche Ausreden einfallen müssen, um die wartende Journaille zu besänftigen. Aber letztlich ist mir dieser Zustand wesentlich lieber, als verbarrikadierte Backstageräume, haufenweise Security und stupides Gockelgehabe. Ich habe gehört, dass so etwas wohl öfter in Kreisen vorkommen soll, in denen Bands und Musiker mehr Kohle anhäufen, als sie in drei Leben ausgeben können. Solche Leute triffst du im Punk- oder HC-Bereich eher selten. (lacht)

"Wir besitzen keine drei Häuser mit Fuhrparks und Pools"

Wenn ich mir allerdings die Erfolgsgeschichten der letzten beiden Rise Against-Alben angucke, dann würde ich behaupten …

Ja, ich weiß, worauf du hinaus willst. Am Hungertuch nagen wir sicherlich nicht mehr. Aber wir besitzen auch keine drei Häuser mit Fuhrparks und Pools – das ist schon ein Unterschied. Wir leben gut, aber wir befinden uns trotzdem mittendrin in der Gesellschaft, was man von Leuten, die mit Kohle nahezu überschüttet werden, oftmals nicht mehr behaupten kann.

Lass uns lieber über die musikalische Bedeutung eurer bisherigen Werke sprechen. Euer letztes Album war zwar das erfolgreichste bisher, aber das musikalisch wichtigste Album für euch trägt einen anderen Namen, oder?

Ja, das ist richtig. Die Veröffentlichung von "RPM10" hat einen ganz besonderen Stellenwert. Mit diesem Album schufen wir damals die Basis für alles, was folgte. Zu dieser Zeit fanden wir uns als Band und wuchsen zusammen. Es war auch das erste Mal, das Tim und ich zusammen Songs schrieben.

Euer damaliger Produzent Bill Stevenson schwärmt heute noch in den höchsten Tönen, wenn es um die Zeit der Aufnahmen für "Revolutions Per Minute" geht. Was schießt dir als erstes in den Kopf, wenn du zurückblickst?

Nur Gutes. (lacht) Nein, im Ernst: Es war wirklich eine tolle Zeit damals. Wir hatten alle diesen Hunger und diesen unbändigen Ehrgeiz etwas Großes zu schaffen. Wir waren alle unheimlich aufgekratzt und auch ein bisschen verunsichert, weil es unsere erste Produktion mit Bill war. Ich meine, dieser Typ ist eine Legende. Die Sachen die er für die Descendents und Black Flag geschrieben hat, höre ich auch heute noch rauf und runter. Und wenn dir dann Leute wie er oder Jason Livermore hinterher sagen, dass sie selten so viel Freude an der Arbeit eines Albums hatten, dann macht einen das schon ein bisschen stolz.

Was ich sehr gelungen und auch interessant finde, ist das 'Pimpen' des herkömmlichen Materials mit den jeweiligen Demoversionen der Songs.

Dadurch wird die ganze Energie des Prozesses noch mal perfekt eingefangen wird. Die Demos sind völlig unberührt. Sie wurden live eingeprügelt und ohne Overdubs archiviert. Und wenn ich mir dann das fertige Material anhöre, dann merke ich, dass wir relativ wenig verändert haben. Das hat man ja eher selten.

"Wir werden nächstes Jahr wieder ins Studio gehen"

Die meisten eurer Fans sehnen den Release herbei. Dennoch habe ich auch schon Stimmen gehört, die sich über ein komplett neues Album noch mehr gefreut hätten. Wie siehts dahingehend aus?

Wir haben noch nicht wirklich darüber gesprochen, aber ich denke, dass wir im nächsten Jahr wieder ins Studio gehen werden. Vielleicht setzen wir uns im Herbst zusammen und werfen alles auf einen Haufen, was sich bis dahin angesammelt hat.

Schreibst du schon an neuen Songs?

Oh, ja. Ich habe schon einige Ideen und Visionen gesammelt. Ich glaube, dass Tim auch schon Songs in der Warteschleife hat.

Ihr seid ja eine Band, die bekannt dafür ist, dass sie mit ihrer Meinung über die Missstände auf dieser Welt nicht hinterm Berg hält. Wenn du einen Wunsch frei hättest, was würdest du persönlich als erstes ändern oder abstellen wollen?

Das ist wirklich schwierig, denn es gibt so viel Leid und Ungerechtigkeit da draußen. Ich würde sagen: sinnlose Gewalt.

Gibt es denn sinnvolle Gewalt?

Sehr guter Einwand - natürlich nicht. Gewalt ist nie eine Lösung. Wir sehen zwar alle aus, wie Typen, die sich den halben Tag nur an die Gurgel gehen und anderen Leuten ans Bein pissen – aber das täuscht natürlich. Ich habe noch nie einen Menschen geschlagen.

Nicht einmal Stefan Raab?

Wen?

Den Moderator von TV Total - der Sendung, bei der ihr Anfang des Jahres das erste Mal überhaupt in eurer Karriere live im Fernsehen aufgetreten seid. Ich frage deshalb, weil Herr Raab hierzulande einen gewissen Ruf genießt, und ihr letztlich ja nicht komplett auf der Bühne standet, sondern lediglich Tim, der einen akustischen Song performte - und das, obwohl ihr nachmittags wohl noch im Kollektiv geprobt haben sollt. Was war da los?

Nun, wir hatten bis kurz vor der Show eigentlich auch vor, komplett aufzutreten. Bei den Proben lief alles noch reibungslos. Dann merkte Tim aber, dass sich seine Stimme zunehmend belegte. Wir wollten aber keinesfalls komplett absagen, also entschieden wir uns für den Song "Swing Life Away" in einer Akustikversion.

Ergo: kein Stress mit Herrn Raab?

Nein, absolut nicht. Der Typ war völlig in Ordnung. Die ganze Show war okay. Wir hatten uns auch wirklich auf den Auftritt gefreut, schließlich sollte es ja unsere Premiere vor laufenden Fernsehkameras werden.

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