laut.de-Kritik

80s-Pop zwischen Allmacht und Seelenstriptease.

Review von

Nach "Musik für Jugendliche" geht Rocko Schamoni den nächsten (un-) logischen Schritt. Der Fraktus-Mitbegründer und Studio Braun-Avantgardist findet die Allheiligkeit: "All ein" heißt sein inzwischen zwölftes Album. Statt des nostalgisch verklärenden Soft-Pop von 2019 setzt Schamoni nun auf Electronica, New Wave-Einflüsse und großen 80s-Appeal. Das Ergebnis ist ein Album, das nicht immer stimmig ist, sich aber natürlich auf Schamonis weiterhin glockenklare Knabenstimme und Begabung für wunderbar abseitig-melancholische Texte verlassen kann. Diese sind, trotz des quatschig-campigen Albumcovers immer noch der Grund, warum Rocko Schamoni, der Musiker, mehr ist als ein bloßer Abklatsch von Rocko Schamoni, dem Komiker.

Die Inszenierung als Außerirdischer, als rückkehrender Discoteer, ist für ihn bloße Fassade, ein Anzug, den er sich anzieht, um in der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie zu bestehen. Bei "Wenn Ihr Geht" muss man sich eigentlich nur eine etwas sanftere Gitarre hinzudenken und etwas weniger 80s-Synthesizer und zack, ist man bei "Musik Für Jugendliche". Stattdessen setzt Schamoni 2022 lieber auf wunderbar billig klingende Gitarren, die so klingen, als wären sie einem Italo-Disco-Producer geklaut worden. Es klingt wunderbar nach diesem seltsam-verworrenen Zukunftsentwurf der späten 70er, als nicht nur Kraftwerk mit Lochkarten-Computern vom Weltall träumten. Es knarzt an allen Ecken und Enden, als würde der Zuse Z3 den Twitter-Algorithmus berechnen wollen. Doch noch wichtiger als diese sympathisch-verhuschte musikalische Untermalung bleiben die Texte: "Und ich finde den Gott, der an euch glaubt" entwickelt eine seltsam tröstende Funktion, eine kleine, feine Liebeserklärung an alle, die nicht so ganz dazugehören.

Dieser "Gott, der an euch glaubt" kommt dann später, in Person des altbekannten "Discoteers" wieder zur Erde hinab. Seit dem letzten Auftritt von Schamonis Kunstfigur 2002 in seiner eigenen "Demaskierung" hat er wohl im Weltall ausgeharrt, fern der Clubs dieser Welt. Die sind nur leider in einen erbärmlichen Zustand geraten, während ihr Schutzheiliger im weiten All weilte. Deshalb rufen sie ihn nun: "Hier spricht Flo Mega von der Erde. Discoteer komm bitte sofort zurück, die brauchen dich hier. Die Erde geht unter. Beeil dich" Da muss der Discoteer natürlich zurückkommen, er schmeißt den "alten Fuchs" an und liefert den leidgeplagten Discoliebhaber*innen einen astreinen Track ab.

Discoteer, Schamoni, bürgerlich Tobias Albrecht, die (Kunst-) Figuren nehmen Überhand. Wie es dem Interpreten wirklich geht, buchstabiert "Ich Bin Nicht Ich" aus. Hier wird aus dem größenwahnsinnigen "All Ein"-Allmachtsanspruch ein zutiefst einsames "Allein". Schamoni singt über den Moment, in dem das eigene Spiegelbild unendlich fremd erscheint: "Das bin nicht ich / und ich kenne es auch nicht". "Ich sah mal anders aus, vom Scheitel bis zum Po" fasst er den neuen Zustand des eigenen Körpers zusammen. Dazu liefert er mit Backgroundchor und Disco-Groove aber eine Tanzbarkeit ab, die zu suggerieren scheint: "Hey, ist doch alles ok, stress dich nicht. In der Disco sind wir alle gleich."

Noch persönlicher wird es in "Ich Und Mein Schatten". Zu sphärischen Synthesizern aus der Konservenbüchse singt Schamoni über seinen "Schatten", oder, ausgeschrieben, seine Depression. Aber nicht im Sinne einer tränenrührigen Leidensgeschichte, sondern im Sinne der Depression als ständigem, irgendwo vertrautem Begleiter. Musikalisch ist es großes Kino, wie Schamoni eine Version der analogen Digitalität entwirft. Er verweist wieder einmal auf die wunderbar verrückten Musikvor- und schrägdenker, die in den 70ern von der Zukunft träumten und dabei, ganz nebenbei, den Camp erfanden. So klang das auch letztes Jahr auf dem hervorragenden Public Service Broadcasting-Album "Bright Magic".

Welch Schelm ihm dann doch im Nacken sitzt, zeigt der Collagen-Song "Romy & Rocko", in dem er seiner Lieblingsschauspielerin Romy Schneider huldigt. Mithilfe von alten Tonaufnahmen schneidet er ein Gespräch zwischen Romy und ihm selbst zusammen, als ehemalige Liebhaber*innen, wobei Romy noch Rockos Akkuschrauber hat. Als Gedankenexperiment ist das ganz witzig und nett anzuhören, aber irgendwie auch seltsam platt. Auch "Only Beer Can Stop Us Now" ist seltsam hüftsteif und self-absorb. Das mag an meiner Abneigung gegenüber allem liegen, was mit "Die Partei" in Verbindung gebracht werden kann, aber dieser "Bier, höhö"-Humor ist wirklich das Allerletzte. So zerschießt sich Schamoni einen der musikalisch stärksten, weil tanzbarsten und lockersten Disco-Songs seines Albums.

Das ist doppelt schade, denn danach ist "All Ein" vorbei. Oder, wie Schamoni sagt: Der Rock ist vorbei. So heißt zumindest der knarzige Closer "Wenn Der Rock Vorbei Ist". Eine recht schonungslose Bestandsaufnahme über die Momente, in denen klar wird, dass die wirklich großen Jahre vorbei sind. "Die Stadt ist leer, alles scheint [...] Weiß man nicht was die Welt zusammenhält, außer Bits und Bytes, außer Macht und Geld" klagt er nochmals, bevor die dröhnende Kickdrum sanften Streichern weicht.

Trackliste

  1. 1. Liebe Ist Das Licht Der Erde
  2. 2. Ich Und Mein Schatten
  3. 3. Wenn Ihr Geht
  4. 4. Das Bin Nicht Ich
  5. 5. Tod Eines Bestatters
  6. 6. Romy & Rocko
  7. 7. Return Of The Discoteer
  8. 8. Inseln Des Lichts
  9. 9. Only Beer Can Stop Us Now
  10. 10. Wenn der Rock Vorbei Ist

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