laut.de-Kritik

Ein schwermütig eigenständiges Gesamtkunstwerk.

Review von

Der Luxemburger Jérôme Reuter meldet sich nach einer Vielzahl historisch geprägter Konzeptalben seines Projekts Rome mit "The Hyperion Machine" zurück: Die Platte verbindet seinen typischen Chanson Noir mit unterschiedlichen Einflüssen aus Americana, Dark Ambient und Industrial - und diesmal ohne ein durchgängig thematisches Konzept.

"Celine In Jerusalem" bietet mit sachtem, gut produziertem Akustikfolk, Cello und Sprachsamples einen guten Einstieg in Romes ausgeprägte Schwermut. "Transference" erinnert mit nach vorne gehenden Post Punk eher an seine frühen Tracks für das schwedische Label Cold Meat Industry.

"Stillwell (feat. Thåström)" fährt das Tempo zurück, wodurch der Track mit dezent gehaltenem Ambientfundament einen interessanten Kontrast zum bisher Gebotenen darstellt.

Das wieder schwermütige "Skirmishes For Diotima" wartet dagegen mit Bezügen zum Eros-Konzept Platons auf - fast ein Symbol für die lose zusammenhängende Thematik des Longplayers: Jérôme schrieb ihn in Anbetracht der griechischen Finanzkrise. Während er aufnahm kamen dann die Flüchtlinge übers Mittelmeer.

Die erste Hälfte von "The Hyperion Machine" dominieren eher einfach gehaltene Arrangements - bei mittlerweile einer Handvoll Alben und EPs kann man auch nicht bei jeder Veröffentlichung erwarten, dass Rome eine gänzlich neue Ausrichtung an den Tag legt.

Danach gestalten sich die Tracks mit zunehmenden Ausflügen in ambiente Sounds spannender. Thematisch geht es um das Schicksal der Juden sowie politischen Gegnern in der Zeit des Nationalsozialismus.

Das rhythmisch eingängige "The Secret Germany (For Paul Celan)" widmet Jérôme Paul dem jüdischen Schriftsteller Celan, der mit seinem Gedicht "Die Todesfuge" den Massenmord an den europäischen Juden im zweiten Weltkrieg thematisiert. Das anfängliche Sample mit der Zeile "Lass weder Angst noch Hass Europas Arme bestimmen" wirkt angesichts des Wiedererstarkens nationaler Bewegungen aktuell wie nie.

"Die Mörder Mühsams" greift auf die anarchistische Thematik von Romes früheren Arbeiten zurück, z.B. "Die Æsthetik der Herrschaftsfreiheit" und "Flowers From Exie". Erich Mühsam rief während der Weimarer Republik 1919 die Münchener Räterepublik aus und setzte sich für die Freilassung politischer Gegner ein, 1934 wurde er von den Nazis ermordet. Der mit historischen Samples gespickte Ambienttrack bildet einen äußerst atmosphärischen Abschluss für dieses hörenswerte Album.

Die Musik würde aufgrund der einfachen, melodischen Rhythmik und der zurückhaltenden Grundstimmung auch ohne die schwere Thematik funktionieren. Reuters legt an seine Songs einen nahezu perfektionistischen Qualitätsanspruch an.

Trotzdem lohnt es sich tiefer einzusteigen. "Der Hörer soll kein Vorwissen mitbringen müssen. Aber wenn er dann tiefer eindringen, mehr als nur diese physische Erfahrung mitnehmen und eine ganze Welt entdecken kann, ist es umso besser", so Reuter in einem Interview. Am Ende bleibt ein eigenständiges Gesamtkunstwerk.

Trackliste

  1. 1. The Hyperion Machine
  2. 2. Celine In Jerusalem
  3. 3. Transference
  4. 4. The Alabanda Breviary
  5. 5. Stillwell (feat. Thåström)
  6. 6. Cities Of Asylum
  7. 7. Skirmishes For Diotima
  8. 8. Adamas
  9. 9. The Secret Germany (For Paul Celan)
  10. 10. Die Mörder Mühsams
  11. 11. FanFanFan (Bonus Track)

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LAUT.DE-PORTRÄT Rome

Der luxemburgische Musiker Jérôme Reuter besitzt vor der Gründung seines Hauptprojektes Rome 2005 schon Erfahrung in lokalen Punkbands und als Schauspieler.

3 Kommentare mit 10 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Wow, da ist ja endlich mal eine Rome-Review und dann noch eine wohlwollende. Das freut mich! 4 Sterne sind in Ordnung. Gibt andere Alben der Band die besser, weil intensiver sind. Mein Favorit: Flowers from Exile.

    Werde wohl dieses Jahr auch mal ein Konzert besuchen. Mal schauen, was die Musik live so wert ist.

    • Vor 7 Jahren

      Verfolge Rome mit kleinen Unterbrechungen schon seit dem "Confessions D'un Voleur D'ames"- Album. Finde "The Hyperion Machine" auch nicht das beste Album, aber ein sehr gutes ist es allemal. Meistens wachsen die Platten von Rome eher nach dem vierten oder fünften Hören.

    • Vor 7 Jahren

      Kann das mit 4-5 mal nicht bestätigen. Noch nie vorher gehört, boom erwischt. Macht erstmal keine Gefangenen. Aktuell zieh ich mir erstmal den Komplettkatalog rein. Danke Toni.

    • Vor 7 Jahren

      Bitte. Find ja die Masse Mensch Material auch super. Alleine das Intro.

    • Vor 7 Jahren

      Schon wieder nicht Übereinstimmung:P Das Intro fand ich nichts sagend, dafür der Rest fast Wave spät 80iger...ist ein geiler Trip. Und tanzbar...."Wir Götter der Stadt"!!!

    • Vor 7 Jahren

      Diese einhüllenden Ambientelemente können für mich auch viel, aber ja Geschmacksfrage. Die "Flowers From Exile" schon gehört? Würde ich auch als vielleicht seine beste neben "Masse Mensch Material" betrachten.

    • Vor 7 Jahren

      Rome hat bei mir auch ziemlich schnell gezündet beim ersten Mal. Aber so auf Albumlänge reift das Ganze wirklich noch mal ordentlich nach. Verstehe nicht, warum die so wenig beachtet werden. Deswegen Probs von wegen der Review!

    • Vor 7 Jahren

      War schon eine ziemliche Herzensangelegenheit. Will mal dieses 3-Stunden-Werk am Wochenende, die Aesthetik der Herrschaftsfreiheit, probieren. Habe ich mich noch gar nicht rangetraut. Bestimmt etwas weird, aber ich bin gerade neugierig.

    • Vor 7 Jahren

      Mir wurde abgeraten. Kenn es also auch nicht. Kann mir aber nicht vorstellen, dass das so verkehrt ist.

      Kannst hier ja noch mal zum Besten geben, was das taugt ;)

    • Vor 7 Jahren

      Sehr gespannt, da ich auch den Ambient- und Industrialcollagen der ersten beiden Alben zum Beispiel gar nicht so abgeneigt bin. Will mal sehen, wie das in Kombination mit dem anarchistischen Wiederstandskonzept wirkt.

  • Vor 7 Jahren

    tolle rezi (und extrem informatives portrait), lieber toni. :smoke:

    fast hätte man nen 5er zücken können, finde ich.

  • Vor 7 Jahren

    Mein Lieblingskünstler. Tolles Album für den Einstieg in Jeromes Musik. Aber nicht ganz das Niveau von "A passage to Rhodesia" oder "Flower from Exile". Für mich zu wenig Post-Punk - die Corolian EP hat da mehr versprochen.