laut.de-Kritik
Als wäre Pharrell der neue Frontmann bei Alt-J.
Review von Jeremias HeppelerManche Bands definieren sich vor allen Dingen und ganz massiv über ihre schiere Livepräsenz. Deichkind etwa inszenieren sich während ihrer zweiten Karriere vor allem als irrsinnige Live-Performer, darüber hinaus gibt es Liveacts wie Lordi oder Die Antwoord, deren Konzerte zu aberwitzigen Ausflügen in abgefahrene Parallelwelten einladen, von Rammstein ganz zu schweigen.
The Cat Empire setzen zwar nicht auf die ganz großen Spezialeffekte und tragen auch keine wilden Kostümierungen – dennoch hat sich die Band aus Melbourne in hiesigen Gefilden vor allem einen Namen als brachiale und ausufernde Livekombo gemacht. Hinter diesem Ruf der multiinstrumentalen Weltmusik-Abrissbirne rückte die konservativ auf Platten gepresste Musik schüchtern in den Hintergrund. Dass eine solche Einschätzung einer der erfolgreichsten Bands Australiens nicht gerecht wird, ist offensichtlich. Deshalb wurde die folgende Rezension der mittlerweile siebten Cat Empire-Platte "Rising With The Sun" unter konservativsten, langweiligsten und komplett sterilen Bedingungen abgefasst. Sicher ist sicher!
Doch bereits während des Auftakts "Wolves" haut es mich vor lauter Groove schon fast aus dem Ohrensessel und ich muss meine gesamte mentale Stärke aufbringen, um meine zappelnden Beinen wieder starr auf dem Boden zu verordnen. Wir hören einen recht klassischen Beat, der von einigen Soundeffekts und Trommelschlägen durchschossen wird, über den Frontmann Felix Riebl zunächst hart und passgenau drüber steppt, ehe er im total melodiösen Refrain, seine gesangliche Bandbreite nachweist.
Dieses Spiel wiederholt sich gleich mehrfach ohne Abweichungen, sodass man durchaus denken könnte, man wäre jetzt in einem Loop gefangen, ehe das klassische Songnetz unter einer Welle von Geräuschen und Trommeln und Sounds zerreißt und sich ein warmer Klangstrom über den Hörer ergießt. Diese Mischung aus nerdiger Kulisse klingt beinahe so, als hätte sich Pharrell Williams als Frontmann von Alt-J installiert und spiele deren Kompositionen auf doppelter Geschwindigkeit ab (tatsächlich setzt The Cat Empire die Geschwindigkeit im weiteren Verlauf immer wieder als Stilmittel ein).
"Bulls" findet im Anschluss zu einem klassischen Cat Empire-Sound zurück: Da ist dieser gewisse, etwas abgedroschene Reggae- und Skavibe, da sind die Bläser, da ist die zurückgenommene Strophe, die emotionale musicalartige Bridge, der ausufernde, instrumental inszenierte Refrain. Meine Gedanken schweifen da bereits wieder ein wenig ab, wie das ganz live aufgehen könnte (die Antwort: hochexplosiv), aber irgendwie bindet der schlichte Song seine Hörer an sich.
"Midnight" nimmt den Fuß markant vom Gas und trifft ins Schwarze: Die Komposition könnte auch direkt vom legendären Welt- und Popmusiker Manu Chao stammen, tönt irgendwie sphärisch und doch tiefenentspannt, doppelbödig und doch tanzbar. Manu Chao ist wohl die passendste Verweis-Schablone, um das neue Cat Empire Album zu umschreiben. Denn die Band umarmt auf "Rising With The Sun" fast spielerisch den ganzen Globus, ohne dabei kitschig oder langatmig zu klingen. Die Scheibe adaptiert sich wild durch die Musikstile, steckt sich alle Spielarten in den Mund, zerkaut sie zu einem riesigen Stück Musikkaugummi und bläst diesen in großen, utopischen Seifenblasen in die Welt hinaus. Freilich ist Politik hier nur hinterlegt, die musikalische Message aber lautet offensichtlich: get together. Und das klappt irgendwie auch im heimischen Wohnzimmer.
Ein großer Pluspunkt der Platte ist die Tatsache, dass die Band die Spannung bis zu den letzten Songs "Qué Será Ahora" und "Creature" konsequent aufrechterhält und zudem eine Vielzahl an Überraschungsmomenten aus der Jackentasche zieht: Nach dem etwas schwächeren Stück "Eagle", das in seiner Machart als auf Hochglanz polierte Tanznummer mit international gefärbten Freiheit- und Freundschaftspirit ein wenig an eine offizielle WM-Hymne erinnert, folgt ein markanter Höhepunkt der Platte. "Bataclan" ist ein Song für die Pariser Anschlagopfer, benannt nach dem Konzerthaus, in dem zahlreiche Rock'n'Roll-Fans ihr Leben ließen. Der Song beginnt als zärtliche Trauerhymne, begleitet von Trompeten wie der Soundtrack eines Spaghetti Western: "J'avais, j'avais, j'avais tourjours / De l'amour pour toi, de l'amour pour toi". Dann aber entschließt sich der Song, dass bloßes Trauern im Angesicht dieses feigen Anschlages eben nicht genug ist. Also schwingt sich der Song zur kraftvollen Hymne auf das Leben selbst auf: "In our nights of exile / And in the falling rain / We can never bet he same / Tonight we'll beat the drums / Louder than our pain / And call their names when the evening comes". Das ist mitreißend und ergreifend, und speziell im repetitiven Refrain bildet sich eine Gänsehaut – weil diese Gesamtaussage so passend effektiv zu dieser Band und auch zum Flow des vorliegenden Albums passt: "And every night we scream this song: Bataclan va lutter".
Am Ende bleibt nur ein Urteil: The Cat Empire machen immer noch Spaß, und das aktive Hören von "Rising With The Sun" hinterlässt bei seinen Rezipienten ein echt gutes Gefühl. Mehr braucht es nicht und genau dafür steht die Band ja mittlerweile seit Jahrzehnten. Doch genau deshalb überrascht es positiv, mit welchem Fingerspitzengefühl und sich die Australier komplexer Sachverhalte annehmen und welche Soundnuancen sie dabei kreieren.
"Rising With The Sun" ist kein reines Partyalbum und offenbart auch keine schnöde Hippie-Romantik, sondern überzeugt eben mit den aufgezeigten Grauzonen. Und dass die Songs auf der Bühne abgehen wie Riebls Katze, das dürfte ja ohnehin keiner bezweifeln.
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