laut.de-Kritik

Im Kuriositätenkabinett des Neil Hannon.

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Der Beginn des Openers "Napoleon Complex", die Neuauflage einer "Bang Goes The Knighthood"-B-Seite, erinnert an das Intro eines Film-Blockbusters. Diese entfalten sich meistens auf vor sich hin rieselnden Einspielern der dicken Produktionsfirmen, ehe der Blick auf das eigentliche Werk hinübergleitet, und aktivieren beim Rezipienten im Vorbeigehen ein wohliges und vertrautes Gefühl.

Jene Gefühlslage scheint die Band mit Absicht adaptiert zu haben, entwickelt sich der Song doch im Anschluss zu einem echten Musical-Trip, der mit seinem flink tropfenden Piano, dem Kopfstimmen-Chor und all den wechselnden Stimmungen ziemlich schnell an alte Disney-Klassiker erinnert. Auch der Albumtitel "Foreverland" präsentiert einen spielerischen Peter-Pan-Vibe. Der flattert im Folgenden durch das gesamte Album, zeigt eine schiere Ode an die Kraft der Kreativität auf oder malt sie doch mindestens aus wie ein Mandala.

The Divine Comedy lassen es in alle Richtungen sprudeln. Beinahe jeder Song explodiert vor Verweisen, Stilen und Zitaten. Obwohl es auf der Scheibe trotz allem recht sauber und gesittet zugeht, kann der Aufenthalt in "Foreverland" ganz schön anstrengend sein. Stichwort: Overkill. Stichwort: Pop-Oper. Textlich chargiert Mastermind Neil Hannon wie gewohnt zwischen Comedy, Schwachsinn, Irrsinn und Genialität: "Who was the true inventor of the infamous circular firing squad? Who has all the brains but non of the stature? Who'd make Margaret Thatcher look like Mary Magdalene?"

Der anschließende Titelsong klingt ganz bewusst zentimeterdick vollgestaubt und kilometerweit aus der Zeit gefallen. Wir erinnern uns an Queen, an Men Without Hats, an Schultheateraufführungen, an Lagerfeuer-Gesänge, an die Dreigroschenoper, an Mittelaltermärkte. Ja, irgendwie macht es wirklich Spaß, sich in dieser comicesken Musikwelt, dieser fast naiven Utopie aufzuhalten und sich von all den Eindrücken erdrücken und umarmen zu lassen.

Auf der anderen Seite wirkt das Konstrukt mit all dem Pomp und Verzierungen aber auch schlichtweg langweilig und wack. Das war zumindest mein erstes Urteil. Der zweite Hördurchlauf aber nährte die Zweifel. Andererseits gibt es ja kaum etwas so Zeitgemäßes wie Größenwahn und die Eigenschaft, einen Fick auf alle Strömungen und Trends zu geben. Es wäre spannend, diese Platte einem Kanye West vorzulegen und ihn nach seiner Meinung zu fragen. Geht aber ja schlecht.

Die Vorabsingle "Catherine The Great" schließt direkt an ihre beiden Vorgänger an und bläst uns die Streicher-Samples und Orgel-Organismen direkt ins Gesicht. Das Stück ist laut Hannon "... so ein Liebeslied, wie man es schreibt, wenn man zu viele Sendungen auf BBC 4 geguckt hat". Jetzt fällt der Groschen: "Foreverland" ist selbstredend ein Konzeptalbum, so eine vertont zappelnde Version von "Zurück in die Zukunft" oder "Time Bandits". Gleichermaßen Science Fiction und Historienfilm. So ein Werk, das sein Publikum, vor allem aber die möglichen Rezensenten, verrückt machen soll. Solange, bis sie sich in immer verwirrenderen Verweisverstrickungen verheddern und keiner mehr so richtig weiß, was er denn nun mit dieser Platte anfangen soll.

Durchatmen. So kompliziert ist das ja alles eigentlich gar nicht. "Foreverland" ist einfach anders als alles, das wir von zeitgenössischer Popmusik erwarten. Ein Musical. Eine wilde, aber auch kitschige Vermischung. Eine Traumsequenz. Neil Hannon hat sich einfach keine Grenzen gesetzt, wildert und plündert schonungslos in der frühesten Popgeschichte und hängt sich die geschossenen Trophäen ins schöpferische Wohnzimmer.

Dass er dabei im Jahre 2016, in einem Zeitalter in dem alles digital und elektronisch vor sich hin fiept und Alben über Nacht in den Äther geblasen werden, eher schief angeguckt und belächelt wird, macht Hannon nichts aus. Er ist ein alter Hase. Ein britischer Gentleman. Ein längst in den Ruhestand eingetretener Superheld, der sein altes Kostüm noch einmal aus der geheimen Raum hinter dem Wohnzimmerschrank fischt.

Passend dazu gab Hannon im Bezug auf sein erstes Werk seit sechs Jahren zu Protokoll: "Es geht darum, seinen Seelenverwandten zu finden, glücklich zu sein und für immer zusammen zu bleiben. Was aber kommt nach diesem 'für immer'?" Dieser gesunde Schuss Wahnsinn macht "Foreverland" irgendwie einzigartig, aufregend und cool. Aber eher dieses "Napoleon Dynamite"-Cool.

Nachdem sich die erste Überraschung nach fünf, sechs Songs erstmals abgenutzt hat, beginnt "Foreverland" dann doch ein wenig zu nerven. Sprich: brutal zu nerven. Die Songaufbauten wiederholen sich und vor allem die anhaltende Theatralik in Hannons Stimme spannt den Geduldsfaden bis an die Schmerzgrenze. Vielleicht sollte man sich diese Platte eher in kleinen Dosen geben. Oder aber man stürzt sich einfach schonungslos in den Wirbel. Es hilft ja doch nichts.

Immerhin stellt Hannon in "To The Rescue" oder in "Other People" noch einmal sein außergewöhnliches Händchen für altmodisches Songwriting und epochale Arrangements unter Beweis und schürft zum Ausklang das ein oder andere glitzernde Kleinod an die Oberfläche. Letztlich lässt sich "Foreverland" kaum bewerten, weil es sich so konsequent entzieht und sich so selbstbewusst mit seiner Rolle als nerdiger Außenseiter abfindet. Wahrscheinlich sollte sich jeder selbst ein Bild machen und zumindest einen kurzen Blick ins Kuriositätenkabinett des Neil Hannon wagen.

Trackliste

  1. 1. Napoleon Complex
  2. 2. Foreverland
  3. 3. Catherine The Great
  4. 4. Funny Peculiar
  5. 5. The Pact
  6. 6. To The Rescue
  7. 7. How Can You Leave Me On My Own
  8. 8. I Joined the Foreign Legion (To Forget)
  9. 9. My Happy Place
  10. 10. A Desperate Man
  11. 11. Other People
  12. 12. The One Who Loves You

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3 Kommentare

  • Vor 7 Jahren

    Schöne, passende Kritik. Ich höre ihn immer wieder mal sehr gerne. Aber in kleinen Dosen ist das schon besser. Dennoch ein großartiger Musiker. Live sehr charmant und schlitzohrig.

  • Vor 7 Jahren

    Ich habe noch nie in meinem Leben eine unverschämtere Kritik gelesen. Wie man dieses Meisterwerk so energiereich und zerstörerisch glaubt begutachten zu müssen, ist mir ein Rätsel. Den Verfasser nicht wert mit Namen anzusprechen, denn warum sollte man sein Gedächtnis mit dem Wort eines Namens belasten, deren Namensinhaber sich mit Wort und Schrift als zerstörerischen Selbstzweck versteht und sich als solches wohl zu hoch bezahlen lässt. Musik muss man hören und Fühlen oder nicht. Wer bei dem besprochenen Doppelalbum Nichts fühlt, ist auch hier beim Lesen besser aufgehoben, als bei der Musik. Im Besonderen die zweite Scheibe 'In May', die sich als Beigabe, ist Alles andere als das. Hr. Hannan scheint ein Genie zu sein! MfG, S.R.