Porträt

laut.de-Biographie

The Jesus And Mary Chain

Mitte der Achtziger veröffentlicht eine Band, deren Mitglieder aussehen, als wären sie Stammkunden beim Friseur von Robert Smith und hätten nach dem Schnitt ihre Finger in eine Steckdose gesteckt, ein Album namens "Psychocandy". Hört sich an, als hätten sich da ein paar Jungs auf komischen Drogen getroffen. Doch die Geschichte von The Jesus And Mary Chain beginnt anders.

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Die Band besteht aus zwei ständigen Mitgliedern, den Brüdern Jim und William Reid. In ihrer Heimatstadt East Kilbride/Schottland nehmen sie 1983 erste Demobänder auf, die so gar nicht nach dem computergesteuerten Synthiesound der Achtziger klingen. Viel mehr lassen sie mit Rückkopplungen und Noise-Attacken die Gehörgänge rauschen.

Unter dem Namen The Poppy Seeds schicken die Geschwister ihre Tapes an verschiedene Plattenfirmen in London - ohne Erfolg. Da sie es ohnehin satt haben, in schlechten schottischen Clubs zu spielen, entschließen sie sich, nach London zu ziehen. Doch auch in der Hauptstadt der Musik ist es nicht leichter, die Plattenfirmen von ihrer Musik zu überzeugen. Sie legen sich einen neuen Namen zu und heißen ab sofort The Jesus And Mary Chain (JAMC). Dazu nehmen sie Douglas Hart als Bassisten und Murray Dalgish als Drummer in die Band auf.

Statt Plattenfirmen mit Demos zu überschütten verfolgen JAMC nun eine eigene Strategie, mit der sie ihre Musik an die Ohren der Menschen bringen wollen. Sie stürmen unangekündigt die Bühnen Londons als angebliche Vorband. Nach wenigen Minuten Noise-Geschrammel auf den Instrumenten des eigentlichen Acts schmeißen die Clubmanager die Jungs meist raus. So buchstabiert keiner das Wort Durchbruch.

Wie gut, dass Bobbie Gillespie, Sänger der schottischen Primal Scream, ein Freund der Brüder Reid ist. 1984 schlägt dieser vor, ein Tape von JAMC an Alan McGee zu schicken. Der Bekannte Gillespies ist Chef des Londoner Labels Creation Records (später u.a. Oasis) und Besitzer einer kleinen Venue namens The Living Room. Er verliebt sich in den kruden und doch melodischen Feedback-Pop der Schotten. JAMC bekommen die Möglichkeit, in seinem Club aufzutreten, er wird ihr Manager und zahlt der Band die nötige Zeit im Studio. Heraus kommt im Oktober 1984 die 7"-Single "Upside Down". Angeblich verkauft sie sich 35.000 Mal.

JAMC-Gigs dauern zu jener Zeit nie länger als 25 Minuten. "Es gab noch keine Band, die gut genug war, um länger zu spielen", ist das Statement der Reids dazu. Dem Publikum ist diese Begründung egal und so kommt es nach den Konzerten manchmal zu Ausschreitungen. Doch nicht nur mit denen legen sich The Jesus and Mary Chain an. Auch mit dem Gesetz sind sie sich nicht einig. So nimmt man sie in Deutschland fest, in England werden sie wegen des Besitzes von Amphetaminen vor Gericht gestellt.

Schon hier zeigt sich, dass die Zusammensetzung der Band außer dem harten Kern der Reid-Brüder nicht sehr beständig ist. Der Drummer fliegt raus und plötzlich sitzt Bobbie Gillespie hinterm Kit. Bald hält Alan McGee sein Label für zu klein, um das Potenzial der JAMC angemessen zu fördern. Größeren Erfolg im Blickwinkel wechseln die Jungs zu Blanco Y Negro, einem Warner-Sublabel. Zunächst läuft der Vertrag nur über zwei Singles. "Never Understand" und "You Trip Me Up" überzeugen und der Vertrag wird verlängert. Alan McGee ist zukünftig nur noch Manager der Band.

Im November erscheint ihr erster Longplayer "Psychocandy", das später vom NME zum zweitwichtigsten Album ever gewählt wird. Zu spätem Ruhm gelangt die Singleauskopplung "Just Like Honey", als Sofia Coppolas den Song prominent in ihrem Film "Lost In Translation" featured. Die Reids nehmen das Album in Eigenregie auf.

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Anfang 1987 steigt Gillespie aus der Band aus. Als Ersatzmann kommt John, der - vor allem auf Tour - Drums und Gitarre spielt. Im September 1987 erscheint das zweite Album "Darklands", das die Reids wieder alleine einspielen. Die Feedback-Exzesse treten langsam in den Schatten eingängiger Popmelodien, die das Potenzial der Band untermauern. Unter anderem erscheint darauf der Song "Only Happy When It Rains", der als Coverversion von Garbage auch in die Charts gelangte.

Die folgende Tour durch Amerika wurde von gewalttätigen Zwischenfällen begleitet. Unter anderem verhaftet die Polizei Jim Reid in Toronto, weil er sein Publikum mit dem Mikroständer angriff. Nachdem er 500 Pfund an die Heilsarmee zahlt, lässt man ihn wieder frei. Auf dieser Tour kommt es auch zu einem komischen Auftritt in Dolly Partons TV-Show, die die Band angeblich nur aus Versehen einlädt. Sie verwechselt JAMC mit einer Gospelgruppe ...

Schon nach zwei Alben und einigen Singles veröffentlichen die Brüder im folgenden Jahr die B-Sides Collection "Barbed Wired Kisses", die sie mit wenig neuem Material auffüllen. Dieses Mal lassen die Geschwister keine Tour folgen, sondern beginnen, an neuen Songs zu arbeiten. Wieder nehmen sie alles selber auf. "Automatic" erscheint 1989, mit "Head On" schreiben Jim und William eine radiotaugliche Single, die es auch ins Programm der amerikanischen Rockradios schafft.

Auf der Tour zum Album kommt Ben Lurie, Ex-Rough Trade Mitarbeiter, als Rhythmusgitarrist in die Band. Er wird der einzige sein, der neben den Reid-Brüdern Stücke im Studio einspielt und einige Songs von JAMC schreibt ... auch wenn diese nur als B-Sides gewürdigt werden.

1992 erscheint "Honey's Dead". Die Band geht mit Dinosaur Jr., Blur und My Bloody Valentine auf Rollercoaster-Tour, fühlt sich dabei aber zunehmend unwohl. Die Medien handeln die Band - gemeinsam mit My Bloody Valentine - als Vorreiter des zu der Zeit in Großbritanniens Indie-Kreisen hippen Stils Shoegazing. Doch mit diesem noisigen Pop wollen The Jesus And Mary Chain bald nichts mehr zu tun haben.

So ist es nicht erstaunlich, dass bis zum nächsten Album drei Jahre vergehen. Von dem kranken Noise-Pop der ersten Jahre ist auf dem bittersüßen "Stoned And Dethroned" nichts mehr zu hören. Jim Reid singt in "Sometimes Always" ein Duett mit Hope Sandoval (Mazzy Star), das so süß und weich wie Zuckerwatte kling. Doch die dunkle Seite der Band bleibt auch in den ruhigen Popmelodien unüberhörbar. Die Brüder hoffen, für dieses Album die 60er Jahre-Legende Lee Hazlewood als Produzent gewinnen zu können, doch der Amerikaner gibt ihnen einen Korb und so stehen sie wieder selber hinter den Reglern.

Der Plan ist, das nächste Album in drei Wochen aufzunehmen und nur einen Monat später in die Läden zu stellen. Doch daraus wird nichts. Wieder dauert es drei Jahre, bis "Munki" fertig gestellt ist. Die Schnauze voll vom Trouble mit großen Plattenlabels (Jim beschreibt es als "soul destroying"), gehen JAMC in England zurück zu ihren Wurzeln: Creation Records vertreibt "Munki" in Europa, in Amerika findet sich mit Sub Pop (früher Nirvana) ein adäquates Label.

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Das Ende der Band kündigt sich am 12. September 1998 im House Of Blues in LA an. Nach 15 Minuten verlässt William die Bühne, um nie zu seiner Band zurück zu kehren. Den Rest der Tour spielen JAMC ohne ihn. Erst im Oktober 1999 gibt die Band den Split offiziell zu. Kurz darauf gründet Jim Reid mit Ben Lurie und Ex-Mary Chain-Drummer Nick Sanderson die Band Freeheat. Nach einigen Tourneen und einer EP namens "Retox" endet dieses Bandkapitel im Jahr 2003 allerdings auch.

Zusammen mit Sänger Phil King (Lush, Jesus And Mary Chain), Drummer Loz Colbert (Ex-Ride) und Basser Mark Crozer arbeitet der mittlerweile abstinente Jim nun an eigenen Kompositionen. Der Song "Song For A Secret" erscheint im November 2005 als erste Single.

Im Juni 2006 verleiht das englische Mojo Magazin den Jesus And Mary Chain den Mojo Maverick Award. Zu diesem Zeitpunkt sind die alten Streitigkeiten zwischen den Gebrüdern Reid wieder ausgeräumt, auch wenn von einer Reunion noch keine Rede ist. Mal wieder ist es das kalifornische Coachella Festival, das den Comeback-Gig der Band ankündigen darf. Am 27. April 2007 steigen die Reids mit Jims alten drei Bandkollegen King, Crozer und Colbert und Gaststar Scarlett Johansson auf die Bühne.

Die Begeisterung der Fans überträgt sich auf die Band, die ihr altes Material kurz darauf auch in Europa vorstellt. Beim von Jarvis Cocker kuratierten Meltdown Festival in Londons Royal Albert Hall sind sie im Juni 2007 ebenfalls in der Riege der auftretenden Künstler, darunter auch Devo und Roky Erikson. Zunächst entsteht 2008 mit "All Things Must Pass" nur ein neuer Song. Doch Jim Reid spricht auch von einem neuen Album, das allerdings erst ein knappes Jahrzehnt später veröffentlicht wird: "Damage And Joy" (2017). In den Jahren dazwischen touren Jesus And Mary Chain bis nach China und machen zudem in der Backing Band einige Besetzungswechsel durch. Auch der alte Wegbegleiter Alan McGee arbeitet mit den Brüdern wieder für einige Jahre zusammen.

Mit besagter neuer Platte in der Hinterhand kehren die legendären Schotten 2017 und nach 20-jähriger Liveabstinenz auch wieder nach Deutschland zurück. 2018 tourt man als Special Guest von Nine Inch Nails durch die USA. Spätere Tourpläne durchkreuzt die Corona-Pandemie, und so lässt das erneute Wiedersehen bis Ende 2021 auf sich warten.

Dafür entschädigen The Jesus And Mary Chain gleich zweifach: Zum einen kündigen sie 2023 ein neues Studioalbum an, zum anderen erscheint im August 2023 "Sunset 666". Das Livealbum umfasst zwei der Auftritte der Band in LA im Jahr 2018 und entlockt mit seinem rauen Gewand auch älteren Songs neuen Drive.

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2 Kommentare mit 5 Antworten

  • Vor 10 Jahren

    Hey, wollt mich mal ein bisschen mehr mit The Jesus & Mary Chain auseinandersetzen. Gibt's da mal ein paar Anspieltipps der Kenner? Alben, die als Klassiker gelten?

    • Vor 10 Jahren

      Na ja, bei denen erstmal mit "Psychocandy", also chronologisch anzufangen halte ich persönlich für unumgänglich. Alles nachfolgende ist dann selbsterklärend.

    • Vor 10 Jahren

      Und damit du von Anfang an sauber diskriminieren kannst (anders als ich damals) gibt's als "Kontrastprogramm" gleich mal The Jesus Lizard "Pure" ;)

    • Vor 10 Jahren

      Psychocandy, dann, mit Abstand dahinter, Darklands. Keine Geheimtipps bei der Band, nach den beiden Alben, speziell Psychocandy, weißt du alles, was du wissen willst. Hat es Psychocandy noch nicht in die Meilensteine hier geschafft? Top 3 Album der 80er, aber das ist ja nur meine Meinung.

      Alle anderen Alben sind vernachlässigbar imo.

    • Vor 10 Jahren

      @Tinco, deine Meinung zählt sowieso nicht, wenn du nicht Mister X heißt. Und das willst du nicht, weil du sonst Kraftklub feiern müsstest, wie Weihnachten und Gegenteiltag zusammen.

      Psychocandy gibts komplett auf Youtube. Bin so halfway through und setz es schon mal auf die Einkaufsliste. Ganz großes Ding, danke!

      Auch schön, wie viele Hater da in den Kommentaren unterwegs sind. ^^

    • Vor 10 Jahren

      Je ne comprend pas du tout, please don't frittier my brain.

  • Vor 7 Monaten

    Das mit Garbage stimmt halt so überhaupt nicht. Die Songs haben bis auf den Titel (und bei Garbage steht das Only noch davor) nix gemeinsam.