laut.de-Kritik

Eine Frechheit mit künstlerischem Anspruch.

Review von

The Mars Volta lassen sich nicht in Schubladen stecken. Auch auf "Frances The Mute" nicht. Mehr noch: Sie tun weiterhin alles, um auch noch den kompletten Schrank zu umgehen. Mit einem diesmal fragwürdigen Ergebnis: Ein Drahtseilakt zwischen Innovation und stupidem Gedudel, bei dem die Mucker eine Neigung zu letzterem entwickeln.

Welche Geräusche sind Kunst, welche sind reine Willkür? Eine Frage, über die sich grandios philosophieren ließe. Denn selten liegen Kunst und Chaos, erhabene Komposition und unmotiviertes Geplänkel derart nah beieinander. The Mars Volta mischen Lärm mit Latino-Rhythmen, Rauschen mit Filmmusik à la Ennio Morricone und Frickel-Gitarren mit Synthesizern. Wer dieses Album am Stück durchhören kann, verdient Respekt für ein besonders strapazierfähiges Nervenkostüm.

Wieder einmal spielt der Tod eine gewichtige Rolle: Wurde auf "De-Loused In The Comatorium" Julio Venegas' Tod verarbeitet, beeinflusste das Ableben des Geräuschzauberers der Band, Jeremy Ward, das aktuelle Werk. Außerdem gab ein von Jeremy gefundenes Tagebuch dem Album seine Form. So lautet die Legende: Songtitel entsprechen Namen von Personen, welche der Tagebuchautor auf der Suche nach seinen biologischen Eltern traf. Suche hat bekanntlich etwas mit Standortbestimmung und einer gewissen Verlorenheit zu tun. "Frances The Mute" lässt den Hörer dieses Gefühl auch grandios nachvollziehen, denn The Mars Volta scheinen selbst auf der Suche zu sein, nach Struktur.

Das Album besteht aus fünf musikalischen Brocken, die insgesamt 75 Minuten in die Waagschale werfen. Jene fünf Brocken sind teilweise wieder in einige - keinesfalls ohrgerechte - Bröckchen eingeteilt. Versatzstücke und Motive, welche immer wieder leicht verändert zitiert werden, erinnern an die Kompositionspraxis in der Klassik. Verbunden sind die Teilstücke meist durch irgendwelche langwierigen Geräuschpassagen, hier hätten sich die Musiker spielend zehn Minuten sparen können.

An alte Zeiten von "De-Loused..." erinnert "The Widow". Abgefahren, aber durchaus hörbar. Auch "L' Via L' Viaquez" gehört zu den stärkeren Stücken des Albums. In der Kürze liegt in diesem Fall tatsächlich die Würze. Eine Frechheit mit künstlerischem Anspruch ist dagegen "Miranda That Ghost Just Isn't Holy Anymore", das über weite Strecken wie eine Morricone-Komposition für eine Arte-Dokumentation über mondphasengerechte Eisskulpturengestaltung in der Antarktis klingt. Hier mischen sich scheinbar wahllos Geräusche und Beats, Blasinstrumente und Gitarrengedudel.

Dass kein "easy-listening" angesagt sein würde, wenn The Mars Volta drauf steht, hat wohl jeder gewusst. Aber dass "Frances The Mute" hörbar sein würde, hatte man dann doch erhofft. Kann ein Mensch diese Musik verstehen oder wenigstens fühlen, was hier passiert? Vermutlich nicht, denn die Platte ist zu chaotisch und unberechenbar, um verstanden zu werden und zugleich zu sehr Kopfgeburt, als dass sie Emotionen lostreten könnte. The Mars Volta haben sich in ihrer Idee von künstlerischem Anspruch verlaufen.

Trackliste

Cygnus... Vismund Cygnus: Sarcophagi

  1. 1. Umbilical Syllables
  2. 2. Facilis Descenus Averni
  3. 3. Con Safo

The Widow

L' Via L' Viaquez

Miranda That Ghost Just Isn't Holy Anymore: Vade Mecum

  1. 4. Pour Another Icepick
  2. 5. Pisacis (Phra-men-ma)
  3. 6. Con Safo

Cassandra Geminni: Tarantism

  1. 7. Plant A Nail In The Navel Stream
  2. 8. Faminepulse
  3. 9. Multiple Spouse Wounds
  4. 10. Sarcophagi

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152 Kommentare

  • Vor 17 Jahren

    Hey und nochwas, Ich finde beide, De-loused UND FTM toll *STAUN!!* :D

  • Vor 17 Jahren

    ich fine die leisen zwischenräume super. da hat man zeit das eben gehörte zu verarbeiten und sich schon auf den nächsten hammer freuen. :D

    btw: amputee ist auch ganz, ganz gross

  • Vor 17 Jahren

    Ich sag nochmal was, wie ich das mit De-Loused und FTM auffasse:
    Wie ich schon gesagt habe, ich mag beide, denn beide haben ihr wirklichen staerken. De-loused hat eine groessere emotionale Staerke, die Songs sind allesamt bedrohlich und sehr, sehr duester... jah mir hat es beim ersten mal Angst gemacht, nachdem ich erfahren hatte, worum es auch noch thematisch geht, um einen gewissen herrn `cerpin taxt`, der sich Mrphium sprizt und langsam in die welt der toten gleitet (korrigiert mich, wenn ich hier falsch liege). FTM dagegen wirkt nicht so extrem emotional betont, es groovtmehr, die breaks sind unmittelbarer und der gesang wie ich finde noch eine spur abgefreakter, ja es hat was mit kunst zu tun, aber trotzem ist es nicht artifiziell.