laut.de-Biographie
The Stranglers
Gehen wir mal hypothetisch vor und denken uns eine relativ erfolgreiche Band in Deutschland, die solche Statements von sich gibt: "Wir glauben an das Gesetz des Dschungels, sonst wird man wie die Schweden", "Frauen sind Objekte männlicher Lust, die nur einen guten Orgasmus brauchen", "Frauenbewegung ist okay, ich mag es immer, wenn sich eine Frau unter mir bewegt". Wenn diese Band dann auch noch Amerikaner als eine "minderwertige Rasse" und Gewalt für eine "nützliche Sache" bezeichnet, dann wäre die Kacke aber so richtig am Dampfen.
Es mag überraschen, aber die Band, um die es in diesen Zitaten geht, sind The Stranglers aus dem englischen Guildford, Surrey. Und obige Zitate können einzelnen Bandmitgliedern Ende der Siebziger Jahre zugeordnet werden, als sich die Jungs noch mitten in ihrer Pöbel- und Prügelphase befinden.
Der Blues-Musiker Hugh Cornwell, später Sänger und Gitarrist, hat gerade einen Abschluss in Biochemie an der Universität in Bristol gemacht und setzt seine Forschungsarbeiten in Göteborg fort. Dort gründet er die Band Johnny Sox, kehrt aber nach London zurück, nachdem er seine Forschungen frustriert eingestellt hat. In der englischen Hauptstadt sucht Cornwell im Melody Maker per Annonce einen Drummer, auf die sich Jazzer Jet Black (bürgerlich: Brian Duffy) meldet. Black, mit Mitte 30 bereits ein recht erfolgreicher Geschäftsmann, der mit Eiscreme und Alkohol sein Geld verdient, will sein Hobby zum Beruf machen. Weitere Bandmitglieder kommen hinzu. Die zwei Schweden und ein Amerikaner kehren aber bald in die Heimat zurück - die Combo Johnny Sox ist Geschichte.
Cornwell und Black machen weiter gemeinsam Musik, man ist dem Psychrock zugetan, und schauen sich nach geeignetem Ersatz um. Und wie so oft spielt der Zufall eine Rolle, man macht die Bekanntschaft eines Trampers: Jean-Jacques (JJ) Burnel übernimmt den Bass. Hughs Kumpel aus vergangenen Göteborger Tagen spielt Gitarre und Keyboard, Hans Wärmling. Mit diesem Line-up tritt der Vierer ab 1974 unter wechselnden Bandnamen in der Gegend um Guildford auf. Zu dem Namen The Stranglers kommt die Band, nachdem in den Zeitungen Schlagzeilen auftauchen, die einen Serienmörder in den USA als Bostonstrangler ('Der Würger von Boston') titulieren.
Wärmmling verduftet bereits 1975 wieder zurück nach Sverige (1995 stirbt er bei einem Bootsunglück). Ersetzt wird Hans durch den Keyboarder Dave Greenfield, er meldet sich ebenfalls auf eine Melody Maker-Anzeige. Mit dieser damals recht ungewöhnlichen Besetzung stellen die Stranglers einen Gegenpol zur aufkommenden Punk-Hysterie dar. Obwohl man gerne zur Szene gezählt werden, haben sie mit den anderen Vertretern des Punks wenig gemein. Wesentlich älter und musikalisch versierter, passen sie nicht in die Schublade der Drei-Akkorde-Helden. Stilistisch betrachtet, sollten sie ihre Erfolge im Postpunk/New Wave feiern.
Im Dezember 1976 zahlt sich die Schufterei für die Stranglers aus: United Artists bietet einen Vertrag an. Bis das neue Jahrzehnt anbricht, feiern die Stranglers einige Erfolge, Singles wie "Peaches", "Something Better Change", "No More Heroes" oder "Duchess" machen sie bekannt. Touren führen sie bis nach Asien. Nach vier erfolgreichen Alben bricht eine Durststrecke an. Cornwell findet sich wegen Drogen 1980 gar im Gefängnis wieder.
Ein Jahr später kehren die Stranglers mit dem Album "La Folie" und der Single "Golden Brown", die zu ihrem größten Hit avancieren sollte, erfolgreich zurück. Ganz untypisch für den rauen Sound und die markanten Sprüche am Anfang der Bandgeschichte, präsentieren sich die Engländer gefühlvoll und betreiben auch einen Imagewechsel. Ungeachtet dessen scheint die englische Musikpresse die Stranglers als Feindbild ausgemacht zu haben und überschüttet sie - trotz des kommerziellen Erfolgs - mit höhnischen Kommentaren. Der NME schreibt etwa, "sie bleiben musikalisch ihrem Namen treu und strangulieren uns mit ihren hässlichen, uninspirierten und sinnentleerten Songs".
In den Folgejahren veröffentlichen die Engländer relativ regelmäßig weitere Studioalben, etwa "Dreamtime" mit der Single "Always The Sun" (1986), ihrem nach "Golden Brown" wohl bekanntesten Song. 1990 wird dann für die Fans unerwartet zum einschneidenden Jahr: Sänger und Bandgründer Hugh Cornwell steigt nach dem Release der Scheibe "10" überraschend aus und startet eine Solokarriere. Cornwell berichtet später u.a. von Spannungen mit Burnel, zudem sei die kreative Kraft der Stranglers verbraucht gewesen.
Nach Cornells Abgang stoßen erst John Ellis (Ex-Vibrators, Ex-Peter Gabriel) als Gitarrist und kurz darauf Sänger Paul Roberts zur Band - in dieser Formation veröffentlicht man vier Studioalben. Während Ellis den Stranglers bis 2000 treu bleibt (ihn ersetzt Ex-Toy Dolls-Bassist Baz Warne), steht Roberts bis 2006 am Mikrofon. Poppig, aber unter schwarzer Flagge schippern die Stranglers auch im neuen Jahrtausend weiter, mit "Norfolk Coast" kehrt man sogar in die UK-Charts zurück und absolviert zuhause eine ausverkaufte Tour. Nach Roberts Ausstieg teilen sich Burnel und Warne die Rolle am Mic.
Mit "Giants" erscheint 2012 das 17. Studioalbum der Stranglers, die nach wie vor eine gefragte Liveband sind. Drummer Black kämpft mittlerweile seit Jahren mit Herzproblemen, Jim Macaulay springt immer öfter als Tourdrummer ein. Seit 2015 tritt Black live quasi gar nicht mehr in Erscheinung, 2018 erleidet er einen leichten Herzinfarkt. Die Hiobsbotschaft betrifft 2020 aber ein anderes Bandmitglied: Anfang Mai stirbt Keyboarder Greenfield, der einst die Idee zu "Golden Brown" hatte, infolge der Infizierung mit dem Coronavirus im Krankenhaus. Dort war er wegen Herzproblemen behandelt worden.
An acht Songs arbeitete Dave vor seinem überraschenden Tod noch mit. Die Band veröffentlicht das Material im Spätsommer 2021 auf dem Album "Dark Matters". Wenige Tage vor dem Release betrauern die Stranglers auch den Tod der ehemaligen Background-Sängerin Lucy Jarrett, die sie 2005 engagiert hatten.
Das Album enthält neben den mit Dave angefangenen weitere neue Stücke, die dem Verstorbenen ein Denkmal setzen und das Thema Sterblichkeit und Endlichkeit ins Visier nehmen. Akustik-Liedgut, Stadion-Rock, Punk-Infiziertes und ein Zitat aus dem Opern-Milieu finden sich. Für Herbst/Winter 2021/22 tritt die geschrumpfte Band zu einer umfangreichen Tour an.
1 Kommentar
Beste Band aller Zeiten.Das ist so ,wurde auch schon oft von führenden Musikexperten ,wie z.B. mir, bewiesen. Welch andere Band war denn zeitgleich Punk ,New Wave und Post Punk....und hat sogar hits gelandet ,die selbst heutzutage noch jeder kennt ? Und wurde trotzdem von der Musikindustrie weggeschrieben ? Bester Bass aller Zeiten,einzige Band mit genialem Keyboarder,ausser vielleicht irgendwelchen Progressive-Rock-Schnarchern.Grundsolid-exakte drums und eine Gitarre die alles ad absurdum führt.Gute Nacht.