laut.de-Kritik

Starke Rocksongs, die herbe Themen verarbeiten.

Review von

Angst, Schrecken, Töten und Weltwirtschaft heißen die dunklen Themen auf dem neuen The Stranglers-Album. Die Band verfügte im Laufe ihres langen Bestehens über einige fähige Songwriter, von denen einer, Dave Greenfield, zu Beginn der Pandemie an Covid-19 verstarb. Auch er trug zum breiten Spektrum der Ex-Punks bei, so verfasste er ihren Signature-Song "Golden Brown". Klar, dass die Gruppe ihm einen Nachruf in LP-Form widmet.

Trotz der 'dunklen Materie' hört sich das Abschiednehmen oft schnell und krachend an, andererseits an anderen Stellen auch sehr leisetreterisch. Ein abwechslungsreiches Album wurde "Dark Matters" ganz gewiss, und ein gutes außerdem. Ich finde sogar ein herausragendes in der Bandgeschichte, wenn auch manchmal so minimalistisch, dass der Zugang nicht an jeder Stelle leicht fällt. Die seit 1974 aktive Band befasst sich in mitunter pastoralen Momenten mit sich selbst und dekliniert insgesamt Erfahrungen des Verlusts durch.

Dank ansprechender Melodie, und das bei Weltuntergangsszenarien und Naturkatastrophen, springt der Funke am zügigsten bei der Ballade "If Something's Gonna Kill Me (It Might As Well Be Love)" über: Ein federleicht gespieltes E-Piano relativiert die Düsternis, dagegen verstärkt eine erbarmungswürdig zeternde Mundharmonika die Wirkung von Tristesse und Zweifel.

Intro und Hook würdigen den wohl vertrauten Tastensound und Stil Greenfields vortrefflich und vermitteln ein 80er-Retro-Feeeling, so wie diese Stimmungen in der Sorge vor einem Nuklearkrieg damals klangen: pechschwarz, aber künstlerisch wertvoll Zwar beruht der ein oder andere Song auf Elementen, die Dave vor Corona hinterlassen hat. Am Gesamteindruck, dass "Dark Matters" eine Classic Rock-Platte mit diversen Ausbuchtungen in die Songwriter-Schiene, wuchtigen Indie-Pop, Post-Punk und Pomp-Sound ist, ändern die markanten und sehr schönen Keyboards-Passagen aber wenig.

Die Briten klagen über die Unabänderlichkeit der Dinge, verarbeiten Gefühle und Ohnmacht. Sie sinnieren über "Dinge, die hätten gesagt werden sollen" ("And If You Should See Dave..."). Und sie forschen dem Verbleib der Seele des Toten nach. Glasklare Storyteller-Gitarrenmusik, schnörkellos und very British. "Wenn ihr Dave sehen solltet, grüßt ihn (...) Ich sollte ihn hier treffen". Starker Tobak.

Die dazugehörigen Videoclips zeigen sich vor allem in Schwarz-Weiß, und genauso klingen auch die Lieder. "This Song" etwa vertont den Albtraum einer Verfolgungsjagd. Hart getrommelt, mit trockenem, fuzzy Gitarrenlauf. Die rein akustische Nummer "The Lines" handelt vom Älterwerden. Die Lyrikstruktur erinnert an Cohen, melancholisch und verklärt formuliert.

"Breathe" wechselt zu pumpendem Power-Rock. "No Man's Land" findet als kerniger Pub-Soundtrack mit stadiontauglichen Harmonien und Smash-Hookline zur Ska-gefärbten Stimmung der Punk-Ursprünge der Gruppe zurück. "This Song" knüpft ebenfalls an die 70er an. "Payday" peitscht mit treibendem Beat und geht mit messerscharfen Worten ins Ohr.

Das politische, episch gedrungene und massive "White Stallion" umfasst Fanfaren und Opern-Anleihen. Hier denken die Londoner über den schwindenden Einfluss 'weißer', 'westlicher' Nationen auf den Rest der Welt nach, ausgehend vom Beispiel Trumps. Ein melancholisches Essay über Macht und Schmerz. Wobei auffällt, dass The Stranglers Plattitüden zum Glück meiden. Ob die musikalische Umsetzung stimmungsmäßig an Gothic und Synth-Dark Wave oder an New Romantics anknüpft, lässt sich schwer sagen. Aber gerade dieses Zwischendrin erhöht den Reiz.

"White Stallion" enthält zudem Ausschnitte einer Orgelspur aus einer Demosession mit Dave. Der Take datiert auf die Prä-Lockdown-Zeit, als man eine zweite Amtszeit Trumps für gut denkbar hielt. Diese Aufnahme ist quasi das letzte Lebenszeichen des Keyboarders, der 45 Jahre lang bei der Band spielte. The Stranglers vermissen dabei auch dieses alte Lebensgefühl, zu den USA aufschauen zu können. Die Staaten als Land der unbegrenzten Möglichkeiten, als Vorbild. Heute beobachten sie die Schwemme in China produzierter Konsumgüter im britischen Alltag.

The Stranglers haben viel mitzuteilen und tun dies abwechslungsreich. Mal folkrockig rustikal, dann wieder mit Bläsern, oder, wie in "Breathe", massiv groovend, psychedelisch: Die Band macht es einem leicht. Leider drängt sich auf der Platte kein Über-Hit - vielleicht aber auch verständlich angesichts der Entstehungsgeschichte: Wie es gelang, die Tonspuren des Verstorbenen organisch mit den finalen Masterings zu verschmelzen und weitere Stücke ohne ihn hinzuzufügen, verdient jedenfalls Respekt.

Am Ende crasht besonders "The Last Men On The Moon" ins Ohr. Der Track schreit nach 'Laut aufdrehen!' und gesellt sich direkt zu den Alltime-Tops aller Stranglers-Songs, einer der besten Rocksongs 2021. Diese Platte sollte sich jeder gönnen, der auf anspruchsvolle Kost und berührende Momente steht.

Trackliste

  1. 1. Water
  2. 2. This Song
  3. 3. And If You Should See Dave…
  4. 4. If Something's Gonna Kill Me (It Might As Well Be Love)
  5. 5. No Man's Land
  6. 6. The Lines
  7. 7. Payday
  8. 8. Down
  9. 9. The Last Men On The Moon
  10. 10. White Stallion
  11. 11. Breathe

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