laut.de-Biographie
The Whiskey Foundation
"Vor allem natürliche, ungekünstelte Momentaufnahmen sind meine Stärke", urteilt Sänger Murat Kaydirma, Jahrgang 1988. Er spricht über sein Talent als Fotograf, denn Musik ist nicht sein einziges kreatives Terrain. Murat lichtet Essen ab, emotionale Party-Momente, Frauen - "Ladies", wie es auf seiner Webseite heißt. Er fotografiert auch Gegenstände, die in Münchens S-Bahnen vergessen werden - und porträtiert seine eigene Band. Ein weiteres bevorzugtes Motiv: Drinks, aber nicht nur Whiskey, für externe Auftragsgeber auch mal Gin.
The Whiskey Foundation startet auf der Straße, auf dem Skate-Platz in Pasing. Pasing ist ein Stadtteil im Westen Münchens. Dort skateboardet Murat als Teenager, ab 2002 ungefähr. Er filmt sich und seine Skater-Crew mit einem Hi8-Camcorder. Auf den Aufnahmen unter dem Titel "Bottomline" hört man auch Musik aus Ghettoblaster. Murat ist in seinem Element: Bilder schießen, Musik, die Teil des Settings ist, das alles ist sein Ding. 2010 ist er als Straßenmusiker unterwegs, am Sendlinger Tor, nahe dem berühmten Viktualienmarkt. Ein anderer Musiker sieht ihn, Pascal Fischer, er bringt Murat mit dem künftigen dritten Mann der Whiskey Foundation zusammen, Julian Frohwein. Julian spielt Klavier und Elektro-Orgel, Pascal die Gitarre, Murat singt - aber nicht nur, denn er hat auch ein Instrument, frei nach Dylan: die Mundharmonika!
Man jammt, hat Spaß, hinzu kommen Janis Gursky am Schlagzeug und Franz Klein (Bass). Das neue Jahrzehnt beginnt mit etwas, das man von außen betrachtet Bluesrock nennen könnte, wahlweise Psychedelic oder "zwischen The Doors und The Black Keys", wie Murat auf seiner Website schreibt. Julian hat im Gespräch mit der Münchener Abendzeitung diese Erklärung parat: "Wir sind zu dem Zeitpunkt alle auf The Doors abgefahren, vor allem Murat. Das war dann der gemeinsame Nenner, an dem wir uns orientiert haben. Led Zeppelin zu nennen, wäre zu frech. Man hört aber auch andere Einflüsse: ein bisschen Funk, Soul, Krautrock, vielleicht auch Jazz."
Ab Januar 2011 rockt The Whiskey Foundation los. Ohne zu wissen, dass noch im selben Quartal mit Joe Bonamassas "Dust Bowl" tatsächlich eine Bluesrock-Platte die deutschen Album-Top Ten knacken wird, zwischen Gangsta-Rap, Schlager, Electropop und Modern Rock damals ein unvorstellbares Event. The Whiskey Foundation treffen einen Nerv. Insbesondere, weil sie live mitreißen. So "schließen dort auch Ersthörer schon nach wenigen Minuten die Augen, um in eine andere Welt abzudriften", verspricht ein Werbetext, der jahrelang die Runde macht, um die Shows der Band anzuteasen.
Andere Stimmen loben eher sinnlich, zum Beispiel die Event-Agentur Red Alley Ventures über ein Konzert in Traunstein: The Whiskey Foundation "ließ den Schweiß von den Höhlenmauern tropfen". "Als der charismatische Frontmann Murat Kaydirma (...) "Insane Jealousy", ein langsamer Blues- und Soul-Crooner anstimmt, ist es längst um die Besucher geschehen. Sie wippen, tanzen oder tragen ihre Angebetete auf Schultern – und das bei gefühlt 40 Grad im Club. Der Großteil der Besucher ist unter den magischen 30 (...). Ein bisschen scheint das Atomic Café auferstanden, denn es hat sich eine bunte, wilde Mischung gebildet, die in München nicht so leicht zu finden ist", schwärmt etwa der Münchner Merkur über eine Performance im Indie-Club Strom und frohlockt: "Alle haben für zwei Stunden eine Zeitmaschine bestiegen, die sie ein halbes Jahrhundert zurückbeamt." Dass die Foundation "es spielend geschafft hat, die Leute zum Tanzen zu bringen (Und damit meine ich wirklich tanzen - Nicht das typische Kopfnicken, was meist damit verwechselt wird)", lobt ein Fan, der im Heidelberger Kulturhaus Karlstorbahnhof mitgeschwitzt hat.
Die Alben "Take The Walk" (April 2013), "Mood Machine" (April 2015) und "Blues And Bliss" (Oktober 2017) kommen sehr gut an und zeigen mit altmodisch gestalteten Cover-Artworks auch visuell die Liebe zu den Spät-Sixties, Early-Seventies. Bereits das zweite Album hievt die Münchner in ein spannendes Umfeld von Weltruhm: Im Sommer 2015 spielen sie Support für AC/DC in Deutschland. "Angus Young hatte seinen Enkel auf dem Schoß. Ihre Familien saßen im Backstage-Raum. Das ist nicht wie vor dreißig Jahren", ordnet Drummer Janis diese Erfahrung in der Abendzeitung ein.
Auf der Fahrt nach Tschechien im Herbst 2015 wird ein Fahrzeug der Band aufgebrochen und die Hälfte des Equipments geklaut. Rasch muss Ersatz her, hat man doch einen wichtigen Auftrag: Zwei Shows lang für Deep Purple eröffnen! Da nur noch ein paar Stunden Zeit sind, muss die erstbeste Ware herhalten. Don Airey ist nicht so beeindruckt von dem rettenden Spontankauf und verspottet die Newcomer. Die bleiben selbstbewusst und trauten sich im Gespräch mit einem Nachwuchsmagazin des BR schon von Anfang an zu, mit ZZ Top um die Welt zu touren - und dass die Rolling Stones für die Whiskey Foundation Support spielen könnten. "Also von der Power her würden wir sie locker schlagen", erklären sie im Jugendformat On3.
2018 headlinet die hochprozentige Band das PULS Festival des Bayerischen Rundfunks, den mit der Band eine ganze Reihe von Interviews verbindet. 2022 kommt gar der Kölner WDR in Zugzwang. Die Retro-Gruppe knackt eine weitere Hürde und spielt für den renommierten "Rockpalast" auf einer Flugzeug-Landebahn. Mittlerweile leistet man sich die Expansion vom Quintett zum Sextett, wobei Gründungs-Gitarrist Pascal die Band verlassen hat, und sich zwei neue Gesichter eingearbeitet haben, Simon Singer (von den Münchner Bluesrockern Velvet Smoke, um die es seit Corona still ist), und Dario Krajina, Band-Kollege aus Murats zweiter Combo: Juicy Proof. Was man über die wissen muss, formuliert Murat Kaydirma sehr forsch: "Inspiriert von der Art Hip Hop zu produzieren, kombiniert mit klassischen Einflüssen des Soul, Blues und Funk erschaffen drei Brudis ein neues Genre. Die Mischung aus frechen Beats (...), smoothen Gitarren Riffs und der unverwechselbaren Stimme (...) prooft den Juice."
Die rockigen Aufnahmen mit der Whiskey Foundation entstehen dagegen ohne freche Beats, genauer gesagt: überhaupt ohne Plug-Ins und Computer-Töne. Für Recording, Abmischung und Mastering sorgt Christian Höck vom Telstar-Studio im Herzen Münchens. Er sieht die Sache altmodisch, glaubt an zeitlose Qualität und an das Album als physisches Produkt: "Nur digital finde ich schwierig. Gerade, wenn ich Journalisten damit bemustere, glaube ich ja, dass ein schönes Cover mehr Interesse für eine unbekannte Band weckt als ein Link, über den man dann im Internet die Musik hören kann", erklärte er der SZ 2016.
Die Nostalgiker halten dem typischen alten Hammond-Sound die Treue, selbst wenn er schon mal aus einer Hohner-Orgel kommt - der Effekt ist der gleiche. Und so fühlt man sich auch mit der 2022er-LP "Leisure" zurück in eine Ära katapultiert, als Steve Winwood sich mit Klaus Schulze zum Erkunden der besten E-Orgeln im Studio traf oder Bob Mayo für Peter Frampton seine Finger in die Tasten grub. Murat und seine Band erfinden das Rad nicht neu, entblättern das Alte aber mit der gleichen Frische, wie es damals die Pioniere taten.