laut.de-Kritik
Der Methusalem der Schülerbands sagt Goodbye
Review von Bine JankowskiEine Doppel-Live-Platte mit mit rund 46 Punkrockhymnen. Hach, das erinnert an die gute alte Zeit. Da war man gerade stolzer Besitzer eines Rebellen-Starterkits ("Wir wollen nur deine Seele" von Die Ärzte, ein Nietengürtel und rote Haarfarbe) und bereit, der Welt mit erhobenen Mittelfinger und viel Pogo im Blut entgegen zu treten. Eine Attitüde, die damals wohl auch The Wohlstandskinder auf die Bühne ihrer Schul-Aula getrieben hat - vielleicht waren es aber auch die scharfen, 16-jährigen Mädels im Puplikum. Damals ahnten Honolulu Silver, Türk Travolta, Don Ludger de la Cardeneo und Raki noch nicht, dass aus ihnen einmal der Methusalem unter den Schülerbands werden sollte.
Zehn Jahre später haben sie nicht nur einige Mädchen rumgekriegt, sondern auch einen Batzen Spielerfahrung gesammelt und insgesamt sechs Alben veröffentlicht. Doch ein Jahrzehnt ist eine sehr lange Zeit, besonders für eine Funpunk-Pennäler-Band. Ende September 2005 übernahm Honolulu Silver dann die Aufgabe, der großen Fangemeinde eine traurige Botschaft zu überbringen: The Wohlstandskinder lösen sich auf. Für Honolulu ist es wie das Ende einer Beziehung: "Wenn man sich nicht mehr liebt, sollte man sich trennen". Doch ganz ohne Schall und Rauch wollen sich auch die gelernten Punkrocker nicht verabschieden. Bis Ende Dezember touren die Kids durch Deutschland. Endstation ist die Live Music Hall in Köln und natürlich schon längst ausverkauft. Wer den Ticketkauf mal wieder verpennt hat, muss nicht traurig sein. Der November läutet nicht nur die Saison der Jecken und sonstigen Pappnasen ein, es erscheint auch das Wohlstandskinder Live-Album "Zwischen Image und Gewohnheit".
Mit dem Klassiker der besten Band der Welt können die wohlbehüteten Knaben aus dem kleinen Dörfchen in NRW aber leider nicht mithalten. Zugegeben, die Titelliste ist ordentlich lang - so lang, dass neuere Titel zu Gunsten der älteren Gassenhauer draußen bleiben mussten. Jedoch vermisst man wichtige Elemente eines rockbaren Live-Konzertes, genauer gesagt: Das Gelaber! Die Wohlstandskinder verzichten auf jegliche Ansagen, präpubertäre Diskussionen oder amüsante Schmähungen gegenüber den eigenen Bandkollegen. Die Herren Urlaub, B. und Gonzales bewiesen dagegen ein derart loses Mundwerk, dass die ganzen verbalen Ausbrüche nur mit einer zusätzlichen Miniatur-CD zu bewältigen waren. Auch die Beteiligung der Fankurve lässt zu wünschen übrig, lediglich ein fordernder Sprechgesang à la "Wir wolln die Kinder sehn, wir wolln die Kinder sehn." und durchschnittlich eine Sekunde Beifall vor jedem Stück haben es auf die Platte geschafft. Der Atmosphären-Pegel stellt sich deswegen nur knapp unter dem Mindestwert ein.
Auch wenn auf Autrittsbegleiterscheinungen weniger Wert gelegt wurde, "Zwischen Image und Gewohnheit" erweist sich dennoch als solide Funpunkplatte. Mit Liedern wie "Kein Radiosong", "Groschenromantik" und "Wie ein Stern" erbt jedes Wohlstandskindeskind einen anschaulichen Querschnitt. Ein Abschiedsgeschenk, das Honolulu so kommentiert: "Danke, dass ihr uns das ermöglicht habt, wovon wir mit 16 geträumt haben. Danke für alles." Wahrheitsgemäß wurden nicht alle Teenagerträume wahr - die Jungs durften nie als Supportact für Madonna auf die Bühne. Vielleicht gibt die Mutter der Popmusik sich bis Dezember ja noch einen Ruck und schwingt zu "Rock mit mir, kleine Alien-Lady..." das Tanzbein. Die Wohlstandskinder hättens verdient!
1 Kommentar
Die ersten Platten sagen wie es ist. Danach angepaßt...