laut.de-Kritik
Zwischen allen Stühlen liegt die Freiheit.
Review von Dani FrommMan braucht nicht besonders viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass ein Musiker mit ägyptisch-tunesischen Wurzeln, der in Regensburg aufgewachsen ist und in Tschechien lebt und arbeitet, schwungvoll durch alle Raster fällt. Dass unten angekommen nicht nur Entwurzelung und das Gefühl der Fremdheit warten, sondern auch jede Menge künstlerische und inter-kulturelle Möglichkeiten, davon singt U-Cee per "International Call" mehr als ein Lied.
Gleich das "Intro" wird dem Titel ausgesprochen gerecht: Shout-Outs in aller Herren Länder Sprachen läuten sein Debüt-Album ein: "This is U-Cee calling from so far away." Die musikalische Untermalung des fragmentarischen Appetizers, klagende Streicher, ein Saxophon und wattig gedämpfte Trompete inklusive, ergäbe, dreimal hintereinander geklebt, mühelos einen weiteren vollständigen Song.
Der basslastige Reggae-Groove von "From Far Away" stimmt auf das Kommende ein. U-Cee greift mit unaufgeregtem, aber anmutigem Gesang prekäre Themen auf. Wie so oft im Conscious-Reggae sorgt gerade die Diskrepanz zwischen fluffiger Melodieseligkeit und unerfreulichen Inhalten für Spannung. "Do you hear me from far away?" Bestens, danke der Nachfrage.
Jemandem, der seine Stimme zugleich gefühlvoll und dezent, soulig, aber nicht pathetisch einsetzt, hört man ohnehin gerne zu. Ob U-Cee sich in seinem Identitäts-Findungs-Prozess begleiten lässt, seine Liebe zur Musik zelebriert, nach Atempausen im hektischen, profitorientierten Alltag ringt oder die Dancehall aufheizt, spielt dabei beinahe schon eine untergeordnete Rolle.
Die Suche nach den Roots macht "International Call" wiederholt zum Thema. "There is no country I belong to", klagt es etwa aus "The Longest Mile". Angesichts der in sich ruhenden Aura, die U-Cee verströmt, beschleicht einen allerdings der Eindruck, dass er die besungene Distanz mit fröhlich schlenkernden Armen und einem kleinen Hüpfer dann und wann zurück legt: Der Leidensdruck ob der Tatsache, in keine der gängigen Schubladen zu passen, scheint sich in Grenzen zu halten.
Abseits des Nationalitäten-Konzepts lässt sich offenbar prima als Botschafter zwischen den Stilen und Kulturen operieren. So startet beispielsweise "Southspice" mit arabischen Gesängen, die geloopt urplötzlich irgendwie indisch anmuten. Maniac von den Demograffics und die spanische Sängerin Sista Carmen, die auch noch Reggaeton ins Spiel bringt, machen den Multikulti-Bazar komplett.
Die Demograffics mischen gleich mehrmals mit. Für den zauberhaften Love-Tune "No One" steigt zudem ein gewisser King Kalabash in den Ring. Seine Zeilen als Kreolisch zu identifizieren, bedurfte tatsächlich einer Recherche.
Schade, dass gerade die Dancehall-Nummern, bei denen es besonders auf Nachdruck angekommen wäre, so komplett die Wucht vermissen lassen. An musikalischen Einfällen mangelt es weder "International" noch "One Sound". Allein es fehlt der Wumms.
Dabei könnten U-Cee und sein Produzent Djei Gogo (auch er als an der Elfenbeinküste geborener Pariser ein Kind vieler Völker) es doch: Besagtes "No One" beispielsweise fährt zu Streichern, Scratches, der Gitarre und den dudelnden Orgelklängen durchaus das nötige Bassvolumen auf. Oder das überaus stimmige "No Ifs No Maybes".
Abgesehen von der fehlenden Konsequenz, was die Bässe betrifft, macht "International Call" durchgehend Freude; am nachhaltigsten da, wo Elemente aufeinander prallen, die auf den ersten Blick nicht zusammen passen: die Violine im klassischen Reggae-Kontext von "First Love" etwa, oder die Surfgitarre in "No Ifs No Maybes". Hier entsteht etwas ganz Neues, gewürzt mit dem "Southspice".
"Wir brauchen Songs, die upliften", forderte Nosliw einst. Der Rocksteady von "Cool Me Down" erfüllt diesen hehren Zweck mühelos. Hier oder in der abschließenden Single "Sugar" (mit der sich U-Cee als tauglicher Nachfolger von Patrice empfiehlt, was macht der eigentlich?) dominiert der Soul in seiner Stimme, während er sich an andere Stelle auch als talentierter Toaster präsentiert. Sieh an: Zwischen allen Stühlen liegt die Freiheit.
1 Kommentar
An den Händen beiden
Ließ er sich nicht schneiden
Seine Nägel fast ein Jahr;
Kämmen ließ er nicht sein Haar.