laut.de-Kritik

Für eine Singstimme ist hier kein Platz.

Review von

Ulrich Schnauss ist ein ganz ganz toller Musiker. In diversen Variationen brachte er traumhaft schöne Lieder und Soundscapes unters Volk. Ob solo, oder jüngst im Verbund mit Mark Peters oder bei den Engineers, er fand stets den richtigen Ton oder Knopf, um außergewöhnliche Klanglandschaften zu erschaffen.

Mit Peters verlegte er sich darauf, den Shoegaze in analoges Kostüm zu kleiden. Anno 2013 kommen Schnauss' verträumte Sounds komplett aus der Dose. Dass diese aber nicht blechern und lieblos klingen muss, stellt er in allen zehn Songs unter Beweis. Auf Gesang muss man verzichten, aber bei einer derart geballten Melodielastigkeit ist dieser Umstand durchaus verkraftbar. Oder vielmehr noch: Für eine Singstimme hat Schnauss keinerlei Raum gelassen. Diese Musik ist instrumental ausgelegt und sollte es am besten auch bleiben.

So ganz gemächlich fließt "A Long Way To Fall" aber nicht vor sich hin. Atmosphärische Ausreißer finden in kleinen, aber gezielt eingesezten Verwirbelungen ihren Niederschlag. "I Take Comfort In Your Ignorance" wummert einem mit einem satten Bass und verzerrten Klängen, die an eine E-Gitarre erinnern, die Rübe weich. Über allem flirren Melodielinien, die rückwärts geloopt erscheinen, ehe diese verwirrende Mixtur von klaren Klängen aufgelockert werden. Wer über einen bassstarken Kopfhörer besitzt, sollte sich nicht wundern, wenn ihm beim Genuss dieses Tracks ein leichtes bis mittelschweres Schwindelgefühl überkommt. Das ist schon deftiger sonischer Tobak.

Ebenso nachhaltig auf die Zirbeldrüse drückt "The Weight Of Darkening Skies", das neben der Tieftonlastigkeit auch lustig ineinander verschobene Melodien und Oktaven und Effekte beinhaltet, dass einem vor lauter verwirrenden Eindrücken die Orientierung flöten geht. In seinen Schönklang mischt Schnauss anscheinend mit diebischem Vergnügen Töne, die etwas industrial-lastig klingen, ohne den damit typischerweise einher gehenden krachig-verstörenden Charakter mit zu transportieren. Hier wird einfach das bislang bewährte harmonische Gebilde etwas aufgebohrt und für neue Einflüsse geöffnet.

In dieser Manier bewegt sich Ulrich Schnauss auf dem kompletten Album. Lage um Lage schichtet und türmt er seine klingenden Landschaften zu barocken Ungetümen auf. Wer auf den etwas reduzierteren Sound steht, könnte unter Umständen meckern. Wem das schnuppe ist, darf sich auch einfach fallen lassen.

Trackliste

  1. 1. Her And The Sea
  2. 2. Broken Homes
  3. 3. Like A Ghost In Your Own Life
  4. 4. A Long Way To Fall
  5. 5. I Take Comfort In Your Ignorance
  6. 6. A Forgotten Birthday
  7. 7. The Weight Of Darkening Skies
  8. 8. Borrowed Time
  9. 9. Ten Years
  10. 10. A Ritual In Time And Death

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LAUT.DE-PORTRÄT Ulrich Schnauss

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2 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 11 Jahren

    Hat mich sehr überrascht. Ein Freund von mir bezeichnet Ulrich immer als "the poor man's Tim Hecker", aber A Long Way hat zumindest meine Meinung geändert. Äußerst abwechslungsreiches album. Vor allem die ambient und soundtrack-artigen tracks sind verdammt gut. A Ritual in Time and Death könnte sogar von irgend einer indietronics Band stammen.

  • Vor 7 Jahren

    Sehr gelungenes Album derweilen Schnauss sowieso schon lange ein Geheimtipp ist was gute elektronische Musik anbelangt. Anzuerkennen ist ihm auch das er nicht krampfhaft versucht etwas Poppiges bzw. mehr für den Mainstream zu machen wie z.B. Schiller (der damit irgendwie eher gescheitert ist). Er bleibt sich treu und das kaufen ihm die Leute auch ab.