21. September 2010

"Ihr Deutschen habts einfach voll drauf!"

Interview geführt von

Rick Smith und Karl Hyde sind als Duo Underworld seit zwei Jahrzehnten fester Bestandteil der elektronischen Dance-Szene. Ihre Konzerte inszenieren sie als ekstatische Techno-Parties. Mit "Barking" veröffentlichten sie ihr achtes Album.Karl Hyde ist ein redseliger Mensch. Im Gespräch mit ihm spürt man, dass er trotz all der Routine nach wie vor daran interessiert ist, aufrichtig über Musik zu sprechen. Für das neue Album "Barking" arbeiteten er und Smith mit zahlreichen jungen Künstlern zusammen.

Wie kamt ihr auf die Idee, neue Leute als Produzenten mit ins Boot zu holen?

Karl Hyde: Seit 20 Jahren wird unsere Musik jetzt geremixt und oft waren wir echt frustriert, denn die Remixes waren sehr inspirierend und wir hätten sehr gerne mit den Leuten weiter an unseren Songs gearbeitet. Aber logischerweise war es dann zu spät. Wir mussten immer wieder feststellen, dass wir gerne vor der Vollendung eines Albums mit den Remixern an den Songs gefeilt hätten.

Beim letzten Album probierten wir die Idee mal aus, aber sie funktionierte noch nicht perfekt. Also wollten wir es besser machen. Je länger du als Musiker dabei bist, desto offener wirst du, dich anderen Ideen zu öffnen. Du willst einfach mehr lernen.

Wen von euren Wunschpartnern konntet ihr nicht für "Barking" gewinnen?

Niemanden. Es war toll, alle Leute zusammen zu bekommen, die auf unserer Liste ganz oben standen.

Wie gestaltete sich die Zusammenstellung dieser Wunschliste? Habt ihr die Leute anhand von eigenen Lieblingssongs ausgewählt oder spielten da auch persönliche Dinge oder Freundschaften eine Rolle?

Einige haben Platten gemacht, die uns viel bedeuten, etwa High Contrast. Deren zweites Album "High Society" ist unglaublicher, uplifting Drum'n'Bass. Seit wir das zum ersten Mal hörten, wollten wir mit Lincoln Barret zusammenarbeiten. Appleblim dagegen legte oft vor unseren Shows auf und wir mögen auch den Dubstep-Vide der Skull Disco-Veröffentlichungen sehr.

Mit Mark Knight und D. Ramirez haben wir ja schon letztes Jahr für die Single "Downpipe" zusammen gearbeitet und das klappte so hervorragend, dass wir sie unbedingt wieder dabei haben wollten. Sie durften sich dann einen Song aussuchen.

Appleblim steht ja für die neue Dubstep-Generation. Wie steht ihr dem Sound generell gegenüber?

Wir wurden da durch das tolle Burial-Album hingeführt. Es ist fantastisch, was da alles passiert. Die ganzen Sachen auf Skull Disco, die Arbeit von Leuten wie Shackleton oder Appleblim, das alles inspirierte uns sehr.

Dubfire veröffentlichte in den 90ern unter dem Namen Deep Dish. Mochtet ihr diese alten Sachen auch?

Ja, wir waren damals schon Fans. Sie hatten einen legendären Ruf für qualitativ hochwertige Musik. Dubfire wurde uns im Vorfeld der Aufnahmen vorgeschlagen und wir fanden die Idee spannend. Wir trafen ihn dann letztes Jahr bei einem Konzert in Rumänien und erfuhren, dass er früher als Gitarrist unterwegs war. Er ist ein Musiker mit einem fantastischen Ohr.

"Neu!, Faust und Kraftwerk sind die Wurzeln"

In euren Anfangstagen habt ihr mit Darren Emerson zusammen gearbeitet, der ebenfalls aus dem DJ-Kontext kam. Was ist heute anders an eurer Arbeitsweise?

Damals in den 80ern, als wir das erste Underworld-Album machten, suchten wir nach einem Funk-DJ, der auch Bass spielen kann. Darren war erst 19 und blieb dann eine ganze Weile dabei. Eigentlich kann man sagen, dies war schon immer unsere bevorzugte Art zu arbeiten: Junge Leute in die Band zu holen, die ihren Geist, ihre Leidenschaft und ihre Attitüde mit einbringen. Wenn du als Musiker ein bestimmtes Alter erreichst, ist es einfach notwendig, sich mit jungen Leuten auszutauschen.

Hast du denn noch Kontakt zu Darren?

Nein. Wir sind noch immer befreundet, aber unsere Lebenswege sind eben auseinander gegangen und wir wohnen ewig weit auseinander. So läuft es eben manchmal. Man spricht ein paar Jahre nicht miteinander, trifft sich dann und alles ist wie früher.

Auf eurer neuen Platte ist auch Paul van Dyk vertreten.

Ja und darüber sind wir sehr froh, denn wir steckten gerade ziemlich in einem Song fest und dann kam Paul dazu und fand eine Lösung. Sehr angenehm.

Gab es denn hinsichtlich deutscher DJs oder Produzenten noch Kandidaten für "Barking" außer van Dyk?

Eigentlich nicht. Aber wo du mich gerade danach fragst: Seit etwa zwei Jahren krame ich immer wieder die alten Elektronik-Platten aus Deutschland heraus. Du weißt schon, Neu!, Faust, Kraftwerk und La Düsseldorf. Das waren die Platten, die Rick und mich damals überhaupt erst dazu bewogen haben, gemeinsam Musik zu machen. Das sind die Wurzeln.

Und hier in Köln sitze ich jetzt, eigentlich gar nicht so weit weg von all den großen Orten. Köln war auch die erste deutsche Stadt, in die ich je geflogen bin, um dort mit Conny Plank zu arbeiten.

Apropos Köln, hast du nachher noch Zeit für einen Besuch im Kompakt-Shop?

Oh, leider nicht, wir müssen sofort weiter. Sehr schade. Ich liebe Kompakt. Ein Top-Label.

Wie gut kennst oder verfolgst du deren Veröffentlichungen?

Ziemlich gut. Einer unserer Manager hat einen engen Draht zu Kompakt, so dass wir immer ganz gut informiert sind. Dieser Minimal-Sound ... ach, ihr Deutschen habts einfach voll drauf! Ihr kitzelt die coolen Sachen aus den Maschinen raus. (lacht)

"'Born Slippy' ist ein tolles Stück Musik"

Mittlerweile ist es 15 Jahre her, seit "Born Slippy" erschien und euch im Verbund mit dem Film "Trainspotting" weltberühmt machte. Wie fühlt es sich eigentlich an, eine Dekade geprägt zu haben?

Ach, im Prinzip bedeutet es mir nichts. Die Vergangenheit liegt hinter uns, jetzt geht es uns um die Gegenwart.

Aber die Veröffentlichung war doch ein gravierender Punkt in eurer Karriere. Ihr könnt "Born Slippy" ja nicht ignorieren, oder?

Nein, das wollen wir auch nicht. Es ist ein tolles Stück Musik, das viele Menschen glücklich macht. Und so lange dies noch der Fall ist, freuen wir uns, es spielen zu können.

Wann hast du den Song zum letzten Mal unbeabsichtigt gehört?

Vor zwei Wochen bei unserem Konzert in Australien. Okay, so unbeabsichtigt war das auch nicht. Nein, im Ernst: Gerade vor ein paar Tagen. Ich machte den Fernseher an und dort lief auf BBC zum 40. Jahrestag eine Dokumentation des Glastonbury Festivals. Irgendwann kamen dann Ausschnitte von unserem Auftritt.

Was geht dir durch den Kopf, wenn du alte Auftritte von dir siehst?

Oh, vor allem lernt man da eine ganze Menge. Man beobachtet die eigenen Bewegungen, den Kontakt zum Publikum und die Fähigkeit, die eigene Musik den Leuten zu vermitteln, die zum Feiern gekommen sind.

Gab es ein paar Bewegungen, die du heute nicht mehr bringen würdest?

Einige. Über ein Baugerüst würde ich heute sicher nicht mehr klettern. Da waren schon Sachen dabei, die mich hätten umbringen können. Tja, Glück gehabt.

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