laut.de-Kritik
Starke Messages, starke Stimmen, starker Groove.
Review von Philipp KauseEin Riddim enthält zwar nur einen Song, doch dieser hier, der "Female Reggae Voices Riddim" leistet mehr als die üblichen Vertreter dieses Formats. Der Schweizer Res Staudenmann hat das Musikbett mit zwei Herren komponiert und arrangiert und die Female Singers aus zehn Ländern zusammengetrommelt. Am Mikrofon treten in ausnahmslos guten bis sehr guten Beiträgen ausschließlich Frauen an. Obwohl bis heute, und trotz Initiativen wie KeyChange und HelvetiaRockt etliche Festival-Veranstalter davon sprechen, es gebe ja "zu wenig Frauen" im Reggae-Business (man könne ergo gar keine buchen oder nur ab und an mal ein, zwei Quoten-Ladies).
#metoo war nicht folgenlos im Reggae. Ein Digital-Vertrieb schickte sich schnell an, die 'Divas Of Dancehall' zu einem durchaus geschmackvollen Sampler zusammenzupuzzeln. Im Dub entstand die Compilation "Woman On A Mission" (2018) unter Federführung der englischen Vibronics. Das Münchner Label Oneness punktete mit einschlägigen Namen auf dem eingängigen "Lioness Order Riddim" (2019), und Protoje trommelte vier junge Damen aus seinem Umfeld für den ebenfalls rein weiblich besetzten "Rock & Groove Riddim" zusammen. Auffallend ist die hohe Qualität, die all diesen Releases gemein ist. So auch auf dem Schweizer One Drop-Exemplar.
Musikalisch erlaubt es den Singenden große Spielräume. Das dominante, federnde Schlagzeug erzeugt eine vibrierende Atmosphäre, Bass und Keyboards kommen hinzu, insgesamt entrollt sich ein organischer Riddim, ohne Laptop-Charakter. Doch er ist zurückhaltend, die Melodie kaum präsent und der Gestaltungsfreiheit und den Tonhöhen der Mitwirkenden überlassen. Im wahrsten Wortsinne leistet Staudenmanns Unterleger eine rhythmische Untermalung.
Wo sonst bekanntere Namen die unbekannteren mitziehen sollen, pendeln die hier vertretenen Sängerinnen durchweg um ihr erstes oder zweites Album herum. Bekannteste Vertreterin: die in Bayern aufgewachsene Zoe, deren soulverwandtes, ruhiges Album "Exile African" 2004 immerhin Platz 41 der deutschen Charts erreichte - andere Zeiten, die aber zeigen, dass die Segmente Soul, Reggae, World mal einen besseren Stand hatten und Female Acts in der damaligen Neo-Soul-Phase nichts Besonderes waren. Im Gegenteil, die letzten 15 Jahre waren wohl ein Rückschritt in Sachen Feminismus, in vielen Musikgenres. Klar, dass da auch viele Beiträge direkt aufs Gender-Thema, auf Blackness und soulige Ursprünge des Reggae referieren, so der Opener "Queen" der charismatischen Newcomerin Joby Jay.
Ihre Stimme wirkt so kindlich wie energetisch, will Frauen mitreißen, ihnen ihren Wert verdeutlichen. Gesangstechnisch ein denkbar guter Einstieg, der mit diversen Stilmitteln von näselndem Timbre über Vibrato bis hell-dunkel-Wechseln der Stimmfarbe spielt und auf Patois und Kingston-Ghetto-Insignien verzichtet.
Zoe lässt die Löwin in der Frau brüllen, und auch sie moduliert in "Let The Fire Burn" spannend, bei "roar my lioness, roar our tigeress" faucht sie, fordert dann in schwebenden Vokalbögen "same rights for all, until equality", bis sie heiser das Feuer verkörpert, mit dem sie Ungerechtigkeiten wie etwa Rassismus bekämpfen will. Am Ende ummalt ein skandierender Sprechchor und ein Echo-Sample ihrer Stimme ("no justice / no peace!") ihre gesungene Anklage. So wie hier gehen etliche Tracks in Richtung Appell, z.B. "Free Up" mit der dunklen Stimme der Holländerin Samora (mit Latina-Wurzeln), die gegen Genörgel und negative, determinierende Denkmuster schimpft und hier mehr die Sing-Jane als die Sängerin gibt.
Dies ist kein 08/15-Riddim, auf dem alle betont gleich klingen wollen. Derartige Produkte überschwemmen in den letzten Jahren den Markt und tarieren mit Auto-Tuning aus, wenn Musikunterleger und Stimme nicht zusammenpassen. Hier dagegen herrscht eine breite Palette an Ausdrucksformen vor: von Flüstern über Hinausschreien, vom herausgeschmetterten "All I Want" der Afro-Italienierin Sista Awa Fall bis zum zarten "Skee-bee-dee-doo-bee-doo-bee-doo"-Intro und Rocksteady-Feeling in SumeRR's Beitrag "Black", dem es aber lyrisch nicht an Deutlichkeit mangelt.
Zwei sehr entdeckenswerte junge Stimmen aus Frankreich und der Schweiz klettern hier sozusagen aus dem Reggae-Underground auf ein höheres Plateau: die im schnellen Raggamuffin-Silbenjonglieren bereits erstaunlich fitte Delphine und die soulig-kehlige Naïma, deren Intensität in "Rise And Shine" sofort catcht. Zwei Songs nehmen auf die Folgen von Corona Bezug: Rosh Rebel sucht in "Testimony" mit Gottes Hilfe den Weg aus dem Stimmungstief, Jo Elle in "Soulmate" mit Hilfe von Freundschaft. Neben einem sehr angenehmen Beitrag zweier Brasilianerinnen und Stimmen aus den USA, Spanien und England ist Deutschland noch mit TriXstar repräsentiert. Idee und Umsetzung des Riddims: beides erste Klasse!
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