laut.de-Kritik
Melancholischer Postrock voller Literaturreferenzen.
Review von Oliver LambrechtWarum nennt eine Band ihr Album "B-Seiten"? Soll das ein verschroben humoristischer Ansatz sein? Im Fall von Verstärker, so viel sei vorweggenommen, ganz sicher nicht. Vielleicht dient der Titel eher als Hinweis auf Außergewöhnliches? Etwas, das sich im Gegensatz zu so mancher A-Seite weniger leicht erschließt? Schon eher.
Denn "B-Seiten" enthält mehr als 78 Minuten Musik, die Zeit und Raum beansprucht. 17 Geschichten, die teilweise für sich stehen ("Kollege Bob"), teilweise mit anderen eine Sinneinheit bilden ("Solaris" I-IV, "Lyrik" 1 & 2). Selten durch Gesang ergänzt, meistens aber mit einer klanglichen Intensität, der man sich nur schwer entziehen kann.
Durch die regelmäßige Zerstückelung in kleine Einzelteile drängt sich jedoch kein Track mit Hitpotenzial auf. Etwa der Song "Träumen": für sich genommen ein schönes verträumtes Stück, ein Abbild unterschiedlicher Schlafphasen. Sehr gelungen auch die Umsetzung anhand variierender Rhythmen und verzerrter Gitarren. Aber die volle Wirkung erzielt "Träumen" erst im Gesamtkontext mit "Einschlafen", "Traumeln" und "Aufwachen". Gleiches muss der "Solaris"-Tetralogie attestiert werden, was diese Lieder nicht gerade für Radio-Airplay prädestiniert.
Eine Stärke der Songs liegt in den Spannungsbögen, die auch über sechs Minuten hinweg keine Zeit für Langeweile lassen. Jedes einzelne Instrument erzählt einen eigenen Teil der Geschichte, was genaues Zuhören unabdingbar macht. Nur gelegentlich mangelt es an einer kräftigen Portion Rumms - "Kollege Bob" biegt das aber im Namen des Rocks wieder gerade.
Inhaltlich verlässt sich die Band häufig auf Zitate voller Melancholie als "atmosphärischen Kontrapunkt". Das gelingt freilich nicht immer: Die Lyrik des Schriftstellers Theodor Storm – im Lied "Storm" neben Klangflächen platziert – driftet leider schnell ins Nebensächliche ab. Die originären Texte drehen sich hingegen eher um eigene Befindlichkeiten und Beziehungskisten; hinter den Fremdbeiträgen bleiben sie aber zurück.
Die Übergänge zwischen den einzelnen Stücken sind teils sehr fließend. Dennoch passt das Attribut "leicht zugänglich" wirklich nicht zu dieser Band – auch wenn verzerrte Hall-Gitarren das Eintauchen ein wenig erleichtern. Das gelingt vor allem in "Die Neue Traurigkeit" ganz hervorragend: Neun Minuten Trauer, Verzweiflung, Wut und Hoffnung ohne ein einziges gesungenes Wort, aber trotzdem enorm ausdrucksstark. Verstärker liefern ein sehr ambitioniertes Werk ab, dessen Live-Umsetzung äußerst spannend geraten dürfte.
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