1. März 2019

"EDM beweist, dass in unserer Zeit viel falsch läuft"

Interview geführt von

Wir treffen den Altvordersten der deutschen Tanzelektronik zum Gespräch. Westbam ist redselig, bester Laune und hat vor allem eine dezidiert klare Meinung.

Kendrick Lamar, Tyler The Creator und Drake: Westbam bringt auf seinem neuen Album "The Risky Sets" mit zahlreichen Gästen die Essenz seines jahrzehntelang kultivierten DJings auf den Punkt. Doch Maximilian Lenz, wie er bürgerlich heißt, ist nicht nur Techno-Pionier, sondern auch ein begnadeter Erzähler, als der er uns zum Gespräch in Berlin-Mitte empfängt. Neben Produktionstechniken, Fakten zum neuen Album und Gedanken übers DJing erläutert er außerdem, warum er EDM so unsagbar scheiße findet.

Wenn du dich als DJ heute mit dem jungen Westbam vergleichst – siehst du gravierende Unterschiede?

Westbam: DJing ist eine Erfahrungswissenschaft. Ich würde nicht sagen, dass ich in den 80ern unoriginell war, das war schon avantgardistisch. Damals gab es ja kaum Leute, die als DJ selbst gemischt haben. Aber wenn du 40 Jahre in die Waagschale wirfst oder vier Jahre, das macht einen Unterschied. Wenn 40 Jahre musikalische Erfahrung in deinen Tracks mitschwingen, ist das spezieller, als wenn du deine ersten Gehversuche machst. Das gilt eben auch als DJ: wenn du Beats mixt mit 40 Jahren musikalischer Lebenserfahrung. Ich mache heute Sachen, die hätte ich mit 18, 25 oder 30 Jahren noch nicht gekonnt.

Dass muss ja nicht heißen, dass ich jetzt meinen größten Erfolg habe, weil ich jetzt am besten bin. Das mit dem Erfolg ist nochmal eine ganze andere Sache. In den 1990ern gab es ähnlich talentierte Leute, die aber was hatten, was eben nicht so gut in die Zeit passte. Leute, die aber auch ganz großartig und toll waren. Aber die Zeit sucht sich das, was sie braucht. Das ist auch okay. Ich freue mich natürlich über Erfolg und glaube auch, dass mein neues Album gut laufen wird. Aber ich bin da auch nicht panisch. Wenn das Album niemandem gefallen würde, würde ich trotzdem nicht glauben, dass es schlecht ist. (lacht)

"The Risky Sets" kommt ja mit einigen starken Kollaborationen daher, darunter Kendrick Lamar und Tyler The Creator. Wie lief das ab?

Ich habe keine Berührungsängste. Ich würde sogar mit Bonnie Tyler arbeiten. Als ich damals mit Nena zusammen gearbeitet habe, sagten alle: "Ach Nena, wie kann der nur, das ist doch Pop." Ich fand sie als Sängerin gut, hatte diese Idee mit "Oldschool Baby" und sie gerade in einer Radiosendung kennengelernt.

Die Hip Hopper auf dieser Platte sind aber aus einer anderen Generation. Tyler The Creator hat mir Guido (sein Manager, Anm. d. Red.) vorgestellt, seine Musik kannte ich nicht. Aber ich habe zu Hip Hop natürlich gleich eine Meinung, und Tyler fand ich großartig und krass. Wir haben bei ihm angefragt und er hat uns etwas geschickt. Bei seinem Part hört man Hintergrundgeräusche, Kinderschreien, ein Tuten – wie von einem Anrufbeantworter. Im Nachhinein glaube ich, der hat in sein Telefon reingesprochen, als er über die Straße ging. Das hat er uns dann geschickt. Manche würden vielleicht sagen: "Na, der hat sich da ja gar keine Mühe gegeben." Aber nein: das ist großartig, das ist genau die Art und Weise, wie man eigentlich Musik machen sollte. Drake arbeitet ganz anders, er hat alles genau auf die Musik eingepasst. Wir haben das vor drei Jahren aufgenommen, damals war der zwar auch schon groß, aber heute würdest du den wahrscheinlich gar nicht mehr dazu bringen.

Tyler rappt zum Beispiel "I got so many germs, I feel like Adolf", ich denke, das ist schon speziell für mich gemacht, wenn auch schnell im Vorbeigehen. Wiz Khalifa hat uns hingegen einfach einen Schnipsel angeboten, den er schon hatte. Es ist mit diesen Leuten nicht so, dass man zusammen im Studio sitzt und Joints raucht, meistens trifft man sich gar nicht. Aber es kann auch mal was passieren, ich hab mit Eißfeldt im Studio gearbeitet, mit Dieter Meier oder mit Nena. Aber vom DJ-Standpunkt aus gesehen ist mir sowieso am allerliebsten, wenn wir jemand was schickt, mit dem ich rumspielen kann. Ich bin nicht wild darauf, mit Leuten Vocals aufzunehmen und sagen zu müssen: "Nee, mach diese Phrase mal anders."

Du arbeitest also am liebsten mit Samples?

Ja, genau. Ich hab alles schon gemacht: Platten gesampelt, Vocals im Studio aufgenommen, Vocals geliefert bekommen. Aber wenn ich die Wahl hätte, würden mir alle nur ein paar Vocals schicken. Gerne auch unfertige Sachen, das geht mit Hip Hoppern. Rockmusiker mögen das nicht, die wollen immer den ganzen Song. Das sind Perfektionisten, die wollen eine Bridge, einen Chorus. Das finde ich immer schade, wenn mir jemand sagt: "Ich hab da was, aber das ist nicht fertig geworden." Denn die schicken mir das dann nicht. Aus den Sachen könnte ich garantiert was machen.

War Iggy Pop auch so?

Iggy Pop war schon sehr cool. Der fand die Musik gut, der hat sich auch wirklich Gedanken gemacht. Der hat über die Germans gesungen: "One million Germans on dope, dancing a dance on dope". Ich schätze, er hat ein Video von der Loveparade gesehen. Es hat ihm auch gefallen. "I just finished the track and it's a motherfucking killer", hat Iggy uns später geschrieben.

Dein Track mit Kendrick Lamar heißt "My Couch Is A Pornostar", das ist jetzt nicht unbedingt eine Hook, die man sich von Kendrick erwarten würde.

Ich bin ein großer Hook-Freund. Es heißt immer, Lil Wayne ist so gar kein Hooktyp und ich glaube, bei Kendrick ist das ähnlich. Mein Techno-Ding lebt ja vor allem vom Wiederholen. Ich habe lieber einen Takt, wo was ganz Tolles passiert, als 32 Takte, in denen über 3000 Sachen geredet wird. Deswegen suche ich, wenn ich ein paar Zeilen Rap habe, immer nach irgendetwas. Bei Kendrick war es eben "My Couch Is A Pornostar", das finde ich surreal. Wenn ich sagen würde "Ich bin ein Pornostar und hab jetzt Sex mit euch allen" wäre das banal. Aber wenn es die Couch ist, ist das surrealistisch. Das ist dieser kleine Twist. "My house is a red light district and my couch is a porno star", das ist so slightly off, ein bisschen Ghetto, aber eben auch surrealistisch.

Ich hatte eine Figur, die ich geliefert bekam und die mit den Worten losging, wenn ich mich richtig erinnere. Ich liebe ja Vocals, aber einfach erster Verse, zweiter Verse, dritter Verse und dazwischen etwas anderes ist mir zu blöd. Ich überlege, wie ich die Worte über meine Beats kleckere, dass es schön ist. Ich wiederhole diese Worte also, später lasse ich schon mal ein paar Takte laufen, dann fällt es aber zurück in diese Phrase. Am Schluss gibt es dann ein paar Beats, wo er wie aus dem Blauen heraus etwas reinquatscht. Das war meine Idee, da gibt es keinen Kendrick Lamar, der sagt, wie er das haben will. Ich hoffe natürlich, dass es ihm gefällt, falls es ihn überhaupt interessiert.

Das ist für mich aber nicht das entscheidende. Ich möchte ihm nicht Unrecht tun und dessen Kunst missbrauchen, aber natürlich muss ich das in meinem Kontext stimmig verarbeiten. Es hat dann nicht den Anspruch, ein Kendrick-Lamar-Track zu sein oder ein Lil-Wayne-Track, es ist etwas anderes. Wenn es ihnen nicht gefällt, dann bin ich schuld. Da kann man denen keinen Vorwurf machen oder einen Strick daraus drehen, die künstlerische Verantwortung liegt bei mir.

"Vinylauflegen das einzig wahre Handwerk? Sorry!"

Hat sich deine Art, im Studio zu produzieren, verändert?

Als ich angefangen habe, elektronische Musik zu machen, war das wahnsinnig kompliziert. Mischpult, Kanäle routen, Effekte einschleifen, Klicktracks aufnehmen, Keyboards, Stimmen, it was a drag. Über die Jahrzehnte wurde das viel leichter, das habe ich aber lange nicht festgestellt. Irgendwann hat man mir Ableton (Software, Anm. d. Red.) gezeigt. Da war ich kein Avantgardist, Ableton gab's damals schon lange. Aber ich habe gemerkt, dass ich das kann. Ich war für dieses Album nicht im Studio, ich habe alles am Laptop gemacht. Ich versuche nur mit dem Laptop auszukommen. Als DJ nehme ich auch Sounds von Youtube und verfremde die. Aber ich versuche es zu vermeiden, dass ich was dazuschalten muss. Ich habe das ganze Album ohne Keyboards gemacht, wobei, nicht ganz, eine Line von dem Drake-Stück habe ich noch ganz oldschoolig auf dem Keyboard gemacht. Der Rest ist nur am Rechner entstanden, mit einfachsten Mitteln. Das kann jeder. Das kostet nur 1000 oder 2000 Euro. Es ist einfache Musik und einfach gemachte Musik. Du musst nicht viel üben, um das zu können, du musst kein großer Meister sein, du brauchst kein Riesenstudio. Es ist die Punkrock-Idee.

Der Laptop hat die elektronische Musik ja quasi endgültig demokratisiert.

Absolut. Ich finde es ja schade, wenn Leute schimpfen, dass jetzt jeder mit Automation mixen und Musik machen kann, weil es Ableton gibt oder Musik hochladen kann, weil es YouTube gibt. Ja und, ist das nicht schön? Ist das nicht wunderbar? Wie ständisch die Leute in ihrem Kopf sind! Diese Leute finden, dass ich als DJ eine Vertretung bin, so wie in der DDR damals der staatlich geprägte Diskotheker, richtig mit Zertifikat! Früher musstest du Hits haben, eine Plattenfirma überzeugen und die musste eine Radiostation überzeugen oder die VIVA-Konferenz. Ja, es ist heute ein bisschen schwer, weil es jeder kann, aber soll ich mich beklagen?

Eine Welt, in der tausende Leute jede Woche ihre Musik auf Beatport hochstellen ist eine bessere Welt. Lasst die Leute kreativ sein! Ich inspiriere gerne Leute dazu, künstlerisch zu leben. Ich möchte den Leuten nicht sagen, wie kompliziert das ist. Am Ende des Tages hast du einen Track zusammen und nebenbei kochst du deinen Kindern Kartoffelsalat. Während du nach dem Herd guckst, machst du das hier leiser und das hier lauter, dann fällt dir ein Sample ein, dass du dir auf iTunes holst. Das ist das perfekte Leben und das ist die perfekte Art, künstlerisch zu leben. Es ist genau wie Karl Marx gesagt hat: Die Utopie, dass du morgens der sein kannst und abends ein anderer, ein Künstler, ein Bildhauer. Ich kann morgens ein Maler sein, mittags ein Hitproduzent und abends ein Textdichter und Covermaler und fabriziere nebenbei noch einen Schweinsbraten und Serviettenknödel. In anderen Worten: mein ganzes Leben ist ein Traum. Ich möchte mit dem Album "The Risky Sets" allen Menschen Mut machen, es genau so zu machen.

Es gibt aber auch das Auflegen. Da gibt es die Romantiker, die mit kofferweise Vinyl zum Auftritt fahren – wie machst du das?

Ich habe das Jahrzehnte so gemacht. Das war auch toll, das war die Erfindung eines neuen Künstlers. Als ich 1983, 1984 angefangen habe, gab es nicht den DJ als Künstler. Ein paar wenige bekannte DJs legten in der Paradise Garage auf oder im Warehouse in Chicago. Die haben aber nicht jedes Wochenende woanders gespielt. Ich war der erste mit Platten im Flightcase, der jeden Tag woanders war. Wenn mir heute jemand erzählt, dass nur das Vinylauflegen wahres Handwerk sei, sorry, ich beherrsche das auch noch, aber jetzt habe ich einen Stick und spiele an den meisten Abenden etwas, das ich mir drei Stunden vorher im Hotelzimmer ausgedacht habe. Davon hätte ich damals geträumt, als ich drei Monate lang an einer Platte gearbeitet habe und dann drei Monate auf die Pressung warten musste. Was ist das für ein Unterschied: drei Stunden gegenüber sechs Monaten!

"EDM ist stumpfsinniger Blöd-nach-vorne-peitschen-Schwachsinn"

Worin unterscheidet sich für dich "The Risky Sets" von "Götterstrasse"?

"The Risky Sets" bringt es mehr auf den Punkt. "Götterstrasse" war eine Reflexion von außen, sehr abstrakt. Es war nicht aus einem DJing heraus gedacht. Es war ein Denken über das DJ-Ding, über das Nachtleben. "The Risky Sets" zoomt da wieder weit rein. Es ist Disco, es ist Party, Spaß, aber nicht primitiv, sondern euphorisch. Mehr Giorgio Moroder als Studio Köln oder John Cage. Auch Popmusik für mich. Es muss eben nicht so klingen wie EDM, weil das heute alle hören. EDM könnte ich nicht machen. Für solche Leute könnte ich nicht auflegen. Wenn ich auf einem Festival spielen müsste, wo die sowas hören wollen, würde ich zuhause bleiben. Ich will denen nicht den Abend verderben. Ich bin schon bereit, auf Leute zuzugehen, aber es gibt auch den Punkt, an dem man sagen muss: Wenn wir keine Themen haben, dann sollten wir auch nicht sprechen (lacht).

Wenn ich sagen muss: Ey, ich finde es einfach nur scheiße, wer ihr seid, was ihr hört, wie ihr euch aufführt, wer eure DJs sind, was eure Beats sind. Es tut mir leid, da geht nichts. Ich würde euch gerne helfen, ich wäre bereit, aber ihr wollt es gar nicht. Ihr wollt ja so sein. Dann bleibt so wie ihr seid und lasst mich da raus.

Was stört dich an EDM?

Es ist interessant, weil es ja eigentlich knapp vorbei an dem ist, was ich mache. Ich habe nichts gegen effektive Partymusik, aus meiner 90er-Jahre-Erfahrung heraus. Das versuche ich ja auch auf meine Art. Ich möchte die Leute ja auch irgendwo peitschen und in so eine Euphorie bringen. Bloß ist es so eine Art kalkulierter, weißer, desinteressierter, stumpfsinniger, Blöd-nach-vorne-peitschen-Schwachsinn. So eine Musik ist für mich derselbe Schwachsinn, den ich an Donald Trump ablehne. Wobei ich Trump wenigstens lustig finde.

Aber Deadmau5 zum Beispiel findest du nicht lustig.

Nein, aber es gibt noch schlimmere Sachen als Deadmau5. Tritt der immer noch mit seinem Mauskopf auf? Oder der andere, der den Leuten immer eine Torte ins Gesicht schmeißt und die Leute, die da vorne stehen, sind die Auserwählten und müssen sich ins Gesicht lecken und lachen und sich freuen. Das ist doch einfach nur traurig. Wenn der Stagemanager mit seiner ollen Torte ankommt, weil die Leute auf diese Scheißtorte warten und die wieder fliegen muss, es ist alles ein einziger Dressurakt. Das ganze Set ist von vorne bis hinten abgekartet, weil er zur Pyroshow und zur Laserprogrammierung passen muss. Deswegen ist das gar kein DJing mehr. Da steht nur ein Typ, der seine Torte schmeißt. Der kann ja gar nichts mehr anderes machen. Da ist doch kein Platz mehr für Freiheit.

Und von was handelt gute Musik? Von Freiheit. Das ist aber wie aus so einem scheiß Musical, und Musicals finde ich auch so scheiße. Da ist es mir lieber, Jim Morrisson kommt auf die Bühne, Schoolly D vergisst seine Texte, James Brown fällt auf die Schnauze - das ist menschlich. Das ist auch "Risky Sets": Nur die Chance, dass mal was schiefgehen kann, ist die Erlösung in dieser verkackten Welt, wo nichts schiefgehen kann und schiefgehen darf und schiefgehen wird, weil alles perfekt programmiert ist. Es gibt ja noch zehn Backup-Systeme und jede Freude und jede Begeisterung kommt an der richtigen Stelle. Und alle sind sie aufgedreht wie Duracell-Gestalten. Und wenn uns jemand vorwirft, auch so gewesen zu sein: Das schau dir nochmal an, dieses ganze Rave-Ding, das war auch auf die Knochen, aber so dilettantisch und improvisiert. Die Leute fragen immer: War das nicht auch ein Kalkül? Ja, irgendwann wird alles zum Kalkül, aber die meiste Zeit war alles außer Kontrolle.

Da kam "Somewhere Over The Rainbow" mit 160 BPM und ner Stimme, die nur den Refrain singt, das hatte man noch nicht gehört. Klar, irgendwann kippte das um dann wurde es zu Blümchen, und dann war es auch scheiße. Aber EDM war von Anfang an das weiße, amerikanische Echo auf das weiße europäische Echo auf den schwarzen, schwulen House-Sound aus Chicago. Das weiße, europäische Echo fand ich ja noch gut, aber das weiße amerikanische, das ist so etwas Menschenverachtendes. Dieses House-Ding ist das tolle Amerika, das schwarze, das schmutzige, das erfrischende, das anarchistische, das gegenkulturelle. Aber dann dieses weiße Echo, egal ob das REO Speedwagon oder Foreigner ist oder EDM, da fehlts dann echt an allem.

Du bezeichnest EDM ja als belanglos, dekadent – hat das für dich Parallelen zu anderen gesellschaftlichen Phänomenen?

EDM beweist, dass in unserer Zeit viel falsch läuft. Das ist Trump. Der ganze Größenwahn, der ganze Rassismus, das ist für mich EDM. Stumpf, angeberisch, alles ignorierend. Den Klimawandel? Gibt's nicht, das ist für mich EDM. Man kennt alle Elemente und kalkuliert damit. In den 90ern, das war naiv, fortschrittsgläubig – das tastete sich langsam vor, wusste nicht, wo es hingeht. Bei EDM ist das überhaupt nicht so, das weiß genau, wo es hinwill. Musik, genauso kaputt wie diese Zeit.

Findest du nicht, dass andererseits aber auch viele die 1990er-Jahre etwas verklären?

Natürlich, es liegt ja auch in der menschlichen Natur, zu verklären. Wobei da wäre dann spannend, wie du eines Tages mal EDM verklären willst. Zurückgehen und zu sagen: Ja, aber das war noch Musik! In diese Zukunft möchte ich mich gar nicht reinversetzen, in der man sagt: "Bei EDM war die Welt noch in Ordnung!" Das ist ja ein schrecklicher Gedanke, da kann man ja ganz depressiv werden.

Gab es in der elektronischen Musik eine Entwicklung, die dich überrascht hat? Dubstep zum Beispiel?

Daran finde ich schon was geil. Ich war vor ein paar Jahren in der Columbiahalle bei Skrillex und ich weiß, dass ich damals schon dachte: Bemerkenswert, wo feiern diese verschwitzten Kinder normalerweise? In Berlin gibt es innerhalb des Technos verschiedene Welten und Subszenen. Ich fand das bemerkenswert, dass da eine Szene ist, die mit einer Selbstverständlichkeit Skrillex abfeiert. Aber gibt es tatsächlich Clubs wo sowas läuft? Oder gibt’s das nur im Internet? Oder kommen die nur hierher und feiern das ab? Wie läuft das? Das ist schon ganz schön anders als sonstige Musik. Von daher fand ich das gut. Wenn du jetzt mit einer Zeitmaschine in die 80er zurückfliegen würdest, könntest du so etwas wie Skrillex nicht auflegen. Das verstehst du nur im Kontext der Zeit, wenn du alles mitgekriegt hast. Ich versuche mich aber eher an Musik, die ich in all den Jahrzehnten schon gerne gespielt hätte. Wenn du mir sowas wie "Pornostar" gegeben hättest, das hätte ich im Odeon 1983, im Planet 1991 oder im Club UJ 1992 schon gespielt. Wenn ich 10.000 Jahre zurückfliegen würde und Neandertaler machen eine Party, wüssten die auch, warum sie dazu tanzen sollen und wie das geht und wo die Eins ist. Auf die Knochen – das ist das Grundsätzliche an Tanzmusik.

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