21. Oktober 2009

"Lass deinen Schwanz in der Hose!"

Interview geführt von

Bevor William Fitzsimmons ganz in die Musikwelt einstieg, studierte er einst Psychologie und arbeitete als Therapeut. In seinen Lieder ist er sehr persönlich, verarbeitete die Scheidung seiner Eltern und nun auch seine eigene. Warum er trotzdem noch an Beziehungen glaubt, erzählte er unserem Interviewer, zufälligerweise auch Psychologe.Treffen sich zwei Psychologen auf der Straße. Fragt der eine: "Und? Wie geht’s mir?" Sagt der andere: "Gut. Und mir?"

Berlin, Prenzlauer Berg, Treffen in einem Veganer-Café, was aber keine politische Aussage sein soll. Als William hört, dass er es mit einem weiteren Psychologen zu tun hat, freut er sich aufrichtig. Er wirkt sehr ehrlich, ab und an wirft er typisch deutsche Wörter ein, wie fertig oder einfach.

Ich habe übrigens auch Psychologie studiert ...

Echt? Das ist fantastisch! Und jetzt machst du Musik-Journalismus?

Ein bisschen, ja.

Das ist cool! Willst du mal mit Psychologie weitermachen?

Naja, ich weiß nicht. Vielleicht später mal, wenn ich 40 bin, oder so.

Das ist cool. Hat dir das Studium gefallen?

Das Studium war sehr statistisch und methodisch, das war nicht so toll.

Ja! Das ist der Teil, bei dem ich sehr hart arbeiten musste, ich bin nicht sehr gut in Mathematik. Aber der andere Teil war gut.

Welche Therapieschule hast du denn besucht? In Deutschland gibt es ja drei große Schulen. Psychoanalyse, Verhaltenspsychologie (Behaviorismus) und dann ein Mix aus beidem.

Ja, kognitiver Behaviorismus. Bei mir war es eine recht moderne Ausbildung. Uns wurde ein Background von allen Theorien gegeben, größtenteils war es aber kognitiver Behaviorismus. Ich fand das gut, man kann von allen Theorien etwas nehmen. Freud hatte mit vielen Sachen recht, aber er hatte auch mit vielen Sachen unrecht. Er hatte vielleicht ein Dutzend Patienten in seinem ganzen Leben und zog da so viele Theorien raus, das ist nicht so gut.

Ich vermisse die Schule wirklich, um ehrlich zu sein. Ich mochte es, derart intensiv ein Thema zu bearbeiten, alles zu lesen, zu lernen, das war Spaß, ich vermisse das. Und wenn du Student bist, kannst du alles tun! Keine Arbeit, … das war cool.

Was für Patienten hattest du?

Das hing davon ab, wo ich war. Ich arbeitete ungefähr vier Jahre in einem Krankenhaus, …

… in einer Psychiatrie?

… ja, es war ein normales Krankenhaus mit einem Psychiatriekomplex, der die meiste Zeit geschlossen war. Es war sehr intensiv. Wir hatten Schizophrene, Bipolare, viele Persönlichkeitsstörungen, auch viele Drogenabhängige. Das war in New Jersey, in Camden, ein sehr gefährlicher Ort. Ich verbrachte viel Zeit mit wirklich kranken Patienten. Später nach der Graduate School waren es dann Menschen mit weniger starken Symptomen. Depressionen, Ängste, Menschen die gerade eine harte Zeit durchmachten.

War das immer einfach für dich?

Nein! Gar nicht. Es war eigentlich ziemlich hart.

Ich habe auch in einer Psychiatrie gearbeitet, ein halbes Jahr, das war nicht ganz ohne.

Was war das Schwierige?

Ich habe mit Schizophrenen gearbeitet. Das Schwierige ist, dass sie dich in ihre Welt reinziehen. Wenn man da nicht aufpasst, hat man sehr schnell selber ein Problem.

Genau! Sie übertragen die Dinge auf dich. Ich habe es geliebt, aber es war auch sehr schwierig. Manchmal war es auch angsterregend. Wir hatten Menschen, die gewalttätig waren. Weißt du, wenn du jemanden kriegst, der schizophren ist, keine Medikamente nimmt und eine Tendenz zu ernsthaften Wahnvorstellung hat, dann kann er dich töten … he'll mess you up.

Aber das Schöne daran ist, dass du wirklich etwas verändern kannst. Jeden Tag. Wenn ich jemanden helfe, der nicht selber auf sich aufpassen kann, zum Beispiel ein 90 jähriger Mann mit Demenz, der sich nicht selber waschen konnte. Wenn du so jemanden hilfst, gehst du abends nach Hause und weißt, dass du heute etwas Gutes getan hast. Diesen Teil vermisse ich. Jetzt bin ich Musiker, ich trinke Bier an Orten wie hier… Es war ein schönes Gefühl, etwas zu verändern.

Willst du irgendwann wieder als Therapeut arbeiten?

Ja (überlegt) … Ja, ich weiß nicht wann, wenn ich älter werde vielleicht (grinst). Ich mein, ich liebe das was ich gerade tue. Es ist wunderschön, so wie Chris Martin (Sänger von Coldplay, Anm. d. Red.) mal sagte: "Das ist der beste Job der Welt. Es gibt nichts Besseres, als Musiker zu sein." Also ich kann mich über nichts beschweren, aber Psychologie war meine große Liebe. Für lange Zeit, und sie ist es immer noch, diese Sachen gehen nicht einfach weg. Man wacht nicht eines Morgens auf und denkt, hey ich hasse das. Irgendwann werde ich vielleicht darauf zurückkommen.

"Ein Brief am meine Ex-Frau"

Jetzt bist du Musiker. Geht es da mehr um Selbsttherapie oder ist es doch eine andere Art, um Leute zu therapieren?

(Lacht) Ich denke beides! Es fing als Selbsttherapie an, es war eine Möglichkeit, Gedanken los zu werden, die raus mussten. Als Therapeut ist es ja so: Du kannst nicht deinen eigenen Rucksack, deine eigenen Probleme mitbringen, wenn du jemand anderem helfen willst. Wenn du jemand anderem helfen willst, musst du an einem guten Ort sein. Das war ich nicht, als ich anfing. Die Musik war eine Möglichkeit, diesen Prozess vorwärts zu bringen, einen guten Ort zu finden.

Jetzt ist es immer noch eine Selbsttherapie, aber es geht inzwischen mehr um beide Aspekte. Als ich merkte, dass die Leute etwas mit meiner Musik anfangen können, dass es ihnen hilft, da hielt ich es für eine gute Möglichkeit, weiter Therapeut zu bleiben.

Du bist ja sehr persönlich und ehrlich in deinen Liedern ...

... zu viel, zu viel ...

... Ja? Darauf zielte meine Frage ab.

Nein, ich mache zwar Scherze darüber, aber ich denke, dass es eine gute Sache ist. Ich glaube, es gibt zu wenig davon in der Musik. Wir heucheln viel, dass es uns gut gehen würde und so.

Für mich ist das so Ok. Ich kenne das von meiner Arbeit. Wenn jemand krank ist, hat er oft keine Probleme damit, sehr ehrlich mit dir zu sein. Manchmal viel zu ehrlich, aber da habe ich gelernt, dass es cool ist. Es ist eine gute Sache, diese Dinge los zu werden. Ansonsten sitzt es in dir. Die Gestalt-Psychologie nennt das "unfinished business". Also Sachen, mit denen man sich noch nicht beschäftigt hat. Solange du das nicht tust, wird es immer da bleiben und sich in verschiedenen Symptomen zeigen.

Aber jetzt ist es ja so: Du schreibst zum Beispiel ein Lied über ein bestimmte Emotion und danach wiederholst du sie tausendmal, ein Jahr lang auf jedem Konzert, oder sogar noch länger.

Ok, that point sucks! Das ist kein spaßiger Punkt. Es wäre lustig, wenn ich positive Lieder schreiben würde. Aber so ist es manchmal schwierig. Weil es weh tut. Wenn du etwas verkackt hast, willst du auch nicht jeden Tag daran denken. Und ein bisschen tue ich genau das. Aber ich denke, für andere Menschen ist es auch gut, über diese Dinge nachzudenken, deshalb versuche ich, das so zu sehen. Dass es nicht nur für mich ist. Trotzdem werde ich manchmal sehr emotional, wenn ich die Lieder singe. Aber alles was wertvoll ist und was man machen will, wird immer schwierig sein. Es soll nicht leicht sein.

Lass uns über dein aktuelles Album reden, "The Sparrow And The Crow". Es ist dein erstes Studioalbum, wie war das?

Es hört sich besser an, glaube ich. Ich habe diese Entscheidung getroffen, weil die Lieder zu wichtig für mich waren, um sie alleine, für mich zu Hause zu machen. Ich wusste, dass es Leute gibt, die ein Album besser voranbringen können als ich. Ich wollte es nicht nur bei meinen Möglichkeiten belassen. Aber es war hart, es war kein leichtes Album. Der Produzent und ich haben jeden Tag gekämpft. Er ist ein guter Freund von mir, aber diese Lieder waren das Wichtigste, was ich jemals gemacht habe. Aber für mich war es die richtige Entscheidung, weil das Album besser wurde, als wenn ich es alleine daheim gemacht hätte. Aber ich habe es noch nicht aufgegeben, zu Hause aufzunehmen.

Was ist das Konzept?

Das Album dreht sich um die Scheidung von meiner Frau, mit der ich neun Jahre verheiratet war. Es ist eine Art Kommunikation, ein Brief am meine Ex-Frau. Es gab gewisse Sachen, die ich ihr nie sagen konnte, bevor wir uns trennten. Es ist ein Art Abschiedsbrief, glaube ich.

Manchmal denke ich wirklich darüber nach, warum ich es überhaupt veröffentlicht habe. Warum sollte man einen Brief veröffentlichen? Aber es war kein Unterschied zum letzten Album (über die Scheidung seiner Eltern, Anm. d. Red.), es ist sehr persönlich, aber ich denke, dass das Dinge sind, über die man nachdenken sollte. Deshalb ist es ok für mich, wenn andere Leute das auch hören.

Das ist ja auch Kunst. Etwas Persönliches zu nehmen und daraus etwas zu entwickeln, das viele Leute anspricht.

Ja, das ist Kunst. Aber wenn du es selber machst, fühlt es sich an wie Eitelkeit. Ich bin ganz ehrlich zu dir: Was mir überhaupt nicht gefällt ist, Geld dafür zu kriegen. Ich denke nicht, dass es falsch ist für Kunst bezahlt zu werden, das ist gut. Wenn man will, dass Kunst lebt und überlebt, dann muss man dafür zahlen. Maler müssen essen. Aber es fühlt sich komisch an wegen dem Thema, um das es beim Album geht. Darüber denke ich schon seit Jahren nach. Ich weiß immer noch nicht, ob ich das hätte machen sollen. Es scheint die Leute zu berühren, deshalb ist es glaube ich Ok.

Verstehst du was ich meine? Man macht diese Sachen, die so rein und schön sind, und dann kriegt man Geld dafür. Das fühlt sich komisch an. Das ist das gleiche in der Psychologie. Ich setze mich hin und versuche jemandem zu helfen, aber dann, am Ende der Sitzung, zieht er sein Scheckbuch raus und gibt mir Geld dafür. Damit habe ich mich noch nie wohl gefühlt. Der Schlüssel liegt in der Balance. Es muss einerseits ein Geschäft sein, andererseits aber auch Kunst. Damit ringe ich immer noch.

Das ist gut. Ich denke, damit sollte man immer ringen.

Ja richtig, vielleicht ist das der Punkt. Du kommst nie zu dem Punkt, an dem du sagst, fertig, ich hab's, ich bin's.

"Männer tendieren dazu, Idioten zu sein"

Du hast inzwischen so viele Scheidungen hinter dir. Erst deine Eltern, dann deine eigene Scheidung. Glaubst du noch an Beziehungen?

(Denkt nach) ... Ja, tue ich. Aber weniger als vorher. Macht das Sinn? Ich glaube immer noch, dass eine Ehe gut ist, dass Beziehungen gut sind, dass Liebe etwas Wahres und Wunderschönes ist, aber ich bin jetzt vorsichtiger. Jeder weiß, was all dieses Zeug ist und was es bedeutet, aber ich glaube, nur wenige nehmen es wirklich ernst. Ich weiß nicht wie es bei dir ist. Ich dachte immer, ich nehme es ernst, aber eigentlich habe ich es nicht. Mein Glaube ist noch da, aber ich bin behutsam, vorsichtig, langsam und solche Dinge.

Was hast du gelernt? Wie kann eine Beziehung funktionieren?

Es gibt da ein Zitat von einem Film. "In Good Company" ("Reine Chefsache", Anm. d. Red.) mit Dennis Quaid und Scarlett Johansson. Iron And Wine ist auf dem Soundtrack, er hat drei Lieder beigesteuert, alleine deshalb musste ich den Film mögen, um was es auch immer geht. Wie auch immer, Topher Grace, der Jüngere im Film, fragt Dennis Quaid, den Älteren der beiden, was das Geheimnis von Liebe und Beziehung sei. Er antwortet: "You find the right person to be in the foxhole with", also mit der man in den Kampf ziehen kann, "and than you keep your dick in your pants." (Du musst die richtige Person finden, mit der du in einem Schützenloch sein kannst und dann lass deinen Schwanz in der Hose.) Das ist alles! So stimmt es meiner Meinung nach. It’s einfach! Das ist für mich der Schlüssel. Triff jeden Tag gute Entscheidungen! Sei kein Idiot! Das habe ich gelernt. Ich war ein Idiot, ein Depp.

Männer tendieren dazu, Idioten zu sein. Wenn du das durchgemacht hast, was ich durchgemacht hab, dann weißt du, was passiert. Das Kind, das seine Hand am Ofen verbrannt hat, wird das nie wieder tun. Ich fühle mich so wie dieses Kind. Das ist schön. Es hat etwas Schönes zu wissen, wie sich der Ofen anfühlt, wie heiß er ist. Ich werde nicht mehr von Sachen abgelenkt, wie das vorher der Fall war.

Deine Lieder sind ja sehr ruhig und introvertiert. Kannst du auch mal ausrasten, richtig sauer werden?

Ja natürlich. Ich habe ein sehr anständiges Temperament, und die Leute sind manchmal überrascht, wenn ich das erzähle. Aber jeder wird sauer, ich bin auch ein normaler Mensch. Wenn jemand auf der Autobahn meine Fahrbahn schneidet, werde ich richtig wütend. In Haldern bin ich fast in einen Kampf geraten. Ein paar Idioten, vielleicht zehn Leute, waren ziemlich grob zu den Bedienungen in einem Restaurant, in dem wir waren. Sie fingen auch an, Sachen zu mir zu sagen, also hab ich zurück geschrien: "Fuck you! Wenn ihr was zu sagen habt, sagt es mir ins Gesicht!" Dann haben sie aufgehört.

Ich glaube nicht, dass Wut etwas Gutes ist, aber manchmal muss man für sich selbst oder andere einstehen. Das mache ich. So war ich vorher nicht, aber eine Scheidung verändert einen auch. Ich bin nicht mehr so entspannt, wie ich es mal war. Aber die Musik hilft mir, dahin zurück zu kommen.

Deine beiden Eltern sind blind, ist da auch ein genetischer Aspekt dabei?

Nein. Das ist eine gute Frage. Sie waren beide Frühgeburten, sie waren sieben Monate alt. Wenn das heute passiert wäre, wären sie in Ordnung. Aber damals waren die Brutkästen noch nicht so gut. Sie gaben den Kindern zu viel Sauerstoff, dadurch bekamen sie Sauerstofftoxikosen, also zu viel Sauerstoff im Gehirn, das hat ihren Okzipitallappen beschädigt, sowie Teile der Augen. Dadurch wurden sie blind, also da ist überhaupt kein genetischer Aspekt dabei.

Das passierte oft in den 50er Jahren. Viele Kinder verloren ihr Gehör oder ihre Sehkraft, aber damals hatten sie die Wahl, dass die Kinder vielleicht blind werden könnten, oder dass sie sterben. Daher haben sie die richtige Entscheidung getroffen. Ich habe zwar schlechte Augen, aber das hat damit nichts zu tun. (lacht)

Zur Verabschiedung mahnt er mich noch, die Psychologie nicht aufzugeben. Wir könnten ja zusammen eine Praxis aufmachen.

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