laut.de-Kritik
Die Punk-Ikonen erinnern an frühere Großtaten.
Review von Christian KollaschMehr Post im Punk geht kaum: 35 Jahre nach dem letzten Studioalbum in Originalbesetzung kehrt die Kultband X mit neuem Material zurück. Auf "Alphabetland" huldigt das Quartett aus Los Angeles nicht nur den musikalischen Vorbildern aus den 50er- und 60er-Jahren, sondern verneigt sich auch vor dem eigenen Schaffen.
Sängerin Exene Cervenka, Bassist und Sänger John Doe, Gitarrist Billy Zoom und Schlagzeuger DJ Bonebrake fanden sich bereits vor über 15 Jahren wieder zusammen, als sie den 25. Geburtstag ihres wegweisenden Debütalbums "Los Angeles" zelebrierten. Obwohl sie stets betonten, dass keine neue Musik in Aussicht stehe, hat es 2018 dann doch wieder gefunkt.
Bei der wiederhergestellten Bandchemie überrascht es kaum, dass die vier Post-Punk-Ikonen nicht lange ohne neuen kreativen Output bleiben würden. Mit großartigem Songwriting, enormer Live-Energie und einer großen Bandbreite an stilistischen Einflüssen von Rockabilly über Country bis Folk erarbeitete sich die Formation in den 80ern einen Kultstatus. Obwohl X zahlreiche Künstler der Szene beeinflussten, sollte sich der Mainstream-Erfolg nie einstellen. Nach dem fünften Album "Ain't Life Grand" verabschiedete sich Zoom von der Band.
2020 - ein halbes Leben später - knüpfen X genau dort an, wo sie 1985 aufgehört hatten. Als hätte es die große Pause nie gegeben, springt die Band direkt aus ihrer Glanzzeit in die Gegenwart und zerstreut gleich im Opener "Alphabetland" alle Sorgen über einen Formverlust. Cervenkas Stimme schmiegt sich hier immer noch wunderbar an Zooms Gitarrenspiel und die Gesangsharmonien mit Doe erzeugen samtweiche Kontraste. Ihr leichtfüßiger Post-Punk mit Rock'n'Roll-Einschüben klang damals schon zeitlos und X reaktivieren den Sound ohne Mühe.
So auch auf dem Rockabilly-Surf-Twister "Water & Wine", der auf Little Richards Spuren wandelt und ein dem Rock'n'Roll-Pionier würdiges Gitarrensolo von Zoom auffährt. Konträr zum Sound wie aus einem Pulp-Fiction-Tanzwettbewerb steht die sozialkritische Lyrik Cervenkas, die das wirtschaftliche Ungleichgewicht in der Gesellschaft anprangert: "There's a heaven and a hell / And there's a life to tell / Who has to wait at the end of the line? / Who gets water and who gets wine?".
Dass X einen so nahtlosen Übergang zu ihren früheren Werken auf die Beine stellen, liegt auch an den drei Neuinterpretationen älterer Songs. Der kompromisslose Punk-Prügel "Delta 88" besitzt etwa noch mehr Durchschlagskraft als die Originalversion von der Compilation "Beyond And Back" von 1997. Dank der saftigen Produktion von Rob Schnapf, der unter anderem Elliott Smith veredelte, klingen X 2020 kraftvoll, ohne dafür den Charme der 80er einzubüßen.
Auch die schmachtende Ballade "Cyrano DeBerger's Back" aus dem Album "See How We Are" polierten X neu auf. Verschwunden ist jeder Anflug von Kitsch, dafür bekommt der Song hier einen mitreißenden Funk-Makeover in den Strophen spendiert. Zusammen mit dem immer noch sehr emotionalen Refrain gewinnt der Song in der neuen Version deutlich mehr Dynamik.
Etwas hölzern klingt hingegen der Spoken-Word-Beitrag "All The Time In The World", mit dem Cervenka das Album zu den Klängen eines lässigen Lounge-Pianos beendet. Die Poesie über den Wert der Zeit und die Bedeutung des Lebens trägt die Frontfrau hier achselzuckend und fast gelangweilt vor. Dass Zeit ihr nichts ausmacht, macht sich aber auch an jeder anderen Stelle im Album bemerkbar. Auf "Alphabetland" erinnern X so an frühere Großtaten, ohne etwas von der damaligen Energie vermissen zu lassen.
1 Kommentar
macht schon spaß, aber eher kurzweilig