Abriss in Dänemark mit SZA, Foo Fighters, Doja Cat, Jane's Addiction, Aurora, Kim Gordon etc.
Roskilde (mab) - Wasserball auf dem Campingplatz, Klappstühle stehen in kleinen Teichen, Tänze im Regen, Gummistiefel everywhere ... die Impressionen vom Festivalstart auf den offiziellen Kanälen des Roskilde Festivals weckten Erinnerungen an das letztjährige Wacken Open Air.
Schlamm und Schauer begrüßten die ersten Besucher:innen schon bei der Ankunft und begleiteten sie auch an den wie üblich vor allem skandinavischen NewcomerInnen gewidmeten ersten Tagen.
Pünktlich zum ersten Haupttag am 3. Juli strahlt jedoch schon morgens die Sonne vom klaren, blauem Himmel herunter.
Beste Voraussetzungen für unter anderem Doja Cat, Jessie Ware, Heilung, Isabella Lovestory und Ragana das Infield zu eröffnen.
Mensing hilft!
Zuvor sorgten jedoch sowohl die deutsche als auch dänische Bahn für das erste denkwürdige Roskilde-Ereignis 2024. Der Leitspruch 'Same procedure as last year' gilt bei beiden nicht nur an Silvester, sondern auch zur Festivalsaison. Wir erinnern uns an 2023. Kurzfristig entscheiden die Unzternehmen also auch heuer wieder, Züge zu ersetzen, ausfallen und mit stundenlanger Verspätung ankommen zu lassen, um die Anreise aus Deutschland zum Festival möglichst aufregend zu gestalten.
Mission geglückt, denn aufgrund der Umstände entwickelt sich ein spontaner Roadtrip mit dem Hamburger Hip Hop-Producer Mensing. Er steht vor demselben Problem wie die laut.de-Delegation und spielt mangels Alternativen freundlicherweise den Chauffeur. Für künftige Fahrten durch norddeutsche Provinz, auf Fährfahrten von Fehmarn nach Dänemark und weiter bis kurz vor Kopenhagen empfehlen wir deshalb gern dessen frisch erschienenes Debütalbum "No Friends" mit dem honduranischen Rapper siii3eyes. Die Songs würden eigentlich auch gut ins Line-up des Roskilde Festivals passen ...
Zwischen Ronaldo, Drag und Hardcore-Hüftschwung
Dienstagabend endlich auf dem Gelände warten schon die nächsten musikalischen Highlights. Um das bereits drei Tage andauernde Newcomer:innen-Showcasing abzuschließen steht zum Beispiel das dänische R'n'B-Talent Dos Santos auf der Bühne. Bevor er mit samtener Stimme loslegt, flimmern Szenen des Fußball-WM-Finales 2002 über die Bildschirme. Ronaldo schießt Brasilien zum Sieg gegen Deutschland und zahlreiche damals noch nicht einmal geborene Fans in gelben Trikots bejubeln frenetisch das Tor und die Ankunft ihres – ebenfalls in die Landesfarben seiner brasilianischen Mutter gewandeten – musikalischen Stürmers der Herzen. Man braucht nicht viel Fantasie, um in dem 22-Jährigen einen künftigen Star zu sehen. So wie er sich auf der Bühne bewegt, weiß er das wohl auch selbst.
Ein weiterer Name, den man sich merken sollte: Lover's Skit aus Schweden. Das Postpunk-Duo klingt wie eine Kreuzung aus Dream Wife und The Prodigy. Sängerin Nathalia Aránguiz wogt die Hüften schwingend durchs Set, strahlt gleichzeitig die aufmüpfige Energie eines Hardcore-Acts aus und drängt das Publikum beständig, sich zu bewegen.
Später gibts an gleicher Stelle von Omsorg noch härter auf die Birne, während parallel dazu ein paar Meter weiter Dänemarks Top-Dragqueen Diana Diamond performt. Das Orange Feeling ist endlich wieder da!
Wie "The Purge"?
"Roskilde ist wie 'The Purge', nur ohne Gewalt!" Gewagte These, die ein Besucher namens Fredrik da schelmisch grinsend aufstellt, während die nächste Dose Bier in seiner Hand knackt. "Es ist einfach der Place, um eine gute Zeit zu haben." Er ist dieses Jahr zum zweiten Mal in Dänemarks temporär viertgrößter Stadt zu Gast und freut sich vor allem darüber, schon morgens Gerstensaft genießen zu dürfen - ohne schief anguckt zu werden.
Sein Punkt mit der Gewalt trifft leider nicht immer zu. Noch vergangenes Jahr kam es unter anderem bei der Öffnung des Infields zu unschönen Szenen, als mehrere Menschen beim traditionellen Sturm auf die Orange Stage niedergetrampelt wurden. Die Organisator:innen lernten aber daraus und reagieren heuer mit veränderten Opening-Prozedere: Statt am Mittwochnachmittag eine nicht kontrollierbare Menge durch das Haupttor zu schleusen, werden zur Erstbegehung nur kleine Gruppen mit maximal 100 Personen an mehreren Punkten des Infields hereingelassen – begleitet von Ordnern und Security auf Fahrrädern und im Gänsemarsch. Das mag vielleicht weniger aufregend für Fotos und Videoaufnahmen sein, ist allerdings höchstamüsant zu beobachten. Für die ersten, brav nach vorne spazierenden Fans gibts dann von einem Teil der Volunteer-Crew inoffiziell Champagner. Prost!
Schmetterlinge im Bauch
Von da ab steht der erste Haupttag klar im Zeichen der Liebe. Better Lovers eröffnen als eine der ersten Bands des Tages ihr Set mit Ausschnitten diverser Songs über das schönste aller Gefühle – von "Easy Lover" über "All You Need Is Love" bis hin zu Blackpinks "Kill This Love". Dann stolziert Dillinger Escape Plan-Schreihals Greg Puciato mit Wifebeater, Jeans-Shorts, Sonnenbrille und Strohhut auf die Bühne und keift sich die Lunge aus dem Leib. Flankiert von Mitgliedern von Every Time I Die und Fit For An Autopsy, die entfesselt über die Bühne hüpfen, sorgt er für ein frühes Highlight.
Wenig später heißt es im Gloria-Stadel schon wieder: "Es fühlt sich an, als wäre ich inmitten einer Lovestory!" Isabella Lovestory verschafft mit ihren explosiven Hyperpop-Reggeaton-Tracks nicht nur zahlreichen Gen-Z-Kids, die schon draußen in der Einlassschlange zur Venue kreischend austicken, sondern auch auffällig vielen älteren Musikliebhaber:innen Schmetterlinge im Bauch. Man erspäht sogar den ein oder anderen Metalhead. Ebendieses Verschwimmen von Szenen zeichnet das Roskilde Festival jedes Jahr aufs Neue aus.
Doja Cat reißt ab
Der Spagat zwischen verschiedenen Welten gelingt abends auch der ersten Headlinerin Doja Cat. "Diese Show ist einfach alles", schwärmt der nun wieder neben uns aufgetauchte Mensing entzückt. Er hat recht: Amalaratna Zandile Dlamini performt on fire. Sie rappt ausgezeichnet, hat die Menge von Beginn an im Griff, überzeugt mit Setlist und Killer-Transitions und verlässt sich auf eine unglaublich tighte Liveband. Für Aufsehen sorgen dabei vor allem Drummer Bennie Rodgers, der auch für Blackpink live trommelt, und Gitarrist Jean Rosati. Letzterer gniedelt ab und an zudem für Tinashe. Gut möglich also, dass er schon wenig später wieder beim Roskilde auf der Bühne steht – diesmal in der Arena.
Dort steigt Mittwochnacht zunächst noch ein besonderes Ereignis. Heilung arbeiteten in den vergangenen Monaten intensiv mit der beim Festival für die Soundanlagen verantwortliche Firma Meyer Sound zusammen, um ein bis dato noch nie vergleichbar umgesetztes Live-Surround-Sound-Erlebnis zu erschaffen. Die "Amplified History" der deutsch-dänischen Gruppe umgibt die anwesenden Hörer:innen so wahrlich von allen Seiten. "Das hat nichts mit einem durchschnittlichen Surround-System von Zuhause zu tun, und wir können mit Sicherheit sagen: Diese historische Bühne hat noch nie ein größeres Soundsystem gesehen als das, was wir mitbringen", kommentieren Heilung.
Mini-Metallica und marokkanischer Riot Grrrl-Punk
Ein weiteres Experiment findet im Avalon statt: Anders als sonst spielen am Mittwoch die dort auftretenden Acts nicht auf der Hauptbühne, sondern inmitten des Publikumraums auf einer neu konzipierten Plattform. Das Prinzip Metallica in mini sozusagen. Den ganzen Abend lang herrschen dort Extreme: Avantgarde Noise aus Dänemark (Selvhenter), queerer Black Metal aus den USA (Ragana), marokkanischer Rot Grrrl-Punk (Taqbir) und mehr.
Dagegen wirkt die nachmittägliche Openingshow auf der Orange Stage geradezu normal. Ordentlich Stimmung macht der dänische Rapper Lamin trotzdem und zieht bereits früh eine beachtliche Menge an Menschen vor die Main Stage. Den Festivaldresscode hat er mit seinem orangen Shirt auf jeden Fall verstanden, mit auf der Bühne steht eine ganze Fußballmannschaft, und die Kids in den vorderen Reihen feiern, feiern und feiern.
Noch mehr Liebe
Am Donnerstag steht anfangs schon wieder die Liebe im Fokus. Lovebites aus Japan überzeugen mit enthusiastisch vorgetragenem Heavy Metal und allem was dazu gehört: Gitarrenposen, Showoff-Soli, Headbanging, Horns, dramatische Vibrato-Screams à la Rob Halford. Kennt man alles, und macht doch irre viel Spaß. Einziger Nachteil: Die Doublebass-Attacken der Japanerinnen mähen die parallel spielende Kara Jackson regelrecht nieder. Die fragilen Singer/Songwriter-Stücke ihres Debütalbums "Why Does the Earth Give Us People to Love?" erklingen unter stetig metallischem Grundrauschen. Die Fans vor der Bühne lassen sich davon zum Glück die Laune nicht verderben und lauschen selig.
Ein ganz ähnliches Bild zeigt sich wenige Stunden später an gleicher Stelle (der Gaia-Bühne) bei Ana Lua Caiano. Die junge Portugiesin fungiert als One-Woman-Band, mischt mithilfe von Loop-Station, Synthesizer, Percussion und Stimme den traditionellen Folk ihres Landes mit elektronischen Einflüssen und steckt mit viel guter Laune an. Überhaupt bleibt Gaia an diesem Tag der place to be: Neben den Genannten spielen noch der Tuareg-Musiker Kader Tarhanine, die Indie-Liebhabertruppe The Beaches, sowie Balming Tiger aus Südkorea – dazu gleich mehr.
Nina, eine der Verantwortlichen der Bühne betont im Gespräch die Wichtigkeit gelebter Vielfalt für ihr Booker:innen-Team. Als eine von zwei schon während der Newcomer:innen-Tage geöffneten Stages wird Gaia dieses Jahr sieben Tage lang bespielt und fährt entsprechend ein immenses Pensum auf. "Während der ersten Tage konzentrierten wir uns etwas mehr auf rockige Acts, während drüben auf Eos eher Pop und Electronic zuhause waren. Aber generell gibt es hier bei uns keine Grenzen." Stimmt, denn von Mathcore bis Soul findet alles Platz. Das gilt auch fürs Publikum: "Jede:r soll sich hier willkommen fühlen – egal welchen Geschlechts, welcher Sexualität, welcher Identität ... Wenn es euch nicht gut geht, kommt zu uns, sprecht uns an, und ihr bekommt eine Umarmung."
Der etwas andere K-Pop
Zurück zu Balming Tiger: Die südkoreanische Gruppe zeigt kurz vor Mitternacht, dass K-Pop auch anders klingen und aussehen kann als bis ins kleinste Detail perfektionierte Acts à la Blackpink und BTS (mit deren Member RM Balming Tiger übrigens schon mehrfach kooperierten). Die grundlegenden Trademarks der Szene bleiben intakt, doch bricht die Gruppe sie zugleich konsequent und bewusst auf – angefangen damit, dass sie geschlechtergemischt auftreten. Über allem schwebt die Attitüde von Oldschool-Hip Hop und Punk. Oft strahlt die Gruppe gar Aggressivität aus – animiert jedoch ebenso zum ausgeflippten 'Frog-Dance'. Wucht, Spielfreude, Tanzbarkeit, Kreativität und irrer Sound gehen hier Hand in Hand. Groß.
Auf der Orange Stage hinterlassen Ice Spice, 21 Savage und Skrillex eher gemischte Gefühle. Letzterer verwandelt zwar als Nacht-Headliner um 1 Uhr den Hauptplatz des Festivals in einen riesigen Dancefloor und fährt brachialen Sound auf – lässt in der Lightshow dann aber doch eher zu wünschen übrig. Warum zum Beispiel bleiben die riesigen LED-Screens aus? Weiter hinten stehende Fans hatten so kaum eine Möglichkeit, den DJ überhaupt zu erkennen.
Noch ein bisschen später gleich die nächste Enttäuschung bei Reggeaton-Superstar Tainy (Rosalía, Bad Bunny): Wer bis Viertel nach Zwei wach bleibt, um ihn zu erleben, bekommtm einen riesigen Videowürfel zu sehen, auf dem der Puerto-Ricaner eher unspektakulär auflegt – vor recht leeren Reihen. Reinfall. Immerhin Khruangbin befriedigen am Abend alle Erwartungen ihrer stetig wachsenden Fanschar: Enigmatisch wie eh und je schwebt die Band über die Bühne und bringt wie kein anderer Act Faszination und Langeweile auf einen Nenner. Genau richtig, um an einem von zwischenzeitlichen Starkregenfällen geprägten Festivaltag, auch mal zu entspannen.
Pfand ist Trumpf
Wir erinnern uns kurz an "The Purge"-Fredrik zurück: Bei einem Event der Größenordnung Roskildes so sorglos Bier trinken zu können, bedarf harter Arbeit im Hintergrund. Allein am reibungslosen Ablauf des Pfandsystems sind 2024 rund 700 Personen beteiligt – zahlreiche Sammler:innen, die mit normalem Ticket auf die Veranstaltung gelangen, nicht einmal mitgezählt. In drei Pfandcamps, betrieben von einer Frauenfußballmannschaft, einem Verein der dänischen Minderheit sowie einem Taekwando-Club, sortieren bis zu 200 Menschen die gesammelten Becher, Dosen und Kapseln vor und beladen damit pro Tag zwei große Trucks.
Wienke, seit 2008 Teil des Volunteers-Netzwerks Roskildes, leitet die gesamte Struktur und sprüht vor Begeisterung: "Ihr fragt wahrscheinlich: Warum Pfand? Es bringt Spaß, zur Nachhaltigkeit beizutragen, mit Menschen zu arbeiten, etwas zum Flowen bringen und zu sehen, dass die Pfandsammler:innen sofort etwas für ihre Arbeit zurückbekommen." Stolz fügt sie hinzu: "Das heutige dänische Pfandsystem basiert auf dem beim Roskilde erprobten Konzept. Kein Witz."
Aufklärung, Roskilde Style
Wienkes Kollege Paul hatte mehrere Jahre beim Roskilde pausiert, da ihm das Müllproblem zu groß geworden war: "Man sieht allerdings inzwischen echte Fortschritte. Deshalb bin ich jetzt wieder zurück." 2024 animiert das Festival Besucher:innen auf dem Campingplatz sogar zur Mülltrennung und gibt entsprechend markierte Beutel aus, die schlicht an den Wegen abgestellt werden können. Eigens dafür abgestellte freiwillige Helfer:innen sammeln sie ein.
Zusätzlich ausgebaut wurden in diesem Jahr die Awareness-Strukturen des Festivals. An mehreren Locations der Campsite befinden sich Aufklärungszentren, an die man sich bei Problemen und Fragen vertraulich wenden kann. Mika Christoffersen, Head of Diversity, Equity, Inclusion and Behavior, stellt erfreut fest, dass 2024 deutlich mehr junge Männer dieses Angebot wahrnehmen als noch im Jahr zuvor. Tatsächlich diesmal sogar mehr als weiblich gelesene Personen. Sozialarbeiter:innen patroullieren zuudem ständig über das Gelände und stehen für psychologische Beratung bereit.
Ebenfalls erwähnenswert: Menstruationsprodukte werden beim Roskilde kostenfrei ausgegeben, außerdem testet das Festival dieses Jahr verschiedene Squat-Urinal-Modelle, um künftig Menschen, die nicht im Stehen pinkeln wollen oder können, mehr Möglichkeiten zur schnellen Erleichterung bieten zu können.
Foo Fighters vs. Charli XCX vs. Fußball
Zurück zur Musik: Die tritt am Freitag und Samstag gegen die Viertelfinals der Fußball-EM an. Wer die Niederlage Deutschlands gegen Spanien live erleben wollte, verpasste die verdammt gut aufgelegte japanische Punk-Band Otoboke Beaver und das 2023 bereits im Rising-Programm begeisternde norwegische Musik-und Tanz-Kollektiv Tacobitch. Später während der Parte Portugal gegen Frankreich laufen gleich drei Hochkaräter parallel auf: Foo Fighters, Charli XCX und Marina Sena.
Letztere spielt ob der übermächtigen Konkurrenz vor traurig lichten Reihen, liefert aber – auch dank toller Liveband – eine richtig gute Popshow ab. Die gibts wohl auch bei Charli XCX, zu spät kommende (wie wir) sehen davon allerdings recht wenig, denn unter dem offiziell 18.500 Leute fassenden Arena-Baldachin ist es proppenvoll – ebenso wie auf dem davorliegenden Feld. Insgesamt verfolgen wohl locker 30.000 Menschen die Hyperpop-Sensation, die erst kurzfristig als Ersatz für Kali Uchis zum Line-up gestoßen war. Der "Notnagel" entpuppt sich als einer der meisterwartetsten Auftritte des gesamten Festivals. Sogar ein Gaststar schaut vorbei: Zu "Welcome To My Island" steht plötzlich Caroline Polachek mit auf der Bühne.
Moshpits und Seitenhiebe
An Dave Grohl ging das Phänomen Charli XCX ebenfalls nicht vorbei, und so holt er auf der Orange Stage zum augenzwinkernden Seitenhieb aus. Im Rahmen seiner rund zehnminütigen (!) Bandvorstellung stellt er zunächst Rami Jaffee als "meinen kleinen Skrillex" vor, gefolgt von Josh Freese, seinem "großen Skrillex", und setzt nach: "Er ist fucking SkrilleX X X X X X X – sorry Charli!" Ein Glück, dass die Charli-Die-Hards davon eh nichts mitkriegen, sonst hätte er nach den Swifties möglicherweise gleich die nächste, grollende Fanschar am Hals. Mehr gibts zu den Foo Fighters eigentlich nicht zu sagen, außer: Mehr Dadrock als die substanzlose Soloeinlage von Chris Shiflett während der Vorstellungsrunde geht kaum.
Zwei Gegenentwürfe findet man später – aufgrund deren langer Spielzeit aber immer noch zeitgleich zu den Foos – im Apollo und im Avalon. In ersterer, mit Fabrikcharme zum Techno-Tempel modellierten Location präsentiert The XX-Sängerin Romy ihr Solodebüt "Mid Air". Der Auftritt hätte wegen eines gecancelten Fluges fast nicht stattgefunden.
Von der sphärischen Stimmung ihres Sets beseelt, gehts dann zum Totalabriss namens Scarlxrds im Avalon. Wahnsinnig viel ist wegen der noch immer spielenden Stadionrockband ein paar Meter weiter nicht los, die anwesenden Kids gehen dafür von Sekunde eins an komplett steil. Vor ihnen flitzt der 30-jährige Protagonist von einer Ecke zur anderen, stachelt an, krakeelt, jumpt, fordert bühnenbreite Moshpits und entfesselt das perfekte Trap-Metal-Gewitter. Ähnlich bewegungsintensiv bleibt es zwei Stunden später an selber Stelle bei Kvelertak. Im Würgegriff ihres räudigen und doch unwiderstehlich melodischen Black'n'Rolls endet der vorletzte Festivaltag.
Einer der besten Gigs kommt von Kim Gordon
Zwei weitere Freitagsauftritte sollten gleichwohl nicht unerwähnt bleiben. Aurora trotzt dem während ihres Sets einsetzenden Regen, indem sie sich einfach selbst als Sonne inszeniert und in real life heute heller strahlt als das Ding am Himmel selbst. Aufgeregt spaziert sie über die Orange Stage und verteilt noch während des ersten Songs Komplimente für besonders schöne Outfits im Publikum. Rundum wholesome. Direkt im Anschluss bietet Kim Gordon im Avalon eines der besten Konzerte der 52. Roskilde-Ausgabe. In Quartett-Besetzung mit Camilla Bass Killa (u.a. auch Lenny Kravitz), Sarah Register (Gitarre, Synths) und Madi Vogt (Drums) spielt die Sonic Youth-Veteranin fast ausschließlich Songs ihres neuen Albums "The Collective" und das mit einer kompromisslosen Coolness und klanglichen Wucht, die enorm beeindruckt.
Bühne frei für die Natur
Zum Abschluss am Samstag entleeren sich noch mehrmals die Wolken. Als abends PJ Harvey auf der Hauptbühne performt, erhellen gar Blitze das Feld. Doch wie das in Dänemark um diese Jahreszeit häufig so ist: Kaum stoppt der Regen, kommen schon wieder Sonnenschein und blauer Himmel um die Ecke. In stetem Wetterwechsel manövriert man sich durch den letzten Festivaltag.
Ein besonderer Gig findet nachmittags im Avalon statt. Kakuma Sound spielen ihr erstes, richtiges Konzert außerhalb des afrikanischen Kontinents. Die Projektband entstand im kenianischen Flüchtlingslanger Kakuma, in dem rund 160.000 Menschen leben. Die heute anwesenden Musiker:innen stammen aus sechs Ländern und präsentieren einen Mix verschiedener Musikkulturen. Wer mehr über die Geschichte und Ziele der Gruppe erfahren möchte, findet hier mehr dazu.
Tags zuvor hatten Kakuma Sound bereits eine öffentliche Probe auf der Platform Stage inmitten der kleinen Parkanlage des Festivals abgehalten. Diese vielseitig modifizierbare Bühne bietet während des gesamten Festivals einmal mehr Raum für produktives Zusammenwirken aus Kunst-, Tanz- und Musikprojekten, oder lädt bei Spielpausen schlicht zum Verschnaufen ein. Als roter Faden zieht sich an allen Haupttage eine besondere Künstlerin dort durchs Programm: die Natur. Im Rahmen der vom Museum for the United Nations gestarteten Initiative Sounds Right werden bei insgesamt fünf Veranstaltungen die Beiträge und der Stellenwert der Natur im Lauf der Musikgeschichte beleuchtet und präsentiert.
Ein kleines bisschen Natur schafft es heute sogar noch auf eine größere Bühne. Afrobeat-Icon Tems dekoriert die Orange Stage mit Gräsern, SZA baut an selber Stelle eine Tropfsteinhöhle. Beide sind hervorragend bei Stimme.
Jane's Addiction altern wie guter Whisky
Überraschend stark präsentieren sich auch Jane's Addiction. Damit rechneten wohl nicht allzu viele: Denn als Perry Farrell, Dave Navarro, Eric Avery und Stephen Perkins die Arena Stage betreten, klaffen davor noch einige Lücken im Menschenmeer. Doch die alten Herren liefern eine bemerkenswerte Rockshow, die maßgeblich von Farrells angeschlagen müder und trotzdem seltsam kraftvoller Stimme lebt. Der Lollapalooza-Gründer wandelt zwar offensichtlich auf seinem ganz eigenen Planeten und seine bisweilen metaphorischen Ansagen hinterlassen auch mal große Fragezeichen, doch hin und wieder bleibt von seinen Ramblings aber doch erwas haften und auch eine Portion Selbstironie bringt er mit.
So kommt er zum Beispiel von einer wirren Story über einen Tauchausflug im Pool zum Thema Umweltschutz. Nachdem er zu "Jane Says" an seiner Whisky-Flasche genuckelt hat ("ein guter 12-Jähriger"), fragt er das Publikum: "Man sagt ja, je betrunkener man ist, desto besser wird die Musik. Ihr seid schon den ganzen Tag hier, oder? Wie findet ihr denn die Musik gerade?" Die Antwort erübrigt sich.
Wer danach immer noch Laune hat, kann noch bis ungefähr drei Uhr nachts weiterfeiern und Roskilde 2024 mit so unterschiedlichen Acts wie Medina, The Armed, Sega Bodega und Faizal Mostrixx ausklingen lassen.
Orange is the new Orange
Kurz nach Mitternacht schließt SZA mit dem Ende ihres Auftritts – mutmaßlich – noch ein historisches Kapitel. Höchstwahrscheinlich war ihr Konzert das letzte auf der Orange Stage in ihrer aktuellen, seit 2001 bestehenden Form. Für 2025 soll die ikonische Bühne runderneuert werden, um modernen Produktionsstandards besser gerecht werden zu können. Wir erinnern uns: Im Vorjahr musste wegen technischer Limitierungen der Traditionsbühne Rosalía auf der kleineren, aber variableren Arena Stage performen.
Die zuständigen Behörden entscheiden wohl Ende des Jahres darüber, ob die Pläne des Festivals umgesetzt werden können. Dafür wären bauliche Veränderungen am Spielort vonnöten, da die neue Version der Orange Stage ein permanent stehendes und damit potentiell für weitere Veranstaltungen nutzbares Stage-Setup vorsieht.
Zwar zeigte das Roskilde Festival 2024 erneut, dass seine Stärken vor allem in der immensen Breite des Line-ups liegen, und der Event bei der Kuratierung der Mainacts andere Wege gehen kann als vergleichbar große Events. So betonte Chefbooker Anders Wahrén beim Presse-Q&A: "Ich bin froh, dass wir nicht auf jemanden wie Bruce Springsteen angewiesen sind, der nächste Woche in Odense spielt, sondern jüngere Headliner buchen können. Große Acts, die selbst entscheiden können, ob sie Festivalshows oder eigene Stadionkonzerte spielen, treiben die Preise nach oben." Auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein, schadet jedoch sicher nicht.
Smarte Karte für 2025
In jedem Fall sind wir gespannt darauf, welche Acts in Kürze für die 53. Ausgabe des Roskilde Festivals bekannt gegeben werden. Der Ticketvorverkauf hat bereits begonnen – mit einem interessanten Detail: Wer bis zum 12. Juli ein sogenanntes Smart Ticket vorbestellt, kann die Kosten zum einen in acht monatlichen Raten abstottern und hat zum andern bis 31. März 2025 die Option, bei voller Erstattung des Kartenpreises doch noch einen Rückzieher zu machen. Wir sehen uns 2025!
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