laut.de-Kritik

Palim Palim statt Para Para.

Review von

2016 entführten die 257ers den Hörer zuletzt in ihren abgedrehten "Mikrokosmos". Ohne Berührungsängste lieferten sie nonstop Nonsens zu einer breiten stilistischen Palette. Nun geben sie wieder Einblicke in das "Dschungelcamp des Lebens", wo alles seinen Platz findet. Die klassischen Rap-Anteile haben Shneezin und Mike weiter reduziert. Dafür vermengen sie Eurodance, Reggae-Vibes und Synthie-Beats mit beschwingtem Rundtanz, Vocoder-Hooks und Captain Jack. Hier herrscht vor allem grenzenlose Freiheit.

In "Gravitacion" verabschieden sie sich gleich gänzlich in die Schwerelosigkeit und eröffnen den Raum für surrealistische Bilder ("Man kann nichts verlegen, man hat es verschwebt") und sogar eine musikalisch leicht melancholische Note. Ähnlich wie ihr Hit "Holz", wirkt die physikalische Grundkraft als Songthema zunächst eher abwegig, doch immerhin geben sie zu bedenken, dass Gravitation "mehr Wert als Liebe" sei. Zudem überraschen sie mit einem kritischen Einschub: "Auch das Meer wär' dann oben, und bestenfalls wär' das Wasser jetzt zum ersten Mal gerecht verteilt."

Einsprengsel wie dieses stellen im Œuvre der spaßwütigen Rapper durchaus eine Neuerung dar. Es handelt sich um einen interessanten Zufall, dass die 257ers ihr Album zeitgleich mit Fettes Brots "Lovestory" veröffentlichen. Während die Hamburger sich ernster Themen annehmen, um sie mit unangenehmen Albernheiten zu entkernen, stellen die Essener den Witz in den Mittelpunkt. Hin und wieder poppt ihre dahinterstehende Haltung kurz auf, um gleich wieder zu verschwinden. In Summe streuen sie jedoch genügend Indizien in ihre Clownsparade, um ein größeres Bild entstehen zu lassen.

Auf "Hokus Pokus" fungierten noch Halluzinogene als Toröffner zum "Regenbogenland". Nun skizzieren die 257ers die schillernde Parallelwelt als integrativen Sehnsuchtsort: "Du und deine Freunde, ihr seid eine Gang. Ihr wollt nicht mit den anderen, sondern nur alleine häng'. Ihr ballert gern' mit Knarren, euer Präsident ist Trump. Das kann mir nicht passieren, ich bin aus Regenbogenland." Dorthin erhalten gerade die weniger privilegierten Mitglieder der Gesellschaft eine Einladung. Mit dem "Lastkraftwagenfahrer" widmen Mike und Shneezin einer wenig glamourösen Berufsgruppe eine Hymne.

Grölnummern wie "Ja Sichael" setzen zwar auf parytaugliche Eskalation, doch "Bis Einer Weit" zeigt auch die Harmoniebedürftigkeit das Duos: "Ihr hattet alle mal keine Probleme. Dann hat einer angefangen. Das lässt der andere so einfach nicht stehen, Der eine hat ja angefangen." Sicherlich betrachten sie Konflikte etwas unterkomplex, aber ihr grundsympathisches Plädoyer der Versöhnung erwärmt das Herz. Lediglich den Beginnern verweigern sie gleich mehrfach die Zuneigung. So holen sie etwa in "Igitt" zum Seitenhieb aus: "Das ist peinlich, du Pimmel, wie's meiste der Beginner."

Für "Igitt" finden sie zunächst einen kindlichen Einstieg: "Igitt wie 'ne Spinne, igitt wie Gehirn, igitt wie sich barfuß auf die Füße urinieren." Auch die spartanische Hook zielt in erster Linie darauf, die Mutanten zu animieren. Doch punktuell verlassen sie auch hier das Pipi-Kacka-Universum, um ihren Unmut über Rechtspopulismus Luft zu machen: "Plakate kleben, AfD wählen, alle so: Igitt." Auch Diskriminierung lehnen sie impulsiv ab ("Igitt, wie homophob"). Damit dürfte Samy Deluxe nun wirklich der Letzte seiner Art sein, der 2019 allen Ernstes noch immer von sich gibt: "Ihr seid Homo-Rapper, Pimmel-in-den-Popo-Stecker – iihh."

Zu den ganz großen Hits à la "Holland" und "Holz" reicht es auf "Alpaka" diesmal nicht. Doch in einer Szene, deren Protagonisten sich zunehmend stilistisch annähern, sticht das Duo mit seinem humorvoll überdrehten Ansatz nach wie vor heraus. Mike und Shneezin setzen dem gängigen Para Para auf Trap-Beats ein entwaffnendes Palim Palim entgegen. Sie mögen eine Vorliebe für den exhibitionistischen Auftritt haben, doch in Wahrheit stehen neben den 257ers die Ehrenmänner der Shisha-Front entblößt da: "Haie sind auf jeden Fall die Killer der Meere. Aber geh' ich in 'ne Shishabar: Gorillas im Nebel."

Trackliste

  1. 1. Allo
  2. 2. Akk & Feel It (mit Captain Jack)
  3. 3. Gravitacion
  4. 4. Stone Is My Pillow
  5. 5. Igitt
  6. 6. Halt Mein Bier
  7. 7. Delorean
  8. 8. Stabile Seitenlage
  9. 9. Baggamuffin
  10. 10. Ja Sichael
  11. 11. Lastkraftwagenfahrer
  12. 12. Regenbogenland (mit Le Fly)
  13. 13. Bis Einer Weint

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