laut.de-Kritik
Das kalkulierte Playlist-Futter eines Social Media-Trolls.
Review von Yannik Gölz6ix9ine ist ein Enigma. Seine Persönlichkeit wirft so viele wahllose und inkohärente Elemente quer zusammen, dass es einen ganzen Schlag Erklärungsarbeit über ihn einfordert, bevor es sich überhaupt über die Musik zu sprechen lohnt. Okay. Also: Da ist dieser Typ, Tekashi 6ix9ine, und sein neues Album "Dummy Boy" könnte eines der erfolgreicheren Hip Hop-Alben des Jahres sein. Er sieht aus wie der fleischgewordene Albtraum eines jeden Gegners der modernen Schule des Raps, sein Name kommt scheinbar direkt vom CounterStrike-Account eines dreizehnjährigen Franzosen, er kann sich in seinen Musikvideos selbst kaum ernst nehmen und genießt trotzdem eine Art reale Street Credibility.
Das Cover-Artwork sollte man da getrost beim Wort nehmen. 6ix9ine ist, was passieren würde, wenn eine Schüler-Karikatur von einem Hausaufgabenheft rappt, die Fusion aus Zillakami und dem Crazy Frog. Alles an diesem Projekt ist ein Angriff auf den guten Geschmack des Hörers. Nur, dass er diese hundsgemeine Fähigkeit hat, es immer ein bisschen catchy zu machen.
Diese Eingängigkeit ist in den seltensten Fällen sein Verdienst und ganz bestimmt nie seine Idee. Aber wenn man "Dummy Boy" eines zugute halten muss, dann, dass es weiß, wie es sich die Aufmerksamkeit der Hörer sichert. Zum Beispiel versucht es im Gegensatz zu "Day 69" nicht mehr, "Gummo" neu aufzunehmen, weil Tekashi verstanden hat, dass die Originalität und der Schockfaktor in der Vergangenheit liegt.
Dafür springt er jetzt auf jede Welle Musik, die im November 2018 gerade brandet. Auf "BEBE" und "MALA" eignet er sich zusammen mit Reggaeton-Artist Anuel AA auf haarsträubend halbgare Art und Weise Latin Pop an. Das Ergebnis sind Autocrooner, die gerade so an der Untergrenze der Konsumierbarkeit landen, aber auf ihren Klimperkasten-Beats dann doch wieder genau den kleinsten gemeinsamen Nenner erwischen.
"FEFE" schnappt sich ganz ungeniert Valees "Two 16's"-Flow und recyclet ihn auf einen ganzen Song, was trotz 6ix9ines handwerklicher Limitiertheit vor allem mit Nicki Minaj ziemlich frisch und originell klingt. "STOOPID" orientiert sich an 2014-Ära Chief Keef, "TATI" an seinem ursprünglichen Mentor Zillakami.
Dazu kommt ein beeindruckend treffsicheres Gefühl dafür, welche Artists gerade musikalisch einen Song für ihn tragen können. Der Verse von Lil Baby auf "TIC TOC" oder Tory Lanez Track-dominierende Hook auf "KIKA" reichen für genießbare Songs aus, zu denen Tekashi kaum noch etwas beitragen muss. Es ist bezeichnend, dass nur ein Song von dreizehn ohne Gastbeitrag auskommt. Produktionen von Tay Keith, Murda Beatz und Scott Storch leisten ihr übriges: "Dummy Boy" klingt nie ganz verkehrt. Nie herausragend gut und nie im Ansatz ambitioniert, aber genug, um in einer Spotify-Playlist nicht geskippt zu werden.
Dazu kommen die Kollaborationen, die wie geschaffen dafür scheinen, Kontroverse auszulösen. Zwei Features mit Kanye, eine Zusammenarbeit mit dem aus dem Gefängnis aufnehmenden Meme-Rapper Bobby Shmurda, eine neu etablierte Catchphrase mit dem gebrüllten "STOOPID!" - es sind genau die Memes, die die Schlüsselreflexe triggern werden, um Aufmerksamkeit auf dieses Projekt zu lenken.
Ist "Dummy Boy" ungenießbar? Bestimmt nicht. Es ist sogar ziemlich unterhaltsam in seiner schamlos bescheuerten Selbstrespektlosigkeit. Anthoy Fantano traf es in seiner Review eigentlich ganz treffend: 6ix9ine an diesem Punkt ist eher eine Social Media-Persönlichkeit, die begleitend dazu Musik macht. Dass die bestenfalls mittelmäßig ist, untermauert eben, dass er niemals besonders langfristigen kulturellen Eindruck hinterlassen wird. Wie denn auch, wo er kaum ein Element in seiner Musik vorweisen kann, bei dem man nicht ganz klar das kaum verfälschte Vorbild darin identifizieren kann?
All das macht es in der Summe recht frustrierend. Denn hätte 6ix9ine nicht diese einmalige Begabung, die Aufmerksamkeit der Fans und Medien in einem Todesgriff zu halten, gäbe es herzlich wenig, was seine Musik besonders interessant machen würde. Niemand konsultiert dieses Projekt aus einem wirklichen Interesse an der Musik. Die Leute wollen das Spektakel und den Meme-Faktor.
Geschenkt, das kann ja auch Spaß machen und seine Daseinsberechtigung haben. Aber selbst im Vergleich zu einem Lil Pump, der ebenfalls Ignoranz und rotzige Attitüde gegen Vorgenerationen zum Kernfaktor seiner Ästhetik gemacht hat, fehlt es 6ix9ine an Sound und Originalität. Er ist ein Konglomerat an Versatzstücken, die nicht einmal aus einem authentischen Spaß an der Sache zusammengepuzzelt wurden, sondern aus dem Kalkül, was im Social Media-Zeitalter die größtmögliche Aufmerksamkeit erregen wird.
6 Kommentare mit 3 Antworten
KIKA, MAMA und ein paar andere Songs finde ich ziemlich nice. Rest Müll.
KIKA heftig
Kein front, aber du hast da im ersten Satz aus Versehen "Enigma" anstatt "Hurensohn" geschrieben.
Torch würde sich im Grab umdrehen, wenn er tot wäre!
Wer es genau dafür hören kann, was es sein soll und will, findet kurzfristige Unterhaltung. Wer höhere Ansprüche daran stellt, wird gnadenlos enttäuscht werden. Das Album heißt eben "Dummy Boy" und nicht "Blauer Samt".
Ihr könnt doch nicht Dummy Boy und MTBMB Side B von Eminem mit der gleichen Punktzahl bewerten. Dazwischen liegen mindestens Welten
@Hip_Hop-Fan: Absolute Zustimmung von meiner Seite !
Vielleicht nicht nur Welten sondern sogar ganze Autor*innen?