laut.de-Kritik
Chaos und Wut stehen nicht mehr im Vordergrund.
Review von Alexander CordasSchnippschnapp, Haare ab, dachte sich Alanis Morissette auf ihrer letzten Tour, als sie ihre Mähne nach und nach auf Pagenschnitt-Länge reduzierte. Ein kleiner Schritt für Alanis, ein großer Schritt für die Menschheit. So können wir ihr hübsches Gesicht in voller Pracht sehen, und auch musikalisch drängt sich der Eindruck auf, sie habe sich von Fesseln der Vergangenheit frei gemacht. Die wütende junge Dame aus "Jagged Little Pill"-Zeiten ist einer selbstbewussten Frau gewichen, die ihren Frieden gefunden zu haben scheint.
Ex-Freunde und -Liebhaber müssen 2004 nicht mehr fürchten, dass Alanis sie immer noch ans Kreuz nageln möchte. Der Umschwung im Denken resultiert in einer gedämpfteren Emotionalität, was jedoch nicht heißen soll, dass sie sich mit Oberflächlichkeiten begnügt. Morissette kann Konflikten jetzt auch positive Seiten abgewinnen, wo sie vorher nur frustriert und verärgert war. Das schlägt sich denn auch in der positiveren Grundtendenz des Albums nieder.
Unkonventionell bleibt die Kanadierin trotzdem. Oder wer setzt sonst schon die erste Single seines neuen Albums ans Ende der Trackliste? An erster Stelle müsste sie allerdings auch nicht stehen, denn "So-Called Chaos" hält weitaus spannenderes Material zum Entdecken bereit. Der Einstieg "Eight Easy Steps" sei nur beispielhaft erwähnt. Ohne hemmende Wirkung einer musikalischen Handbremse lässt es Alanis Morissette gut krachen. Das steht ihr gut, das macht Laune, weiter so.
Und tatsächlich ist die Klischee-Ballade erst einmal nicht in Sicht. Alanis geht beim Großteil der Tracks den seichten Tönen aus dem Weg. "So-Called Chaos", sowohl das Album, als auch der Song gefallen. Selbst wenn der Titeltrack dem beschriebenen Chaos mit vertracktem Arrangement und noisigen Zutaten noch einmal Ausdruck verleiht. Bis zum achten Lied dauert es, bevor sie kommt, die Ballade. "This Grudge" läutet eine Runde Wohlklang ein, ohne sich schon zigmal bemühter Gefühlsduseleien zu bedienen.
Die alten Bärte sind aber nicht alle abgeschnitten. Der eine oder andere Totalausfall stolpert auch 2004 in ihren Weg. "Knees Of My Bees" klingt trotz Sitar-Fragmenten etwas pausbackig, "Spineless" fällt gegenüber dem starken Anfangsquartett ganz deutlich ab. Ziemlich enttäuschend ist auch die Mickerspielzeit von lediglich 41 mageren Minuten. Ein bisschen wenig value for money. In ihrer eigenen Nische, die etwas verschroben dem Gitarrenpop fröhnt und den einen oder anderen Wackler im Songwriting beinhaltet, fühlt sich die Kanadierin wohl.
Mit ganz großen Dingen scheint sie uns nicht mehr überraschen zu wollen. Macht nix: jeder so, wie er's kann.
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