laut.de-Kritik

Sounds like a melody I've heard a long time ago.

Review von

Wer einen langen Atem hat, wird in der Regel belohnt. Diese Binsenweisheit trifft auch auf Marian Gold zu, Sänger und Songwriter von Alphaville. Nicht einmal zur Hochzeit des 80er Revivals wollte irgend jemand diesem Mann einen Plattenvertrag geben. Anstatt in Selbstmitleid zu versinken, nutzte er früh die Möglichkeiten des Internets, bot neue Songs als Gratis-Download an, verkaufte Online-Boxsets und hielt Kontakt zu den Fans via Liveshows.

Viel Wasser sei seit der großen Zeit von Alphaville den Rhein runtergeflossen, formulierte der heute vollbärtige Sänger neulich selbstironisch in der NDR Talkshow und stieg dann auf die Bühne, um den erdigen Song "I Die For You Today" vorzutragen. In der Tat, wir sprechen von reichlich Wasser. Sah ein bisschen so aus, als würde Demis Roussos Alphaville covern.

Im Rhein schwammen wohl auch einige Kippen mit, Golds Stimme klang jedenfalls kräftiger und verrauchter und nur mit Mühe erkannte man darin den jungen Mann, der einst wie sein Idol David Bowie nach Berlin zog, dort seinen größten Hit über Junkies am Bahnhof Zoo schrieb, und trotzdem eher als deutscher Paul Young in Erinnerung geblieben ist.

Die größte Überraschung auf "Catching Rays On Giant" ist nach diesem TV-Auftritt, dass Gold plötzlich wieder der Alte ist. Häh? Wie jetzt? "I Die For You Today" pluckert original wie auf dem Alphaville-Debütalbum in die Gehörgänge - Korgs, Arps und Rolands, alle haben sich wieder lieb und wiegen sich im Schunkel-Rhythmus. Dazu suhlt sich Golds Stimme wieder wie früher im Weltschmerz eines Kriegsversehrten. Willkommen zu "Sounds Like A Melody" Part 2.

Was nicht heißt, dass die Platte (nur) ein müder 80er Aufguss geworden ist. Golds Fähigkeiten als Komponist anrühriger Melodien finden sich zuhauf, etwa im schwülstigen Discofox-Opener mit aggressiv fröhlicher Pfeifmelodie, sozusagen die penetrante Version von "Young Folks" und besonders in den Balladen "Heaven On Earth" und "The Deep".

Problematisch ist höchstens, dass das alles nicht im Geringsten modern klingt. Im Gegensatz zu Camouflage fühlen sich Alphaville hörbar wohl im altehrwürdigen Trademark-Sound und würzen diesen nur unwesentlich mit frischen Ingredienzien. Mit Blick auf die sicher zehrenden vergangenen 15 Jahre irgendwie nachvollziehbar.

Dass Fans der (Ein-Mann-) Gruppe, so es sie noch gibt, die Platte in die Charts hieven, ist durchaus vorstellbar: Die etwas eindimensionalen Melodien befeuern die Erinnerungen an Golds und die eigene Jugend, sei es "The Things I Didn't Do" (beginnt wie "Always On My Mind") oder die rockige Grölnummer "Call Me". Oli Geißen schreibt bereits die Einladungskarte.

Wer nach der Hälfte der Platte aussteigt, macht dennoch einen Fehler. Das reduziert instrumentierte "Carry Your Flag" transportiert Golds ausladende Emotionen in überraschend unkitschiger Weise und auch das trocken-coole "Call Me Down" macht deutlich, wie dieses Album hätte klingen können. Es ist nicht Golds außergewöhnliche Stimme, die in der Zeitschleife hängen geblieben ist.

Das mit Chor angereicherte Finale "Miracle Healing" haut dann nochmal richtig aufs Bombast-Tablett. Wenn schon, denn schon. Kann man machen. Und jetzt hol' endlich deine Schäfchen ins Trockene, Marian.

Trackliste

  1. 1. Song For No One
  2. 2. I Die For You Today
  3. 3. End Of The World
  4. 4. The Things I Didn't Do
  5. 5. Heaven On Earth (The Things We've Got To Do)
  6. 6. The Deep
  7. 7. Call Me
  8. 8. Gravitation Breakdown
  9. 9. Carry Your Flag
  10. 10. Call Me Down
  11. 11. Phantoms
  12. 12. Miracle Healing

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LAUT.DE-PORTRÄT Alphaville

Ja, es gibt sie noch und es hat sie immer gegeben. Wer kennt nicht "Forever Young", mittlerweile verhunzt von etlichen Ich-Will-Auch-Mal-In-Die-Charts-Hüpfern?

19 Kommentare

  • Vor 13 Jahren

    80er Electro- Pop

    Für mich nur die Pet Shop Boys !!

  • Vor 13 Jahren

    Ich habs jetzt gehört und finde das Teil in Ordnung. Es geht tatsächlich mehr auf den Massenmarkt zu. Schließlich will sich ein Lebenszeichen im TV mittels Werbespots ja auch gut verkaufen bzw. es MUSS sich gut verkaufen. Da gibt es mein weinendes Auge (Ohr?), welches in Richtung Prostitute schaut. Aber naja, CROG ist zumindest angenehm zu hören. Schön, dass Camouflage erwähnt wurden. Damals die deutschen Depeche Mode, hat sich die Band eine Menge Eigenständigkeit erspielt. Ganz groß!

  • Vor 13 Jahren

    Auch wenn ich nicht gerade auf eine Rückkehr von Alphaville gewartet habe: Nette 80s-Pop-Platte.
    Nur das Cover sieht aus, als sei beim designen Photoshop explodiert!