laut.de-Kritik

Der Conor Oberst der elektrischen Gitarrenmusik.

Review von

Am Anfang: unstillbare Sehnsucht. Grenzenloses Verlangen nach Authentizität und Bedeutung, ausgedrückt in zeitlupenartigen Ambientflächen, entliehen aus nur gestreichelten Klaviertasten. Ein wehmütiges Cello mischt sich in das Crescendo. Eine fast greifbare Atmosphäre hängt in der Luft, unter der sanften Oberfläche brodelt es. Dann der Bruch: Die Gitarre wird eingestöpselt, ein lautes Feedback ertönt – und ich bin mittendrin in einer der bewegendsten Platten der Gegenwart.

Drückende Gitarrenwände stürzen übereinander, Bass und Schlagzeug peitschen voran, doch die Harmonie behält alle Fäden in der Hand. Eine helle Punkstimme ertönt und wischt die Wolken beiseite. Der Blick wird frei auf den üppigsten Sternenhimmel, schwerelos, wie betäubt treibe ich darauf zu. Weißes Rauschen. Ergreifende Schönheit. Klanggewordenes Freiheitsgefühl.

Ich drücke auf Pause, um kurz durchzuatmen. Was war denn das? Pressetext. Hinter Amusement Parks On Fire steckt ein gewisser Mike Feerick aus Nottingham, der schon mit 16 Jahren begann, an diesem Album zu schreiben. Fast alle Instrumente hat er selbst eingespielt und aufgenommen. Dank ihm feierte der NME 2004 die Versöhnung mit dem Genre Shoegazing, obwohl die Wortneuschöpfung 'Stargazing' deutlich besser passt. Denn Amusement Parks On Fire teilen zwar den verwaschenen dichten Sound mit schuhstarrenden Pionieren wie My Bloody Valentine, geben den Stücken aber gleichzeitig allen Raum zur Entfaltung.

Play-Taste. In "Eighty Eight" leuchtet Feericks überschwänglicher Gesang wie die Morgensonne nach der Nacht der Nächte. Es bedarf weniger gedehnter Silben, um den Keim unverfälschter Emotion, von jugendlicher Aufbruchstimmung zu säen. Die lärmenden Schallwellen aus "Wiper" klingen nach Sonic Youth zu "Daydream Nation"-Zeiten, während "Local Boy Makes God" sakrale Hypnotik anhaftet. Mit "Venosa" findet sich ein weiterer Übersong. Die Zeile "Shouldn't have to pay for it, cos you didn't ask for it" taugt als Hymne einer neuen Generation. Und weiter: "All you've ever known is what they sold you." Rausgehen und die Welt mit eigenen Augen erobern, sofort!

Am Ende: Erschöpfung. 43 Minuten zwischen donnernden Noiseschichten und auraler Herrlichkeit sind vorbei, ein breites Grinsen und das warme Gefühl in der Magengegend bleiben. In Mike Feericks Wanderbeutel steckt das Rüstzeug zum Conor Oberst der elektrisch verstärkten Gitarrenmusik. Richtungweisende Jetzt-Musik.

Trackliste

  1. 1. 23 Jewels
  2. 2. Venus In Cancer
  3. 3. Eighty Eight
  4. 4. Wiper
  5. 5. Venosa
  6. 6. Asphalt (Interlude)
  7. 7. Smokescreen
  8. 8. The Ramones Book
  9. 9. Local Boy Makes God

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