laut.de-Kritik
Die Lavigne-Bombe ist explodiert.
Review von Jakob HertlMillennial-Girls aufgepasst: Nach sechs Studioalben hat Avril Lavigne noch nicht genug gehabt und nun mit "Love Sux" Nummer sieben herausgebracht. "Ich bin an dieses Album herangegangen und habe einfach gesagt: Ich möchte eine Pop-Punk-Platte machen, eine Rock-and-Roll-Platte. Ich will nicht am Klavier sein. Ich will wirklich keine Balladen. Ich will einfach nur abrocken." Mit diesen Worten hat die Kanadierin "Love Sux" angekündigt – und ihr Wort gehalten.
Avril Lavigne ist also wieder da! Zwar ist das letzte Album von ihr gerade mal drei Jahre alt, doch die Avril Lavigne, die wir 2019 auf "Head Above Water" gehört haben, war eine andere. Eine ruhigere, nachdenklichere – keine schlechtere – eben einfach eine andere Avril Lavigne. Der Sound des neuen Albums ist wieder der, der bei Teenager-Mädchen vor 20 Jahren freudige Schnappatmung ausgelöst hat.
Äußerlich ist Avril Lavigne Avril Lavigne geblieben: auf dem Cover präsentiert sie sich mit Lidschatten im Waschbär-Style, komplett in schwarzem Leder gekleidet und in Stiefeln mit Absätzen, bei denen man sich schon beim Anschauen beide Knöchel bricht. Die Punk-Rocker-Attitude hört man unverkennbar in "Love Sux". "Like a ticking time bomb, I'm about to explode. And motherfuckers, let's go." – mit diesen Worten eröffnet Avril Lavigne das neue Album. Na dann explodier mal, Avril.
Gesagt getan, der erste Song "Cannonball" kommt wie aus der Kanone geschossen daher. Ein Upbeat-Kracher, der inhaltlich genau das liefert, was man erwartet hat: eine Abrechnung mit einem Ex-Lover mit der eindeutigen Message "I just wrote a song that goes, 'I don't give a fuck about ya'. And I'll be happy if we never speak again". Diesen inhaltlichen Konsens zieht sie in "Bois Lie" – eine Referenz auf ihren Hit "Sk8er Boi" – weiter durch. Jungs lügen, "I can too" erwidert Avril Lavigne. Unterstützt wird sie mit der Botschaft des Tracks von einem prominenten Feature-Gast: Rapper Machine Gun Kelly.
Dass sich ihre Einstellung nach zwei Songs nicht plötzlich geändert hat, zeigt bereits der nächste Titel: "Bite Me". Damit ist eigentlich alles gesagt. Allgemein habe ich selten ein Album erlebt, bei dem man mit dem Songtitel allein so gut den gesamten Inhalt des Liedes vorhersagen kann. "Love It When You Hate Me" verspricht zum ersten Mal zumindest musikalisch ein bisschen Abwechslung. Der Track mit Sänger Blackbear hat zwar auch die typischen Rockelemente, wenigstens im Verse wird der Gesang aber von einem trendigen Hip Hop-Beat begleitet. Würde mich nicht wundern, wenn die Mischung aus Nostalgie und Moderne den Zeitgeist trifft und in den nächsten Tagen voll durch die Decke geht.
Der Titeltrack "Love Sux" ist dann das erste krasse Lowlight. Musikalisch Einheitsbrei, inhaltlich fragt man sich nur, ob die gute Frau wirklich schon 37 oder doch im Teenager-Alter hängengeblieben ist. Eine Lawine der Begeisterung löst auch "Avalanche" nicht aus. Zugute halten muss man "Avalanche" jedoch den Text, der zum ersten Mal sehr persönlich und nicht total austauschbar klingt. Darin beschäftigt sich die Sängerin mit den Schwierigkeiten, Gefühle auszudrücken und auch mit der Überforderung, die der Erfolg im jungen Alter mit sich bringen kann.
Gerade einmal 18 Jahre jung war Avril Lavigne, als ihr mit dem Debütalbum "Let Go" der Durchbruch gelang. "I wish my life would've came with instructions" singt sie in "Avalanche". Oh ja, das wär wirklich schön. Wenn irgendwer eine Anleitung fürs Leben hat, bitte per Mail bei der laut.de-Redaktion melden.
Die nächsten Songs des Albums plätschern so vor sich hin. "Déjà Vu" und "F.U." sind nicht weiter erwähnenswert. "All I Wanted", auf dem blink-182-Bassist Mark Hoppus als Feature vertreten ist, kann man guten Willens auch nur in die Kategorie "ganz nett" einordnen. "Dare To Love Me" startet mit einem sanftem Klavier und lässt noch einmal aufhorchen. Kommt da die musikalische Abwechslung? Antwort: Nein. Nach zwei Minuten verfällt der Song wieder in das gewohnte Muster. Immerhin, der Anfang zeigt etwas, das beim fetzigen Punk-Pop sonst gar nicht so auffällt: nämlich, dass Avril Lavigne eine richtig, richtig gute Stimme hat.
"Break Of A Heartache" ist noch mal einer dieser Songs – wüsste man es nicht besser, könnte man denken, er wäre kurz nach der Jahrtausendwende aufgenommen worden. Das gilt für das gesamte Album. Und das ist überhaupt nicht im negativen Sinne gemeint. Ich bin mir ziemlich sicher: alle die mit solcher Musik aufgewachsen sind und früher ein Hillary Duff- oder The Veronicas-Poster an der Wand hängen hatten, wird dieses Album begeistern.
Man hat das Gefühl, die ganzen neunmalklugen Kritiker und Musikjournalisten (wie ich) waren Avril Lavigne bei diesem Album vollkommen egal. "Love Sux" ist für die treuen Fans gemacht, einfach zum gemeinsamen Abrocken. So wie früher. Und wahrscheinlich ist genau das der Grund, warum es bei vielen internationale Kritikern von Forbes bis Billboard so gut ankommt. Auch wenn mir persönlich ein wenig der Bezug zu ihrer Musik fehlt, dafür hat sich Avril Lavigne meinen Respekt verdient.
Bevor ich das Album zum ersten Mal gehört habe, dachte ich mir: ich bin kein Kind der 90er Jahre, kein 16-jähriges Mädchen in der Trotzphase und leide aktuell auch nicht an akutem Liebeskummer – das kann mir doch eigentlich gar nicht gefallen. Wie wichtig es aber ist, vor dem Musik hören ab und zu einfach sein Hirn abzuschalten, hat dieses Album mal wieder bewiesen. Wenn man bei "Love Sux" nämlich nicht übermäßig auf die recht anspruchslosen Teenie-Texte achtet und nicht die ganz großen, musikalisch ausgeklügelten Meisterwerke erwartet, dann wird jeder merken, wie der Fuß nach ein paar Sekunden anfängt zu zucken. Und spätestens nach den ersten drei Songs muss man einfach mitwippen.
"Love Sux" ist vielleicht kein Meilenstein in der Musikgeschichte, nichts Weltbewegendes. Aber es muss ja auch nicht jedes Album weltbewegend sein. Manchmal muss es auch einfach nur Spaß machen. Avril Lavigne hat Musik gemacht, die ihr Freude bereitet: "Das ist die Art von Musik, in die ich mich verliebt habe, als ich alt genug war, um CDs zu kaufen, Bands zu entdecken", sagte sie im Interview mit Billboard. Allen Fans hat sie mit "Love Sux" sicher eine mindestens genauso große Freude bereitet.
15 Kommentare mit 12 Antworten
"Wie wichtig es aber ist, vor dem Musik hören ab und zu einfach sein Hirn abzuschalten, hat dieses Album mal wieder bewiesen."
Als ob man sein Hirn bräuchte, um dieses peinliche Gekrächze scheiße zu finden. Selbst Höhlenmenschen würden hier beschämt die 1/5 zücken.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.
Dann oute ich mich als Höhlenmensch; denn ich finde die Avril seit ihrem Debut echt cool!
Selbstverständlich Höhlenmenschen mit Skateboards mit Steinrollen. Japadappaduuuu
https://www.youtube.com/watch?v=YD36ZhpHPpE
So tief sollte mensch den eigenen Nischentauchgang schon planen um hier von anderen irgendwann einmal für voll genommen werden zu können, imho. Zumal es ebenfalls dem Hause Hanna-Barbera entsprang.
Eine der besten PR Leistungen der Musikgeschichte war Avril Lavigne zu Zeiten des Debuts glaubhaft als Anti-Britney zu verkaufen.
Naja, bisschen hoch gegriffen. Ich dachte schon bei den Spice Girls, dass die rothaarige doch sehr an Shirley Manson von Garbage angelehnt war. Dann kam Schrill Lavigne und ich dachte das gleiche. Ist schon auch damals durchschaubar gewesen. Aber schön, dass sie noch dasselbe machen kann. Nicht mein Bier, aber Prost.
Um etwas Positives zu sagen, ich hätte nie gedacht, dass dieser schrottig-billige Kindergarten-Pop-Punk des Debüts keine Eintagsfliege sein würde. Also, richtig positiv war das jetzt nicht, aber ihr versteht schon.
Es klingt leider langfristig gehört alles gleich. Aber trotzdem machen gerade die ersten Songs immer noch Spaß und sorgen für ein gewisses Nostalgie-Feeling! War plötzlich auch wieder teenie gefühlt, war nett.
Wenn man nicht hinhört, ist das Album bestimmt ganz gut.
Wenn man das Album rückwärts abspielt kann man Britney Spears Bitte zu ihrer Freilassung ganz klar hören.