laut.de-Kritik

Im Schatten der Zwiebeltürme: Der Piano Man dokumentiert das Ende einer Ära.

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Das Braunkehlchen war Vogel des Jahres 1987. Zwischen dem 20. Juli und 30. August belegten die Pet Shop Boys mit "It's A Sin" die Nummer eins der deutschen Single Charts. Jeder wollte einen Walkman, niemand kannte Smartphones. Wie auch, wenn der gerade vorgestellte Amiga 500 einen Arbeitsspeicher von 512 KB hatte?

Wir befanden uns mitten im kalten Krieg. Die Mauer teilte Deutschland, und Gorbatschow hatte erst zu Beginn des Jahrs die Perestroika angekündigt. In diesem Umfeld landete Billy Joel nach 100 Auftritten mit seiner "The Bridge"-Tour hinter dem eisernen Vorhang. Ein Ausflug, den bereits das Live-Album "Концерт" dokumentierte und der nun mit "A Matter Of Trust: The Bridge To Russia" als Doppelalbum und DVD/BluRay nochmals Verwertung findet.

Im Schatten der Zwiebeltürme fährt der Piano Man alles auf, was die 1980er zu bieten hatten. Ein Star in weißen Tennissocken, Jacketts mit Schulterpolstern in den abseitigsten Farben, E-Drums in Wabenform und mit Dave Lebolt einen hyperaktiven Hampelmann als Keyboarder, der nicht einmal vor der gefürchteten Keytar zurückschreckt.

Leider fand das Gastspiel während einer künstlerischen Talsohle statt. Das enttäuschende "The Bridge"-Album blieb berechtigterweise deutlich hinter den Verkaufszahlen des Vorgängers "An Innocent Man" zurück. Mit "Big Shot", "Only The Good Die Young", "Prelude / Angry Young Man" und dem Schmachtfetzen "Honesty" schaffen es gerade einmal vier Stücke aus den 1970ern ins Programm.

Gelingt Joel mit "Prelude / Angry Young Man" noch ein furioser Start, verläuft sich die Energie des Konzerts nach "Goodnight Saigon" mehr und mehr. Die routinierte Band gibt sich musikalisch keine Blöße, lässt dafür aber Herzblut vermissen. Erst mit dem Finale aus "Big Shot" und "Back In The U.S.S.R." rappelt sich Billy Joel, dessen Großvater Karl 1938 sein blühendes Wäscheversandgeschäft in Folge der Arisierung an Josef Neckermann verkaufen musste, wieder auf.

Letztendlich dokumentiert "A Matter Of Trust: The Bridge To Russia" das Ende einer Ära im Schaffen des Pianisten und Sängers. Nach der Tournee trennte er sich von der mittlerweile festgefahrenen Band, mit der er zuvor zehn Jahre zusammen arbeitete. Nur Schlagzeuger Liberty DeVitto blieb übrig. Von der Reise brachte er den Song "Leningrad" mit, der sich auf dem darauf folgenden "Storm Front"-Album befand, mit dem er zumindest kommerziell wieder an die alten Erfolge anschloss.

Trackliste

  1. 1. Prelude / Angry Young Man
  2. 2. Allentown
  3. 3. Goodnight Saigon
  4. 4. Big Man On Mulberry Street
  5. 5. Baby Grand
  6. 6. An Innocent Man
  7. 7. Honesty
  8. 8. The Longest Time
  9. 9. A Matter Of Trust
  10. 10. Only The Good Die Young
  11. 11. It's Still Rock And Roll To Me
  12. 12. Sometimes A Fantasy
  13. 13. You May Be Right
  14. 14. Uptown Girl
  15. 15. Big Shot
  16. 16. Back In The U.S.S.R.
  17. 17. Pressure

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