laut.de-Kritik
Die ganz normale Realness eines quasi blinden Albinos.
Review von Alexander Engelen"The truth is here", versprach Brother Ali Anfang des Jahres auf der Folge-EP seines letzten großen Albums "The Undisputed Truth". Ziemlich viel Wahrheit war das. Sogar für einen Vertreter des Rap-Genres, in dem Wahrheit - beziehungsweise die meist missverstandene Übersetzung Realness - so oft (unreflektiert) als stärkste Währung gehandelt wird.
Dabei darf Wahres nur der erzählen, der damit auch in die Schublade der Kultur-Narrative passt. Und manchmal kann sogar dieses starre Korsett an Regeln und Vorgaben bestimmen, was wahr oder falsch ist. Konsens-Authentizität nennt man das dann wohl.
In der Klischee-Kulturform Hip Hop steht Brother Ali mit seiner Wahrheit ziemlich alleine da. Er ist Albino, farblos also. Diese Wahrheit bringt das von (Haut-) Farbe besessene Hip Hop-Genre in ernste Verständnisschwierigkeiten. Der Ausnahmestellung zum Trotz betitelt Brother Ali sein neues Album schlichtweg "Us" und entwirft damit ein simples Bekenntnis der Zusammengehörigkeit: "I started rhyming just to be somebody. Found out that I already was. Cause can't nobody be free unless we're all free. There's no me and no you, it's just us", rappt er zu Kirchengesängen und klatschenden Händen.
Und weiter: "Street preacher is what a fan once called me. I been called worse and tried to live up. Hope you don't mind a few more stories, I swear to god y'all I tell 'em with love." Brother Ali gibt den Geschichtenerzähler, der das Leben eines (fast) ganz normalen Menschen zwischen Angst, Liebe, Frustration und Freude lebt. Die ganz normale Realness. Präsentiert von einem quasi blinden, stetig fluchenden Moslem und Albino. Wenn es einen alternativen Underground gibt, dann ist dieser Brother Ali sein Messias.
Mit Raps, die Weitsicht beweisen und trotzdem so nahe an einer menschelnden Realität sind, dass man Ali sogleich zum lokalen Vikar ernennen will. Nicht unpassend deklariert er sich auf dem Brass Band-Lehrstück als "The Preacher": "I don't know but I got this feeling / These people need some healing."
Bei oberflächlicher Betrachtung könnte all das als astreine Wohlfühlmusik durchgehen. Das musikalische Gewand ließ sich der Rapper immerhin von einer anderen Alternative Rap-Stütze auf den Leib schneidern: Ant, ein Teil der Qualitätsgaranten von Atmosphere, streut seine gedeckten Bass-Lines, Laissez-faire-Keys und Softrock-Gitarrenlicks auf 60 Minuten butterweich über simple, aber klischeefreie Hip Hop-Drums.
Doch genau dann, wenn der Vibe auf einem lockeren Boom-Bap bettet und Alis leicht rauchige Raps losgelöst über den Beat gehen, trumpft der Protagonist mit unter die Haut gehendem Storytelling auf. Ali verpackt subliminale Gesellschaftskritik in die Geschichte eines schwulen Teenagers ("Tight Rope"), sorgt für kaltes Entsetzen anhand des Schicksals eines vergewaltigten Mädchens ("Babygirl") und zeigt die unglamouröse Fratze der Crack-Problematik auf ("Games"). Ohne Effekthascherei, nie selbstgerecht und immer mit den lebendigen Augen eines mitfühlenden Betrachters.
Dabei ist "Us" alles andere als ein "Heal The World"-Projekt. Brother Ali trägt das Mikro fest in der Hand. Hier agiert ein Rapper, der auch den Mund aufmacht, wenn es darum geht, den Skills-Hammer auf den Tisch zu hauen. In Kollaboration mit Freeway und Joell Ortiz erklärt man sich durchaus überzeugend zu den "Best @ It". Metaphernreich lädt Ali auf "Crown Jewel" zur entspannten Selbstbeweihräucherung. "Bad Mufucker" präsentiert gar den selbstreflektierten Battlerapper. Auch hier wirkt Ali nie aufgesetzt oder auch nur mit einer Silbe fehl am Platz. Er bleibt immer nur real!
7 Kommentare
In der Review kommt das Album ja ziemlich solide weg für 3 Punkte. Aber mir sind solche soliden 3 Punkte lieber als 4 Punkte mit einem faden Beigeschmack. Ergo: gute Review.
Endlich mal eine Ali-Review!
Stimme der Review zu, schön geschrieben, aber:
4/5 definitiv.
Bitte mehr Platten aus dieser Liga hier..
wow das hat aber gedauert!
immerhin sind die beiden vorgänger schon fast sowas wie moderne klassiker.
an "shadows on the sun" kommt die neue leider nicht ganz ran, das album hat aber schon paar echt starke momente, wie z.B. "tight ropes".
3,85/5 oder so...
Hab das Album nicht gehört bisher, aber 3/5 klingt echt etwas wenig, Ali ist doch ne Bombe, das kann nicht sein
nö kann auch nicht sein, kein plan was diese durchschnittswertung soll, aber naja...
@gutelaune (« nö kann auch nicht sein, kein plan was diese durchschnittswertung soll, aber naja... »):
Naja, in Relation zu "Shadows on the sun" würde ich sagen, 3/5 ist zwar zu krass, aber meintewegen... aber in Relation zu sonstigem Rap-US-Output ist das schon eher 4/5.
Also irgendwie könnte man in einer 10er-Skala schon besser einnorden.
Soll ich Aufstand machen, oder ändert ihr das jetzt mal direkt, oda wie?