laut.de-Biographie
Captain Gips
"Ich kann mich noch erinnern, ich hörte kaum Rap, hörte nur Rage Against The Machine", entführt Captain Gips in der Erinnerungsnummer "Weißt Du Noch" auf seinem Album "Optimus Prime" in längst vergangene Tage. Die Zeitreise blickt auf eine solide Punk-Rock-Vergangenheit zurück.
Trotzdem kriegt er sie noch, die Kurve hin zu Public Enemy, Ice T, den Dead Prez und dem Wu-Tang Clan: "Du tust verdammt gut daran, wenn du dein' Hut ziehst." Spätestens Mitte der 90er Jahre hat Captain Gips Blut geleckt: Er schreibt eigene Texte und gründet 1997 mit einigen Kumpels die Combo Diebe der Zeit.
Deren Werdegang: ein klassischer. Demoaufnahmen folgen Auftritte, zunächst in der Heimatstadt Hamburg, später quer durch die ganze Republik. Die Zeitdiebe wärmen diversen Deutschrap-Kollegen, aber auch Afu-Ra und Jeru The Damaja die Bühnen vor.
2002 wagt Captain Gips den ersten Alleingang. Seine Solo-Aufnahmen landen auf einem Tape, dessen 300 in Eigenregie hergestellte Kopien er rasch unters Volk bringt.
Dem Zusammenhalt der Crew tut dies keinen Abbruch. Unter tatkräftiger Mithilfe von Doppelkopfs Bubbles und anderer Beteiligter werfen sie 2004 eine EP auf den Markt.
Deren Titel "Schluss Mit Lustig" bewahrheitet sich erst später: Obwohl ihre Auftritte die Diebe der Zeit bis ins lettische Riga führen, trennen sich 2005 die Wege. Die Mitglieder verstreut es in alle Winde, nach London und Berlin.
Captain Gips sitzt nach wie vor in Hamburg und findet dort nun mehr als genug Zeit für seine Solo-Ambitionen. 2006 wirft er gleich zwei Alben unters Fan-Volk. Danach wird es still.
Von Sinnsuche, Weltumseglung, Abenteuern unter Piraten spricht seine blumige Biografie. Fakt ist: Dem "Transformer" von 2006 folgt drei Jahre später der Chef-Transformer.
Auf "Optimus Prime" ist auf den ersten Blick von einem Alleingang keine Rede: Die Techno- und Elektro-lastigen Beats steuert Arne Ferrari bei. Es rappen neben Captain Gips die Herren King Fuck, MC Fresh und Florida Klaus.
Dass all diese Gestalten Hirn und Kehle des Mannes entspringen, der die Kapitänsmütze aufbehält, erschließt sich nicht von selbst. Erst ein Blick ins Presseinfo verrät: "Manche nennen es multiple Persönlichkeit, andere nennen es schlicht Kreativität."
Wenn die überquillt, muss sie irgendwo hin, zum Beispiel auf eine Kollabo-EP mit Kollegen Johnny Mauser. "Neonschwarz" nennen die beiden ihr gemeinsames Baby, das 2010 das Licht der Welt erblickt.
Das allerdings nicht für lange: Die Hüter von Ordnung und Moral bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien wittern im Track "Flora Bleibt", der sich offenbar zu deutlich für den Erhalt des autonomen Zentrums Rote Flora ausspricht, einen Aufruf zur Gewalt. Die Nummer landet auf dem Index - und damit die ganze EP.
Das wiederum wurmt Captain Gips: "Ich finde es sehr bedenklich, wenn der Staat in die künstlerische Freiheit eingreift, weil ihm die in den Songs vertretene Meinung nicht passt", klagt er im Interview mit schallhafen.de. "Es wurde bei uns ja argumentiert, dass der Text zu Gewalt aufrufe, aber natürlich geht es hier letzten Endes nicht um Gewalt, sondern die 'falsche' politische Einstellung, die wir vertreten. Sonst müsste der Staat ja auch massenhaft gewaltverherrlichende Songs von Menschen wie Bushido, Kollegah und den ganzen anderen Kartoffelgangstern verbieten."
Die EP "Neonschwarz" verschwindet unter dem Ladentisch, dafür taucht das Projekt gleichen Namens gerade erst auf dem Radar auf: Captain Gips firmiert fortan zusammen mit - klar! - Johnny Mauser und Sängerin Marie Curry unter diesem Namen. "Unterm Asphalt Der Strand" markiert 2012 das erste greifbare Lebenszeichen der Truppe. Es soll nicht das letzte bleiben.
Zwischendurch wandelt Captain Gips aber immer wieder auf Solopfaden. Sein Album "20.000 Meilen Unter Dem Yeah" erscheint im November 2013, wie die Alben von Neonschwarz auch, bei Audiolith. Wenig verwunderlich, dass er sich dort mit seinen Alleingängen ebenfalls gut aufgehoben fühlt:
"Antifaschistische Themen und das gute entspannte Leben liegen meiner Meinung nach eigentlich ziemlich dicht zusammen. Unser Ziel ist ja letztlich ein gutes Leben für alle. Kapitalismuskritik gehört ja auch zu den antifaschistischen Themen und ich sehe meine (scheinbar lustigen) Songs, in denen es oft um Lohnarbeitsverweigerung geht, da schon in dieser Reihe. Ich verpacke es nur anders ... und lasse vielleicht manchmal mehr Interpretationsspielraum."
Ziemlich viel Spielraum muss das LKA Hamburg gefunden haben, um Captain Gips Ende 2014 eine Ermittlung wegen Volksverhetzung an die Backe zu flicken: Sein Song "NaziFreieZone", der schon zweieinhalb Jahre zuvor zu einer Gegendemo zu einem geplanten Nazi-Aufmarsch lud, rufe zur Gewalt auf, heißt es es.
Weder Neonschwarz noch Captain Gips lassen sich von derlei Vorwürfen ausbremsen: Crew wie Einzeltäter fügen ihrer Diskografie munter Veröffentlichung um Veröffentlichung an und befinden sich gefühlt ununterbrochen auf Tour.
Im Sommer 2017 zieht Captain Gips wieder einmal im Doppelpack mit Johnny Mauser durch die Lande. Den Releasetag kann man sich dann auch gleich teilen: Johnnys "Mausmission" erscheint am selben Tag, an dem Captain Gips die Parole "Klar Zum Kentern" ausgibt. Von Absaufen hat niemand etwas gesagt.
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