laut.de-Kritik

Mit "Pretty Girl" vom Schlafzimmer-Pop zum Hipster-Adel.

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Der Aufstieg der 19-jährigen Clairo klingt wie die perfekte virale Erfolgsgeschichte: Seit ihrem dreizehnten Lebensjahr hantiert sie im Internet mit Indie-Pop und obskuren Bandcamp-Musikern. 2017 veröffentlichte sie ihren ersten eigenen Popsong, eine unterschwellige, entspannte Nummer über Selbstliebe und Akzeptanz. Begleitet von einem radikalen DIY-Webcam-Musikvideo geht "Pretty Girl" prompt durch die Decke, sammelt binnen Monaten mehrere Millionen Views und erregt die Aufmerksamkeit von Blogs wie Pitchfork, Pigeons & Planes und The Fader.

Während inzwischen schon erste Vorwürfe laut werden, Clairo sei von Anfang an ein Industrieprodukt gewesen, bekommt sie nun auf "Diary 001" die Gelegenheit, sich gegenüber neuen Fans und neuen Skeptikern gleichermaßen zu beweisen. Und auch wenn die erste EP ein paar vielversprechende Facetten der Newcomerin zeigt, versteckt sie sich über die ein wenig montone Laufzeit doch zu sehr hinter Vibe und Persönlichkeit.

Bedroom-Pop ist ohnehin ein schwammiger Genre-Begriff, Clairo ordnet sich dementsprechend zwischen ganz verschiedenen Fronten ein. Ein bisschen synthetischer als Genre-Stars wie Frankie Cosmos geht der gemächliche, gleichförmige Klang fast in Richtung von Dream-Poppern wie A Sunny Day In Glasgow oder Hatchie. Auf Tracks wie "Flaming Hot Cheetos" evoziert ein simpler, aber süßer Loop aus verschlafenen Synthesizern, entspannten Plugs und bassiger Perkussion zeitgemäße Pop-Vibes, die entfernt an Lordes "Pure Heroine" erinnern. Auf "B.O.M.D." unterstützt sie Danny L Harle von Londons ominösem PC Music-Camp an der Produktion. Aus ähnlichen Internet-Genre-Gefilden zehren auch längere Instrumental-Passagen, die man mit ein wenig Fantasie auch problemlos unter Buzzwords wie Vaporwave oder Mallsoft führen könnte.

Logisch, dass ein Kind des Internets sich eine weite und wenig ausdifferenzierte Palette an Sounds und Genre-Ideen zur Brust nehmen würde. Auch wenn immer wieder angenehme und wohlklingende Texturen aus dem minimalistischen Bedroom-Ansatz entstehen wie zum Beispiel der extrem eingängige Refrain auf "4EVER" oder die ansteckende Beschwingtheit des "Pretty Girl"-Instrumentals, tragen diese die Spielzeit der EP nicht komplett.

Gerade Titel wie "How? - demo" sind emblematisch dafür, dass das Songwriting eben doch manchmal ein bisschen mehr Detail hätte vertragen können. Zwar funktionieren die Tracks einzeln betrachtet mal einwandfrei, mal so einigermaßen, aber auf die ganze Dauer eines Projektes entstehen allein durch die Gleichförmigkeit und mangelnde Variation der Stimmlage und Loops gewisse Längen. Auch fühlen sich verschiedene Momente der EP wie eher generischer Bedroom-Pop an. Die Versuche, die ursprüngliche Formel aufzubrechen, bleiben ebenfalls eher fruchtlos.

Featuregast Rejjie Snow hat auf "Hello?" zwar einen an sich soliden Gastvers, zeigt aber in seiner tiefen Stimme und harten Gangart charakterlich wie textlich absolut keine Chemie mit Clairos leichtfüßiger Teenage-Poesie. Auch Danny L Harle bringt trotz seiner erfrischenden Ästhetik wenig Akzent im Songwriting mit. Die Wiederholungen auf "B.O.M.D." oder "4EVER" können bei wiederholtem Hören ebenfalls ziemlich monoton werden, gerade, wenn man der Persönlichkeit der Protagonistin nicht kompromisslos verfallen ist.

Die ist dafür natürlich einer der großen Selling Points des Tapes: "Diary 001" ist nicht so autobiographisch, wie der Titel es vermuten lässt, sondern verschreibt sich dafür komplett dem jovialen Charme der Sängerin. Die Lyrics sind simpel, drehen sich durch die Bank um mehr oder weniger melancholische Beschreibungen von Teenage-Romantik, während nur ab und zu die Ebene des Internet-Zeitalters als interessante Drehung für die simplen Lovesongs fungiert. Kann man für flach und eindimensional halten, sorgt aber für einen intimen und authentischen Flair über der Gesamtheit des Projektes.

"Diary 001" ist auf keinen Fall der spektakuläre Durchbruch, mit dem Clairo allen Zweifel an ihrem Come-Up abschütteln wird. Trotz der kurzen Spielzeit zeigt sich ihre Trickkiste eher limitiert, nur wenige Momente ragen wirklich aus dem bewährten Bedroom-Pop-Rezept heraus. Dafür wird ihr Charisma und die generelle Entspanntheit ihres Sounds auch weiter dafür sorgen, dass Spartenfans eine gewisse Freude an ihrer Musik finden werden. Auch wenn das Tape in der eigenen Sparte ein bisschen zu genretypisch und zu wenig experimentierfreudig gerät, liefert es doch zumindest frische Persönlichkeit und solides Backenfutter mit Potential für Fans der Indie-Bedroom-Sphäre.

Trackliste

  1. 1. Hello?
  2. 2. Flaming Hot Cheetos
  3. 3. B.O.M.D.
  4. 4. 4EVER
  5. 5. Pretty Girl
  6. 6. How - demo

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