laut.de-Kritik
Als gäbe es nicht genug Anlässe zum Besäufnis!
Review von Yannik Gölz[19:00] Abwechslung muss sein. Normalerweise mach ich auf dieser Website ja die geschmacksverirrten Takes zu Hip Hop und K-Pop, aber alle paar Vollmonde sage ich einem Review-Blind Date zu. Das ist wie damals, als man Praktikant war und einfach irgendwelche Platten auf den Schreibtisch gelegt bekam. Normalerweise ist das süß, horizonterweiternd und schnell erledigt, vielleicht sogar mit ein paar neuen Songs in der Playlist. Mit zweieinhalb Stunden selbsternanntem "Musketier-Rock" habe ich aber nicht gerechnet. Wikipedia beschreibt D'Artagnan mit den Prädikaten "Schlager-Rhythmus" und "kumpelhafte Texte". Ich muss schlucken.
Aber: Das Schöne daran, kein Praktikant mehr zu sein, ist nicht mehr so tun zu müssen, als kenne man sich mit allem aus. Damals tat ich, um Chef Joachim zu beeindrucken, so, als hätte ich definitiv fundierten Background in Neo-Folk, Country oder norwegischem Indie, heute kann ich einem D'Artagnan offen und ehrlich begegnen. Also: Keinen blassen Schimmer, was bei den Homies geht. Aber ich habe Lust, mich darauf einzulassen. Ich bin mir unsicher mit Schlager und Musketieren, aber ich mag die Spongebob-Mittelalter-Folge, Fantasy-Romane und campy Blödsinn, außerdem bin ich auf einem Trip mal an ein Mädchen geraten, das darauf beharrt hat, mir für zwei Stunden Mittelalter-Metal zu zeigen. Ob ich's mochte, weiß ich nicht mehr. Eine gute Chance also, das herauszufinden. Es folgt eine zweistündige Gonzo-Reportage über meine Eindrücke vom Musketier-Volksfest. Bring it on, D'Artagnan!
[19:03] Meine Larping-Session startet wankend. Das Intro "Dreht Sich Der Wind" stellt sich wohl die Frage, wie viel Max Giesinger man aus Mandoline und Dudelsack quetschen kann. Stellt sich heraus: Wo ein Wille ist, ist ein Weg. Die Klangkulisse wirkt durchaus auf ihre Art charmant, gerade der Leadsänger trifft diesen Walther von der Vogelweide-Swagger nicht schlecht. Aber die Ohh-ohh-ohh-Chants mit geleckter Deutschpop-Produktion und der Urahne des "Und wenn sie tanzt"-Refrains haut mich nicht gerade um. Herr Spielleiter, in meinem Start-Inventar haben wohl ein paar Bierhumpen gefehlt?
[19:08] Ich bin verwirrt. Nachdem ich in der frühabendlichen Novembernachtschwärze angeblich in den Mai getanzt bin, warte ich nun auf Westwind für die Seefahrt. Und irgendwo schwant mir die Angst, dass meinem Spielleiter das eigene Worldbuilding gar nicht so wichtig ist. Der interessiert sich nämlich weder für die potentielle "The Wicker Man"-Hexenmesse eines Frühlingsliedes noch für swaggy Seemannssprache. Spielleiter Ben Metzner – wie ich mir angelesen habe auch bekannt als "Prinz Hodenherz" von Feuerschwanz – interessiert sich bisher vor allem für "Oh-Oh-Ohs", Plattitüden und Suff. Was fair ist, aber nach all dem Getue über "Musketier-Rock" hätte ich doch erwartet, mich nicht so sehr zu fühlen wie in einer Fußballumkleide.
[19:11] Fun Fact: "Die Hymne Felsenfest" ließe sich 1:1 als "Party Rock Anthem" übersetzen. Das ist dämlich und deswegen diesem Album eigentlich auch recht angemessen. Ich dachte, der Titeltrack "Felsenfest" böte eine gute Chance, mich einzuführen, was es mit diesen Musketieren konkret so auf sich hat. "Einer für alle, alle für einen", "bis die Hölle zugefroren", "da hilft nur die Flucht nach vorn" machen schnell klar: Es geht um Phrasen. Aber wer weiß, vielleicht mästen sie das Phrasenschwein ja gerade auch nur, um es beim späteren Bankett zu grillen? Das Dudelsack-Solo war aber süß, und der Gitarrist danach kann bestimmt Dragonforce auf Guitar Hero auf mittlerer Schwierigkeit!
[19:13] Lasst mich nicht lügen, der Songtitel "My Love's In Germany" macht mir ein bisschen Angst. Englischer Gesang. Irgendein Brezelbruder kämpft angeblich gerade in Deutschland für den Adel. Sehr mutig, sagt eine Zweitstimmen-Frau. Sie liegen sich aber zu schnell lallend für den gefühlsduseligen Refrain in den Armen, um etwas Interessantes oder Problematisches zu sagen. Ich atme auf, so richtig unterhalten fühle ich mich bisher aber auch nicht.
[19:15] Der Ratschlag im Songtitel "Trink Mein Freund" sollte nicht auf Track fünf kommen, sondern als fetter Disclaimer auf dem Album-Artwork prangen. Jetzt ist das auch zu spät. Die Tetris-Melodie habe ich aber nicht kommen sehen. Für "Hey"-Chants auf den Offbeats bin ich auch immer zu haben. Ganz ehrlich? Das ist ein bisschen ein Banger. Hey, der erste gute Song hier! Exciting!
[19:35] Ich habe ein paar Songs durchlaufen lassen, bis wir auf "Wein & Wahrheit" wieder beim völlig unprätentiösen Suff angekommen sind. In der Zwischenzeit muss ich festhalten: D'Artagnan sind keine guten Geschichtenerzähler. Ich habe irgendetwas über drei schwedische Reiter im Kopf behalten, die sterben und als Geister wiederkommen. Klingt interessant, aber irgendwie macht die Pflicht, sehr viele Phrasen und sehr viel Gelalle unterzubringen, es schwerer, Gefühle zum Erzählten zu entwickeln. Der Spielleiter baut Geschichten so skizzenhaft auf, dass da keine Kampagne draus wird und man die Grundstriche eines Märchens höchstens mit einem "Aha" quittieren kann. Das coole an Themen-Bands – gerade im Metal – ist ja normalerweise, dass man den Jungs und Mädels anmerkt, dass sie totale Geschichts-Nerds sind. Diese Typen hier scheinen hingegen weniger über Musketiere zu wissen als ich.
[19:40] "Brüder, Lasst Uns Gehen" wiegt mich kurz in die Hoffnung, dem Album in einer humanen Zeit entwischt zu sein. Aber das war nur Disc 1. Und wie sagte man im Musketier-Zeitalter? Go hard or go home. Also: Weiter zu Disc 2.
[19:43] Die startet mit "We're Gonna Be Drinking", was sich ungefähr mit "na gut, machen wir uns nichts vor" übersetzen lässt. Jungens, ich habe langsam das Gefühl, dass das ganze Mittelalter-Ding eigentlich nur ein Vorwand ist, in einer Zeitspanne zu leben, in der das Konzept Alkoholismus noch keinen Namen trägt?
[19:50] Wer auch immer das dudelsackisierte ... Italien-Tribut (?) "Bella Ciao - Versione Italiana" konzipiert hat, sagt auch beim Dorfitaliener "Duo Capuccini, por favor" und fühlt sich wie Mister Worldwide persönlich. Ein Song wie Nudeln mit Ketchup.
[20:12] Ist diese ganze zweite Disc nur dazu, um zu beweisen, mit wie vielen Kulturen sie sich noch so nicht auskennen? Beeindruckend trotzdem, dass D'Artagnan hier im italienischem, französischem, schottischen und russischen Karnevalskostüm genau gleich klingen. Haben sie die Tetris-Melodie schon das zweite Mal ausgepackt?
[20:19] Ende der zweiten Platte. Sie heben das Glas auf einen "cup of kindness". Ich kann die Geste wertschätzen, aber nach diesem Album sollte wirklich niemand mehr durstig sein.
[21:35] So. Ich habe jetzt irgendein altes Strategie-Spiel auf Steam angemacht (Cossacks 1, auf die Kindheit, um genau zu sein) und die Instrumental-CD durchgehört. Und auch, wenn das nicht die vielseitigste Angelegenheit war, stimmt sie doch ein bisschen milder. Sie macht einen ganz okayen Hintergrund, um in einem zehn Jahre nicht angerührten Spiel wiederholt aufs Maul zu bekommen. Was habe ich nun abschließend über Musketier-Rock gelernt? Ehrlich gesagt: Nicht besonders viel. Kollege Hennig schrieb über den D'Artagnan-Vorgänger "Feuer & Flamme", dass das quasi Onkelz-Dreck sei – und so schlimm kam es dann doch nicht.
D'Artagnan sind harmlos, aber langweilig. Ich habe mich auf eine richtige nerdige Larping-Session gefreut, bekommen habe ich ein paar Stunden Mittelaltermarkt-Ambience für Leute, denen Mallorca und Wacken komplett austauschbar ist. Wenn man das musikalische Gimmick nicht hochgradig geil findet, dürfte dieses Phrasenmeer nicht viele andere Tricks im Ärmel haben, und das macht die Chose am Ende wirklich unterwältigend: Was bringt all die Kostümierung, wenn man das Gefühl bekommt, dass diese Leute nichts an alten Zeiten gefällt – außer deren Alkoholkonsum? Als hätte die Gegenwart nicht genug Anlässe zum Besäufnis! D'Artagnan und ihr Musketier-Ding wirken wie ein zwei Stunden vor der Party vom Wühltisch gekauftes Halloween-Kostüm. Es ist in seiner fleischköpfigen Bierhumpenschwingerei letztlich eindeutig nicht nerdig genug. Wenn man in diesem Genre nicht mit All-Out-Nerd-Vollblut steckt, was macht man dann überhaupt?
10 Kommentare mit 7 Antworten
D'oh!
Das hypothetische Szenario, dass mich jemand beim Hören solchen Schmutzes erwyschen könnte, raubet myr des Nächtens die Schlafesruh
Yannik was war das für ein Trip? Kannst du dich deswegen so gut für komische Musik öffnen weil du das 3. Ohr hast?
Jo. Gescheite Menschen hören sowas nicht. Ich wills lieber nicht überprüfen… Man würde sich vielleicht wundern wer da alles beim „erwischt!“ erschrocken aufblicken würde. Wir haben doch alles was falsch gemacht. Im allgemeinen kämpfen wir uns 8 Stunden durch irgendwelche Jobs um am Monatsende die Rechnungen bezahlen zu können. D‘Artagnan und Konsorten produzieren einfach jede Menge Müll und können am Monatsende deutlich mehr machen als nur Rechnungen zu bezahlen. Andere werden für solches Machwerk gefeuert und die gefeiert. Versteh noch einer die Welt. Prost!
Hasse nicht den Spieler, hasse das Spiel.
In der Retrospektive wünschte ich mir, dass man uns damals in der Oberstufe im Rahmen der Berufsorientierung "Mittelalterschlager" als möglichen Weg aufgezeigt hätte.
"Jungens, ich habe langsam das Gefühl, dass das ganze Mittelalter-Ding eigentlich nur ein Vorwand ist, in einer Zeitspanne zu leben, in der das Konzept Alkoholismus noch keinen Namen trägt?"
Wie schön war's im Mittelalter als man als Volltrunkener nicht so eine gequirlte Kacke vorgespielt bekam. Die konnten sich damals auch ohne solche Spacken von oben bis unten vollreihern.