laut.de-Kritik

Die singende Föhnwelle kennt keine Hemmungen.

Review von

Ja. Ich habe einst bei Guildo Horn-Konzerten auf den deutschen Schlager geschworen.

Ja. Ich find' Schlager toll. Und: Ja, mir ist klar, dass dieses Bekenntnis an Selbstmord grenzt, werde ich danach wohl auf ewig die Besprechung jeglichen in der Redaktion eintrudelnden Schlagermaterials am Hals haben. Ganz offenbar mangelt es den geschätzten Kollegen an der Fähigkeit, an großartigem 70er-Jahre-Müll erhebliches Vergnügen zu haben. Zum Teufel mit der Verbissenheit! Ein bisschen Spaß muss sein, dann ist die Welt voll Sonnenschein!

Sonne im Gemüt fehlt der singenden Föhnwelle jedenfalls nicht. Dieter Thomas Kuhn brilliert nicht durch besondere Stimmgewalt – eher im Gegenteil. Der Kerl kann im Grunde überhaupt nicht singen. Musikalische Revolutionen sind, wenn drei Jahrzehnte alte Klassiker ausgepackt werden, ebenfalls nicht zu erwarten. In diesem speziellen Fall ist das alles zweitrangig: Kuhn hat andere Qualitäten.

Zum einen beherrscht er die Gratwanderung zwischen Kitsch und Klamauk aus dem Handgelenk. Er verbeugt sich augenzwinkernd vor sattsam bekannten Evergreens, ohne in übertriebenen Huldigungen zu versumpfen oder die Vorlagen allzu derbe ins Lächerliche zu ziehen. Bei aller Satire bleibt der Respekt vor dem zum Teil inzwischen altehrwürdigen Material immer spürbar.

Zum anderen - was das Geheimnis seines Erfolgs ausmachen dürfte: Dieter Thomas Kuhn hat wirklich keinerlei Hemmungen, sich lächerlich zu machen. So beschert er seinen Hörern ein sagenhaft bebildertes Booklet, das schonungslos die ganze Bandbreite der Scheußlichkeiten der 70er vorführt. Es bleiben im Grunde nur zwei Möglichkeiten: Entweder man zertrümmert seine Brille und brüllt nach der Modepolizei. Oder man lehnt sich zurück, staunt, genießt und lacht sich eins, was in jedem Fall die entspannendere Alternative ist.

Seid ihr mit mir? Dann los, einmal um die ganze Welt. Vom Hafen von Piräus über den weißen Strand von Havanna ins Café Oriental, unterwegs schnell Mama Leone beigesetzt - natürlich nicht in irgendeinem schwarzen Wagen. Es darf schon ein Daimler sein. Ein Zwischenstopp im Wilden Westen bekräftigt Gittes Erkenntnis: Keiner will den Bahnangestellten von nebenan, befinden sich Cowboys im Angebot. Eine sichere Pension schlägt man für andere Talente doch gerne mal unvernünftig in den Wind, nicht wahr?

Ein Hauch Sirtaki ("Oh Wann Kommst Du"), Latino-Groove ("Guantanamera") und sogar eine Spur Jazz, Swing und Ska (gebündelt in "Azzurro"), an party-, schunkel- und mitklatschtauglichem Material mangelt es nicht. Allerdings geben sich Kuhn & Band über weite Strecken recht gedämpft. Die Auswahl umfasst mit Songs wie "Sie Ist Vierzig", Dalidas Schmachtnummer "Er War Gerade 18 Jahr" oder der Ballade "Josie" doch überraschend viele Lieder, in denen - meist zu sauber gehandhabter Akustikgitarre - nachdenklich resümiert wird. Die Vergänglichkeit und Endlichkeit des Lebens steht wohl auch einem Dieter Thomas Kuhn mit den Jahren zunehmend deutlicher vor Augen.

Ehrlicher Respekt gebührt den Herrschaften an den Instrumenten. Das gewohnte Live-Arrangement wurde zusätzlich mit Streichern aufgemöbelt. Musikalische Offenbarungen bleiben, wie gesagt, aus. Dennoch beherrscht Dieter Thomas Kuhns Band die hohe Kunst, über mehrere Jahrzehnte durchgenudelten Liedern den Staub abzubürsten und sie, ohne ihnen den Charme der Vergangenheit zu nehmen, in eine neue, zuweilen ganz andere Richtung zu lenken.

"Am Tag Als Conny Kramer Starb" bleibt allerdings, da kann sich die Inszenierung noch so beschwingt geben, ein Brechmittel, das besser in den Nebeln der Zeit verschwunden wäre. Wer sich dem streitbaren Genre Schlager aber nicht vollständig verschließt, der wird, bleibt der Bierernst im Schrank, auf dem Trip "Einmal Um Die Ganze Welt" hervorragend unterhalten.

Trackliste

  1. 1. Guantanamera
  2. 2. Café Oriental
  3. 3. Mama Leone
  4. 4. Ich Will 'nen Cowboy Als Mann
  5. 5. Ein Schiff Wird Kommen
  6. 6. Josie
  7. 7. Babicka
  8. 8. Am Tag Als Conny Kramer Starb
  9. 9. Oh, Wann Kommst Du
  10. 10. Azzuro
  11. 11. Goodbye My Love, Goodbye
  12. 12. Er War Gerade 18 Jahr
  13. 13. Zeig Mir Den Platz An Der Sonne
  14. 14. Sie Ist Vierzig

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