laut.de-Kritik
UK Garage zwischen Tanzfläche und Wohnzimmer.
Review von Frieder HaagDie Disclosure-Brüder haben auch im Lockdown ihre Lebenslust nicht verloren. "Energy" heißt ihr neues Album, Energy soll es bringen. Und das gelingt - meistens. Der UK Garage aus Surrey wird wie auf den vergangenen Alben mit House gemischt, Einflüsse kommen außer aus England auch viele vom afrikanischen Kontinent.
"My High" mit Aminé und Slowthai stellt einen frühen Höhepunkt des Albums dar. Der Garage-Beat rumpelt nach vorn, der Bass drückt, die beschworene Energy ist präsent. Wenn sich dann eine dezente Acid-Bassline durch die Drums schlängelt und Atemgeräusche den Rhythmus vorgeben, nimmt der Track vollends gefangen. Dunkle Tanzflächen, Nebelschwaden und bunte Lichter entstehen vor Augen, Erinnerungen an lange Nächte werden wach.
Disclosure wollen mit "Energy" ein Album machen, das sowohl auf diesen Tanzflächen als auch bei der Listening Session im Wohnzimmer funktioniert. Im Vergleich zu "Caracal" schnelle Beats, trotzdem immer eine füllende Vocalperformance. Manchem Track hätte es gut getan, diesen Anspruch in den Wind zu schießen und einfach mal draufzuhauen. "Who Knew" mit Mick Jenkins wird über die Laufzeit immer saturierter, treibender und vielschichtiger, trotzdem bleibt der röhrende Bass bis zum Ende gestutzt und gebändigt. Ein fieser Cliffhanger ohne Auflösung.
Stattdessen nimmt "Fractal (Interlude)" die Geschwindigkeit ganz raus und bedient sich bei Lo-Fi-Hiphop-Elementen. Nach dieser Vollbremsung dreht "Ce n'est pas" aber nochmal auf. Der direkte Housebeat geht ins Ohr, die Nummer könnte das tanzbarste Lied des Albums sein. Könnte, wären da nicht diese Vocals. Es bleibt unverständlich, warum das Duo mit dem Gesang von Blick Bassy diesem Lied so unbarmherzig das Genick bricht. Die repetitiven Wiederholungen tragen noch zum Aufbau bei, der immer wieder einsetzende gehauchte Gesang nervt aber unglaublich, jegliche Stimmung verfliegt sofort.
"ENERGY" hingegen setzt auf einen komplexeren Beat und Einspielungen von Eric Thomas. Der Prediger und Motivationscoach war schon auf "When A Fire Starts To Burn" auf "Settle" gesamplet, "ENERGY" greift dieses Konzept nochmal auf. Was vor sieben Jahren funktioniert hat, schwingt sich auch 2020 durch das Zusammenspiel von warmen Synthesizer-Akkorden und einem sehr motivierenden MC zu einer Energieexplosion auf.
Das zweite Interlude "Thinking 'Bout You" reduziert wieder recht abrupt die Geschwindigkeit und leitet zu den letzten zwei Titeln über. "Birthday" und "Reverie" plätschern gefällig vor sich hin, Ecken und Kanten sucht man aber vergeblich. Hier sei der MJ Cole Remix von "Birthday" empfohlen, der leider nur auf der Deluxe Version zu haben ist. Auch Common reißt auf "Reverie" nichts mehr, der Song verliert sich in seiner Harmlosigkeit.
Von "Energy" bleiben zwei Dinge in Erinnerung: Howard und Guy Lawrence haben ein Händchen für vielfältig texturierte Klanggerüste und reißen manchmal absolut mit. Sie verlieren sich aber teilweise in den vielen Schichten ihrer Sounds und überladen die Songs, die dadurch an Eingängigkeit verlieren. Außerdem kann sich kaum eines der langsameren Stücke wirklich entfalten, "My High", "Watch Your Step" und "ENERGY" sind dafür zu dominant.
1 Kommentar
VÖ 1970? Whut?