laut.de-Kritik
Sie können's noch - und wie.
Review von Linus SchwankeEs ist schon etliche Jahre her, da zappte ich im TV zufällig in die Live-Übertragung eines Fleetwood Mac Konzertes hinein. Seit "Rumours"-Zeiten ein großer Verehrer dieser Rock-Urgesteine, war die Freude unverhofft und groß. Doch dann die Enttäuschung: was für ein unsägliches Gejammer - die Performance wirkte kraftlos, es hagelte nur so Kakophonien, und zu guter Letzt setzte Christine McVie mit schwachbrüstigem und fast schiefem Gesang der Sache die Krone auf. Kurzum, ich schaltete genervt das TV ab, um mir das nicht anzutun.
Entsprechend widerwillig packe ich die vorliegende DVD "Live in Boston" aus, die 2003 am Rande der "Say You Will"-Tour mitgeschnitten wurde. Der Hype Fleetwood Mac war für mich Geschichte - ich hatte damit abgeschlossen. Man kann sich fast denken, was nun kommt: Genau, eine Überraschung, wie sie heftiger kaum sein könnte. Schon nach den ersten Tracks ein Strahlen über alle vier Backen: "Mensch, sie können es ja doch noch! Oder wieder?" Fast ungläubig klicke ich mich von einem Song zum anderen. Erkenntnis: das ist wieder Fleetwood Mac, ja so muss es klingen! Eine der größten musikalischen Enttäuschungen der letzten Jahre ist wie weggeblasen.
Gut, die Herrschaften sind älter geworden - das ist an sich nichts Neues. Aber mit dem Alter kommt bekanntlich Reife, und die tut den genialen, vermutlich teils unter gewissen Drogen komponierten Glanznummern offen'hör'lich gut: denn die instrumentale Perfektion des Vortrags ist wirklich umwerfend. Vor allem der Kopf der Band - man mag fast "Altvater" sagen - Mick Fleetwood zieht einen mit seinen Drums in den Bann. Der Mann ist einfach Gott hinter seiner Schießbude und haut in über zwei Stunden nicht ein einziges Mal daneben.
Lindsey Buckingham zieht die eine oder andere Clown-Nummer ab, was jedoch nicht weiter stört. Denn der Rest der Band steht mehr oder minder statisch auf den Brettern, was bei der guten Stevie Nicks offenbar durch hinzugewonnene Kilos bedingt ist. Die einst so wilde Mähnenfrau gleicht heute eher einer saturierten Präsidentengattin, denn einer ausgeflippten Rockröhre. Wenngleich ihre Stimme noch immer überzeugt - und darum geht es hier ja schließlich.
Bei einer DVD gelten jedoch auch optische Aspekte. Insgesamt stellt das gut besuchte riesenhafte Fleet Center ein tolles Ambiente dar. Da die Band auch mehr Wert auf Atmosphäre als auf abwechslungsreiche Lightshow legt und zudem relativ wenig Bewegung zeigt, bleibt dem DVD-Team nicht viel kreativer Spielraum. Das Ganze wirkt wie abgespult und zeigt zudem noch Schwächen: Hier und da ein Ruckeln mit der Kamera, dort ein wenig Unschärfe. Ton und Bild laufen nicht immer zu hundert Prozent synchron. Außerdem wurde bei der Aufnahme am Volume herumgespielt, und man wundert sich, warum es mitten im Song denn plötzlich lauter oder leiser wird. Von heutigen DVD-Produktionen darf man in dieser Hinsicht mehr erwarten.
Für den echten Fan fehlen auf der DVD möglicherweise noch zwei Komponenten: erstens natürlich Christine McVie, die seit einiger Zeit eine Solokarriere versucht (aktuelle CD: "In The Meantime"), zweitens offeriert die Produktion keinerlei Bonusmaterial wie "Backstage" oder "Making of". Ersteres mag zumindest ich aus oben genannten Gründen verzeihen...
Dennoch sind die drei Silberlinge ihr Geld wert, denn Fleetwood Mac legt ein tolles Konzert hin. Manch innovativ denkender Mensch wartet zwar vergeblich auf Veränderungen oder gar ganz neue Tracks. Die Massen im Stadion hingegen nicht: sie wollen "ihre" altbekannten Fleetwood-Songs hören. Denn es geht ja schließlich um die Botschaft, die 'Mr Mick Energy' am Ende der Show mit monsterhafter Stimme in den Saal brüllt: "DON'T FORGET - THE MAAAC IS BAAACK!"
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