laut.de-Kritik
Mehr Hippie in der Moderne geht nicht.
Review von Deborah KatonaNachdem der Hype um MGMT und Empire Of The Sun gerade abgeklungen ist, erheben zwei Jungs namens Girls elektropoppige Nummern erneut zum Gesprächsthema. Mit leichten Melodien, immer etwas Lo-Fi und dem Lebensgefühl der Gesellschaft aus San Francisco im Blut ... be sure to wear some flowers in your hair.
Christopher Owens und JR White heißen die beiden Musiker hinter dem Projekt mit dem weiblichen Namen. Ihre Kindheit prägte die Hippiesekte Children Of God, die Jugend Alkohol und Drogen.
Dies schlägt sich auf die Musik nieder. Bedeutet fürs Album "Album": etwas Gitarre, etwas Schlagzeug, gelegentlich die Empire Of The Sun Elektro-Anleihen ("Headache"). Doch dabei rutschen sie keinesfalls in billige Nachahmerei ab.
Denn anders als ihre Sonnenstaat-Vorgänger warten Girls mit weit mehr Facetten auf, als nur mit dem umstrittenen 80s-Synthiepop.
Stücke im Singer/Songwriter-Charakter finden sich neben 60s-Rocknummern. The Tyde-Einflüsse werden gemixt mit The Fratellis-Klangmustern.
Dabei schrecken die Girls nicht vor langen, leisen Gitarrensoli zurück ("Darling") und verzichten ab und an ganz mutig auch mal komplett auf Gesang wie bei "Curls". In dem Akustikstück passiert nicht viel, dennoch bleibt man gespannt vor den Boxen sitzen.
Das liegt vor allem an der Komposition der Stücke, die genau in der richtigen Reihenfolge platziert wurden. So folgt ruhigen Tönen hinreißende Klampfenmukke, darunter das gleichzeitig elektronisch wie rockig anmutende Stück mit dem aggressiven Titel "Big Bad Mean Motherfucker".
Ebenso kommt "Morning Light" daher - auch im Mid-Tempo, aber noch eingängiger und vom Stil annähernd vergleichbar mit Phoenix.
Die Reihe der gelungenen Indie-Tracks reißt nicht ab. Besonders stechen dabei "God Damned" und, noch stärker, "Laura" hervor. Zweiterer erinnert an die Fratellis, besonders wegen des leichten Rhythmus' und der simplen Gitarrenriffs.
Die Texte wirken dabei ungewöhnlich schwer. Dennoch vermitteln sie trotz Düsterheit gute Laune. So singen die Girls von Mädchenthemen wie Turteleien, Liebeskummer und anderen Herzschmerzen.
Frech einerseits bei "Lauren Marie": "I might never get my arms around you but that doesn't mean that I won't try". Dann einfach, ehrlich und dabei äußerst belustigend eben beim nächsten Mädchen namens "Laura": "You've been a bitch, I've been an ass."
Nicht im Studio produziert, vermittelt die Platte eine sensationell heimelige Atmosphäre. Zum perfekten Durchstart à la MGMT fehlen da eigentlich nur noch ein paar Glamour-Glitzer-Funkel-Kostümchen. Damit können die Girls der Hippie-Kindheit wegen nicht aufwarten. Auch ihre Musikvideos scheinen mehr auf 68er und somit älter gemacht als sie selbst.
An komischen Storys um sie mangelt es dennoch nicht. So wohnen die Musiker in einer gemeinsamen Wohnung, teilen sich sogar ein Schlafzimmer - die Wand zwischen den Räumen haben sie gemeinschaftlich eingerissen. Mehr Hippie in der Moderne geht nicht. If you're going to San Francisco be sure to wear some flowers in your hair.
30 Kommentare
Zitat (« Ebenso kommt "Morning Light" daher - auch im Mid-Tempo, aber noch eingängiger und vom Stil annähernd vergleichbar mit Phoenix. »):
nie und nimmer klingt morning light (http://www.youtube.com/watch?v=a9vzgSloTtk) nach phoenix. man darf hier von shoegaze, oder wie es neuerdings heißt, "shitgaze" sprechen.
für meine begriffe übrigens einer der songs des jahres...
sonst noch schön
"lust for life (http://www.youtube.com/watch?v=SuoTjYYqe4c…)" (der text ist so schräg. zwei typen, die pubertäre mädels nachäffen: oh, i wish i had a boyfriend...
"hellhole ratrace (http://www.youtube.com/watch?v=lcqwfFKagH4)"
"Laura (http://www.youtube.com/watch?v=juH7-8MKews)"
letzterer klingt gar leicht nach belle & sebastian.
nettes album. geht einem nach geraumer zeit etwas auf den sack. 5 punkte sind daher vielleicht etwas übertrieben...
Ach, ich finds auch fantastisch. Besonders Hellhole Ratrace hat es mir angetan.
@Screwball («
nie und nimmer klingt morning light (http://www.youtube.com/watch?v=a9vzgSloTtk) nach phoenix. »):
Doch! Tausend pro! Auch die anderen Referenzen wie MGMT oder Fratellis sind absolut treffend. Echt jetzt!
Wer völlig blind nach der Review kaufen würde (ok, macht heutzutage eh keiner mehr), wird wahrscheinlich aufs übelste enttäuscht.
@Daniel (« Shitgaze ist etwas Anderes als Shoegaze, Screwball. Oder möchtest du mir allen Ernstes erzählen, dass Wavves wie My Bloody Valentine klingen? »):
dachte wavves wären irgendwas lo-fi/noise-rock mäßiges. wie definiert sich denn Shitgaze?? Soll dass das Gegenteil von Shoegaze sein?
okay, englisches wikipedia hilft tatsächlich. Shitgaze ist dementsprechend genau das, was ich mit lo-fi/noise gemeint hab
Ihr Schlaftabletten habt ihr Album 2011 wohl vergessen, was in die Top 10 Liste diverser Musiklisten vertreten war ...