laut.de-Kritik

Der Legendenstatus fordert seine Opfer.

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Nüchtern gesprochen: Seit der vermeintlichen Reunion 2012 sind Godspeed You! Black Emperor nicht mehr dieselben. Wo früher Sprachsamples und Field Recordings vorherrschten, dominieren mittlerweile stringente Instrumentalebenen, überlange Crescendos – und jede Menge Drones. Ähnlich ergeht es nun auch "Luciferian Towers". Machte die inhaltsleere Atmohascherei zuletzt jedoch noch zwei von vier Tracks aus, so ist Album Nummer sechs gleich in acht Teile gespalten.

Deutlich wird: Die eröffnende Soundwand mag in den zwanzig Jahren seit dem debütierenden "F♯ A♯ ∞" zwar um ein Vielfaches angewachsen sein, der frühen Intensität bleibt sie dabei aber nicht immer treu. "Undoing A Luciferian Towers" erhebt sich zunächst als formloses Monstrum. Drei Gitarren, zwei Bässe, zwei Schlagzeuge, eine geloopte Violine. Erstmals seit Jahren lassen sich sogar wieder wirklich präsente Bläser im Gemenge ausmachen, was zwar dem Handmade-Touch zugute kommt, inmitten des Geschwulstes aber keinerlei wirkliche Wirkung entfalten kann. Erst in den letzten Momenten setzen Geigen und Gitarren zu jenem choralen Singsang an, mit dem Godspeed You! Black Emperor ihre Opener schon in der jüngeren Vergangenheit zu befeuern wussten.

Überhaupt spiegelt "Undoing A Luciferian Towers" die mittlerweile etablierte GY!BE-Arbeitsweise wieder, Stücke nach und nach im Live-Kontext auszuarbeiten. Seit die Kanadier 2015 ihr vierzigminütiges Meisterstück "Behemoth" vollenden konnten, fanden sich stetig neue Kompositionen wie "Buildings" und "Railroads" im Set wieder, die nun als Doppel-Trilogie unter den Titeln "Bosses Hang" und "Anthem For No State" vorliegen.

Deren Freytag'sche Aufteilung in Exposition, Höhepunkt und Auflösung ähnelt dem glänzenden Vorgänger "Asunder, Sweet And Other Distress" dann aber doch in erschreckender Manier. So übernimmt insbesondere das vergleichsweise bravouröse "Bosses Hang" im zweiten Teil das geigengetragene Looper-Inferno eines "Piss Crowns Are Trebled", mischt später die beinahe krautrockig-dudelige Tanzbarkeit eines "Mladic" bei, um letzten Endes aber die längst gewohnte (gigantische) Entladung des unmittelbaren Vorgängers aufzunehmen. Dank (oder trotz) knackigen Sounds und intensiven Streicherlayern bleibt das Urteil: Hörvergnügen yes, Atmosphäre eher weniger.

Bettete das Kommunen-Kollektiv seine ergreifenden Zuspitzungen gerade zu "Skinny Fists"-Zeiten noch zwischen besagten Field Recordings und fragilen, formlosen Instrumentalparts ein, so gleicht "Luciferian Towers" gelegentlich einem einzigen großen Crescendo – eine Sportart, in der sich die einstigen Post-Rock-Heroen eigentlich überhaupt nicht mehr messen lassen sollten. So zeigt auch die "Anthem For No State" Godspeeds ungebrochenes Gespür für den filigraneren Einsatz von Streich- und Zupfinstrumenten. Die Problematik: Über solches verfügen Vorreiter der jüngeren Genre-Welle inzwischen auch.

Egal, wie wenig GY!BE ihr Handwerk verlernt haben mögen, egal, wie sehr man sich über die schlussendliche Wiederkehr des unterschwelligen Dudelsacks freut, egal, wie schön die Gitarren im erneut episch kaskadierenden Finale dann auch knarzen mögen: Gruppen wie Caspian wussten hier zuletzt wesentlich mehr aus einer derartigen Ausgangssituation heraus zutage zu fördern. Weniger Layer, mehr Emotionen.

Trackliste

  1. 1. Undoing A Luciferian Towers
  2. 2. Bosses Hang, Pt. I
  3. 3. Bosses Hang, Pt. II
  4. 4. Bosses Hang, Pt. III
  5. 5. Fam/Famine
  6. 6. Anthem For No State, Pt. I
  7. 7. Anthem For No State, Pt. II
  8. 8. Anthem For No State, Pt. III

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