laut.de-Kritik

Die schönste Dampfwalze der Welt.

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In Zeiten, in denen Fortnite-Youtuber Hans Zimmer-Drones in ihren Video-Intros benutzen und einem jeder Marvel-Trailer verkaufen möchte, dass wieder einmal das Schicksal der Menschheit auf dem Spiel steht, nur damit am Ende wieder alle Händchen-haltend im Kreis hüpfen, hat das Wort 'episch' ein wenig an Bedeutung verloren. Dennoch gibt es kaum einen Begriff, mit dem sich das Opus Magnum der französischen Metal-Band Gojira besser beschreiben lässt.

"From Mars to Sirius" erfüllt nicht nur die literarische Definition des Begriffes. Die Geschichte, die die Band um die Gebrüder Duplantier hier auftischt, könnte kaum einen weitreichenderen Rahmen abstecken. Auch dem, was das Album musikalisch serviert, wohnt eine solche Gravitas inne, dass man das Gefühl hat, hier gehe es wirklich um die Zukunft einer Zivilisation, um einen Konflikt, der tatsächlich Galaxien überspannt.

Nicht in dem cineastischen, manipulativen Sinne, sondern viel näher angesiedelt am kosmischen Horror eines H.P. Lovecraft. Als würde man hier auf eine unerklärliche Naturgewalt stoßen, deren Ausmaße den eigenen Verstand an seine Grenzen bringt, vor der man fast wie von selbst in Ehrfurcht auf die Knie fällt. Als würde man dem japanischen Namensvetter der Band direkt ins Auge starren.

Der Sound dieses Albums kann Berge nicht nur versetzen, er macht sie geradewegs dem Erdboden gleich. Acht Sekunden darf der Protagonist des Albums zu Beginn träumen, sich dem Walgesang göttlicher Wesen hingeben, ehe etwas in ihm erweckt und sämtliche mentalen Barrikaden einreißt. "Ocean Planet", der Startpunkt von Gojiras Odysee, bricht die Messlatte schon mit seinem ersten Riff übers Knie und wirft sie aus dem Fenster. Das, was der Band hier gelang, ist einer dieser raren Momente, in denen alle Sterne in einem musikalischen Kosmos perfekt in einer Reihe stehen und alle Zahnräder ineinandergreifen.

Die Symbiose dieser LP aus alles zermürbender Heaviness und unwiderstehlichem Groove bleibt bis heute nahezu unerreicht. Nicht nur innerhalb ihrer Diskografie, sondern innerhalb eines ganzen Genres. "From Mars To Sirius" klingt, als hätte man Mastodons "Leviathan" tonnenschwere Gewichte an die Handgelenke gekettet, und solange Panteras "Walk" in seine Venen injiziert, bis es eine 90 Grad steile Wand im Vollsprint hochjagt. Gojira holen den Death Metal ihrer Anfangszeit aus dem Keller und entwickeln ihn zu etwas Transzendalem. Zu Duplantiers Blastbeats werden keine Leichen mehr gefleddert, sondern Götter geboren.

Wie andere Bands im Prog-Metal, neigen auch Gojira dazu, ihre Instrumentals gerne etwas mäandern zu lassen. Doch wie auch der Protagonist der Geschichte finden sie stets ihr Ziel, verlieren sich nicht in Repetition oder Nichtigkeiten. Auch ohne aufgeblasenes Crescendo legen sie eine Entwicklung hin, die einem in den finalen Minuten wieder und wieder die Schuhe auszieht.

"Ocean Planet" etwa unterbricht sein öffnendes Riff kurz für ein Staccato-Feuerwerk, das einen unnachgiebig mit Nadelstichen bombardiert, ehe der erste Blastbeat nochmals einen Gang hochschaltet und alles dem Erdboden gleichmacht. Die finalen Minuten des Songs kommen einem einzigen hypnotischen Mahlstrom gleich, der einen in einen musikalischen Schraubstock spannt, unentwegt zuzieht und ultimativ in die Weiten des Alls hineinspuckt.

Das darauf folgende "Backbone" lässt keine einzige Sekunde zu Luftholen, sondern peitscht einen weiter voran, dem Ruf des "Ocean Planet" zu folgen. "Indestructible" schreit Duplantier, und gemessen an dem Härtegrad, dem er sich hier ausgesetzt sieht, muss er das auch sein. Der Gitarrenton, der hier mit dem ersten Riff über einen hereinbricht wie ein Tsunami, sollte wissenschaftlich untersucht werden, denn jede dieser Noten fühlt sich an, als wiege sie mehr als ein Kleinlaster. Der Breakdown, den Gojira im letzten Drittel auf einen niederprasseln lassen, kommt einer Katastrophe Emmerichscher Ausmaße gleich.

Auch wenn Dutzende Bands da draußen die Mechanismen des Genres deutlich näher an ihren Brechpunkt getrieben haben als der französische Vierer, kommen die meisten davon nicht mal in die Nähe der Umlaufbahn des Gravitationsfeldes, das diesem Album innewohnt. Gojira ruhen sich nicht darauf auf, ihre Gitarren auf D zu stimmen (wie das Teil in A klingen würde, mag man sich kaum vorstellen), den Verstärker aufzudrehen und einem Nonstop Blastbeats aufs Trommelfell zu prügeln.

Songs wie "Where Dragons Dwell" und das passend betitelte "The Heaviest Matter Of The Universe" halten mit ihrer Härte keineswegs hinterm Berg, aber sie fühlt sich zu keiner Sekunde artifiziell an, weil sie essentieller Teil des Worldbuildings ist, dem Gojira alles unterordnen. Ihr Songwriting verdient sich diese Härte und vervielfacht ihren Impact, weil es sie auch immer wieder für einen Moment abebben lässt und emotional bis zur Oberkante mit verschiedenstem Ballast vollpackt. Hart heißt im Falle dieses Albums nicht gleich hart. Hart heißt ebenso wunderschön, euphorisch, wütend, traurig und surreal.

Nirgends anders kommt das eindrucksvoller zu einem großen Ganzen zusammen, als auf "Flying Whales", dem Centerpiece des Albums. Gojira malen hier Stück für Stück ein musikalisches Sternbild an den Himmel. Sie lassen uns zu den hypnotischen Stimmen der Wale treiben, die wie Götter über diese Welt regieren. Die Suche nach den fliegenden Riesen begleitet ein Riff, das so monumental klingt, als hätte man ihre Gitarren in Stein gegossen. Jedes Mitglied der Band trägt einen essentiellen Teil dazu bei, dass die Bilder immer konkrete Formen annehmen und man die Säuger beinahe sehen kann.

Der Klimax erfolgt ruckartig, wenn die Franzosen die Tür unseres Verstands aus den Angeln reißen und uns kopfüber mit der Macht dieser himmlischen Wesen konfrontieren: "Now I can see the whales / I can't believe my eyes", schreit Duplantier mit einer Stimme, die klingt, als sei er danach nicht mehr dieselbe. Dem finalen Drop wohnt genug Kraft inne, um den Erdkern zu spalten, einzig die von Gojira beschworene Schwerelosigkeit bewahrt uns davor.

Duplantier verriet in einem Interview, dass die Kernthese von "From Mars To Sirius" bereits im Titel steckt. Eine Reis vom "Mars", dem Krieg, zu "Sirius", dem Frieden. "Krieg" bedeutet in dem Fall allerdings keineswegs eine militärische Auseinandersetzung, sondern ebenso eine mentale, wie auch die des Menschen mit der Natur. Vor allem die ökologische Message des Albums schlägt besonders in der zweiten Hälfte immer greifbarer Wurzeln.

"In The Wilderness" wirkt wie das tragische Nachspiel zu "Flying Whales", eine Gegenthese zur Macht der Götter, da selbst sie angesichts menschlicher Gräueltaten machtlos wirken. Eine Zwischenlandung auf unserem Heimatplaneten offenbart dem Protagonisten einen rasend schnellen Zerfall. Das grüne Herz fault, die Wurzeln greifen ins Nichts, schwarzer Smog verdunkelt den Himmel, verfärbt selbst das Klangbild. Das Majestätische, das Erhabene wirkt wie weggeblasen, stattdessen dominiert erstmals auf dem Album eine giftige, bitterböse Verachtung, eine Wut, ein Hass. "Living respectful, lower your axe / And learn from the trees" schreit Duplantier anklagend, während seine Band die apokalyptischen Reiter von der Leine lässt. Seine finalen Worte klingen wie die Predigt eines Sektieres: "Men destroyed, scorned and killed their lives / But the world is on her way." Der anschließende Sturm verschlingt alles und jeden, ehe er nach einigen Minuten des Chaos eine Melodie gebärt, die Hoffnung verheißt.

Aus diesem Funken entfacht der Protagonist der Geschichte auf "World To Come" ein loderndes Feuer, das eine bessere Zukunft verspricht: "Landscapes so bright all around. / It's a city of light / Where, who, when and why? / I think therefore I am / I feel like I know this land / But it must be so far away." Auch musikalisch läuten Gojira die Ruhe nach dem Sturm ein, wehen den letzten Nebel vom Schlachtfeld und gießen behutsam die wenig verbliebenen Blüten. Stellenweise klingt das nahezu wie ein Alice in Chains-Song. Duplantier singt beinahe durchgehend mit klarer Stimme, gleichermaßen kraftlos wie hoffnungsvoll, umgarnt von der spärlichen Instrumentierung der gesamten LP. Ein seltener Moment des Zen.

Gojira wissen jedoch, dass diese versöhnliche Vorstellung auf der Erde eine schwer vorstellbare Realität darstellt, weshalb sie im finalen Stretch ihres dritten Longplayers, zum eigentlichen Sinn ihrer Odyssee zurückkehren und ihren Protagonisten endgültig "From Mars" "To Sirius" überführen. Der Abschied erfolgt in Form einer meditativen Interlude, ehe sich das Ziel der Reise von Gitarren-Salven begleitet am Firmament offenbart. "The age of war is over" proklamiert Duplantier, und damit einher geht die vielleicht schönste Dampfwalze der Welt, die einen einmal mehr unter tonnenschweren Riffs zermalmt. Die Heaviness von "To Sirius" tönt triumphal und geradezu endgültig.

Folgerichtig könnte hier die Geschichte dieses Albums eigentlich enden. Doch sie hat einen Epilog verdient. "Global Warming" hält mit seinem Inhalt keine Sekunde hinterm Berg. Unter dem Deckmantel einer Rückkehr vom utopischen Sirius zu unserer grünen Heimat richten die vier Franzosen einen Appell an uns alle. Bereits 2005 prophezeiten sie: "A world is down and no one can rebuild it / Disabled lands are evolving / My eyes are shut, a vision is dying / My head explodes and I fall in disgrace". Das schönste Riff des gesamten Albums bietet den Nährboden für Duplantiers gefühlvollste Vocal-Perfomance. Im Zeitraffer malt er uns schmelzende Gletscher, rauchende Schlote, welkende Blätter und vertrocknete Flussbetten auf die Retina, ehe ihn sein Bruder mit dem Sound seiner Kickdrum aus der fast apathischen Trance befreit und seine Wut und Verzweiflung wachküsst.

Die Verweise in Gojiras Musik auf ihren Kaiju-Namensvetter finden sich über ihre gesamte Diskographie verstreut. Doch "From Mars To Sirius" veranschaulicht die volle emotionale Bandbreite der Lore dieser Riesenechse so wunderbar wie kein anderes ihrer Projekte. Das Album wirkt wie der inoffizielle Soundtrack eines Godzilla-Films. Nicht einer, in der er sich zusammen mit King Kong in der Hohlerde kloppt, sondern einer, der den existenziellen Horror dieser Geschichte spürbar macht, der ebenso schockiert wie er unterhält. Das Album speit ebenso den atomaren Atem, wie es eine schützende Hand um die Verbliebenen legt. Das gebiert Momente der Trauer, der Wut, der Ehrfurcht, des Spektakels und der totalen Zerstörung. Wie auch in der japanischen Vorlage, steckt hinter diesem Epos ein Kampf, an dessen Front sich der Mensch nur mit seiner eigenen Nachsichtigkeit konfrontiert sieht.

Der Closer fühlt sich wie die Nachwehen davon an, wie der Tag, nachdem die Echse zu Fall gebracht und das Unvermeidbare aufgeschoben wurde. Wie ein klarer Blick auf das Ausmaß der Verwüstung. Wenn das öffnende Riff von "Global Warming" wiederkehrt, wohnt ihm ein vorsichtiger Optimismus inne, als würde ein Sonnenstrahl inmitten der Trümmer eine welkende Blume finden. "We will see our children growing" lautet das schließende Mantra. Ob wir es aus dem Mund der Menschheit hören, oder derer, die längst zu einem anderen Planeten weiterzogen, lassen Gojira offen. Es ist besser, wenn wir es nicht erfahren.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Ocean Planet
  2. 2. Backbone
  3. 3. From The Sky
  4. 4. Unicorn
  5. 5. Where Dragons Dwell
  6. 6. The Heaviest Matter Of The Universe
  7. 7. Flying Whales
  8. 8. In The Wilderness
  9. 9. World To Come
  10. 10. From Mars
  11. 11. To Sirius
  12. 12. Global Warming

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