laut.de-Kritik
Von Natursektpartys und tollpatschigen Verehrern.
Review von Alexander CordasNa endlich! Wurde auch langsam Zeit, dass sich Herr Bregovic mit einer neuen Platte unter seinem Namen zurück meldet. Seit "Tales And Songs From Weddings And Funerals" sind doch wieder einige Kubikmeter Wasser die Save herunter geflossen. Da er seine Oper gleichen Namens bereits unzählige Male aufgeführt hat, war es nur konsequent, einige ausgewählte Stücke auf "Karmen (With A Happy End)" zu verewigen.
Um nicht lange um den heißen Brei herum zu reden: Skippen sie bitte sofort, und das heißt SOFORT! zum elften Lied. Dort wartet ein unfassbar schönes Klangdokument. Bregovic zaubert mit Carmen Consoli eine Sängerin aus dem Hut, die ein absolut fantastisches Organ besitzt. Liest man sich die englische Übersetzung von "Focu Di Raggia" einmal durch, offenbart sich eine fast schon magisch zu nennende Parallelität von Inhalt, musikalischer Untermalung und Gesang. Es ist genau diese Art der Interpretation, die einem Hörer das Gefühl geben kann, dass es niemand hätte besser machen können.
Das Timbre der Dame aus dem italienischen Catania, die nebenbei bemerkt wie die junge Isabella Rosslini aussieht, dürfte nicht unbedingt jedermanns Geschmack sein. Jedoch gelingt ihr die klangliche Personifizierung der verletzten Geliebten einfach umwerfend - fast schon genial. Im sanft schiebenden Latino-Groove entfaltet Consoli nach und nach eine Stimmgewalt, die den Hörer fast unmerklich in Bann zieht.
Bregovics Kompositionen schwingen jedoch nicht nur mit zurückhaltenden Tönen das Szepter. Nach einigen Schunkeltönen der "Uvertira" - mitsamt schrägen Bizet-Zitate - gewinnt der Gypsy-Express an Fahrt und auch "Gas Gas" gibt ordentlich selbiges. Erst das wörtlich zu nehmende "Stop" bremst den kräftig vor sich hin zuckelnden Party-Express ab.
Die dazugehörige Story hat jedoch nur bedingt etwas mit Bizets "Carmen" zu tun. Vielmehr leitet Bregovic seinen grotesk anmutenden Plot von enttäuschten Erwartungen osteuropäischer Frauen ab, die mit falschen Versprechungen in den Westen gelockt werden, um als Prostituierte in schummrigen Puffs zu enden.
Die im Booklet etwas näher beschriebene Story offenbart sich als wirres Hin und Her zwischen geliebten hübschen Frauen, tollpatschigen Verehrern und heimlich begafften Natursektpartys. Das Happy End schenkt Bregovic seiner Karmen gerne. Bizets verführerische Schönheit ist nach seinen Worten der einzig wirkliche Opernstar und muss eines tragischen Todes sterben. Deshalb war es an der Zeit für eine kleine Revision der Geschichte, nicht wahr?
Die immer wieder bei Live-Auftritten zu hörende Aufforderung 'hajde hajde' prägt Bregovics "Karmen" im besonderen Maße. Betont flotte Nummern sind eindeutig in der Übermacht. Im abschließenden "Lamour" werden nochmals - in Anlehnung an die Ouverture - Carmen-Melodien zitiert, ehe die Geschichte mit einem Happy End und einem Stakkato-Tusch ausklingt. Selbiger gebührt dem Komponisten.
3 Kommentare
Hallo Alexander,
seit wann schwingen Kompositionen Szepter [sic!]?
"[...] die den Hörer fast unmerklich in Bann zieht." - Ist es wichtig zu merken, dass man in Bann gezogen wird oder reicht einfach nur, in Bann gezogen zu werden?
Zum Schluss: warum "Gypsy-Express"? - Hat Bregovic vielleicht zu viele Kusturica-Filme vertont?
Schwarzer Kater
wow, wie man in so wenigen sätzen so viel an sympathie verlieren kann, da lässt sich doch wirklich nur noch staunen...
alex, schöne sache. du bist noch variabler einsetzbar, als ich das bis anhin eh schon vermutet hab.
und ach ja: mein GB fühlt sich so einsam
Apropos: Kusturica+Bregovic's "Time of the Gypsies" läuft gerade an der Pariser Opéra Bastille in einer "Punk-Opern"-Fassung. Mit echten Gänsen auf der Bühne.