laut.de-Kritik

Der Love Metal-Viermaster muss in die Werft.

Review von

"Wir hatten zeitweise richtig Angst. Um unseren Drummer Mikka und um die Band. Es stand wirklich viel auf dem Spiel", berichtete uns HIM-Chef Ville Valo erst vor einigen Wochen im Interview. Lange Zeit war nicht klar, ob und wie es mit dem bulligen Schlagzeuger weitergehen würde. Schuld daran war eine eigentlich seltene, aber bei Drummern häufiger auftretende Nervenkrankheit in den Armen, die den Glatzkopf praktisch über Nacht außer Gefecht setzte. Mehr als acht Monate brauchte der Trommler um wieder vollständig zu genesen. Eine Phase kurz vor der Pre-Production des neuen Albums, in der die anderen Bandmitglieder voller Sorge um die Zukunft der Band diverse Nervenzusammenbrüche erlitten.

Glücklicherweise schlug Mikkas Reha-Behandlung irgendwann an, sodass sich das Kollektiv nach endlosen Monaten des Zitterns, endlich wieder mit dem Band-Alltag auseinandersetzen konnte. Doch von überschäumender Freude ob der gesicherten Band-Zukunft ist auf dem neuen Album der Finnen nur wenig zu hören.

Vielmehr merkt man auf nahezu jedem der insgesamt dreizehn neuen Songs, dass dem Quartett die lange Zeit der Ungewissheit ziemlich in den Knochen steckt. Abgesehen von vier kurzweiligen Instrumental-Einschüben ("Unleash The Red", "Trapped In Autumn", "Lucifer's Chorale" und "Kiss The Void") und dem düsteren Doom-Stampfer "W.L.S.T.D.", gehen die Skandinavier komplett auf Nummer sicher. Sprich: keinerlei Experimente. Im Mittelpunkt steht das Festhalten an Bewährtem.

So geben sich auf den restlichen acht Songs liebliche Synthie-Sphären, akustische Strophen-Einlagen, abgedämpfte Powerchords und epische Tissue-Refrains nur so die Klinke in die Hand. Doch selbst die Lasst-uns-nach-all-dem-Stress-erstmal-wieder-ankommen-Maxime scheint die Verantwortlichen zu überfordern. Und so offenbaren sich nur selten ähnlich langlebige Momente, wie zu Zeiten von "Greatest Lovesongs Vol. 666" oder "Razorblade Romance".

Zwar hantieren die Mannen um Ville Valo mit denselben Zutaten ("Love Without Tears", "Tears On Tape", "Hearts At War"), doch irgendwie scheint sich keine der zittrigen Hände um das richtige Umrühren gekümmert zu haben. Selbst der Maestro entzieht sich der Verantwortung. Stattdessen klebt er nahezu durchgehend mit ungewohnt brüchigem Timbre am Mikrofon und wirkt dabei wie ein verunsicherter Schatten seiner selbst.

Vielleicht hätte sich die Band nach dem Mikka-Schock noch etwas Zeit lassen sollen, um die Narben richtig verheilen zu lassen. Aber Zeit ist Geld, und in einem Business, das jeden Tag ein bisschen mehr aufs Gaspedal drückt, werden Ruhig-Blut-Flaggschiffe schon mal ganz gerne von den Weltmeeren entfernt und in kleinere Gewässer umgeleitet. Insofern: Der Hafenplatz wurde zwar gesichert, doch um einen Werftbesuch zwecks Sturmschäden-Reparatur wird der Love Metal-Viermaster in Zukunft nicht herum kommen.

Trackliste

  1. 1. Unleash The Red
  2. 2. All Lips Go Blue
  3. 3. Love Without Tears
  4. 4. I Will Be The End Of You
  5. 5. Tears On Tape
  6. 6. Into The Night
  7. 7. Hearts At War
  8. 8. Trapped In Autumn
  9. 9. No Love
  10. 10. Drawn & Quartered
  11. 11. Lucifer's Chorale
  12. 12. W.L.S.T.D.
  13. 13. Kiss The Void

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT HIM

Was 1996 mit ein paar kleinen Hanselen im kalten Finnland begann, entwickelt sich rasch zu einer waschechten Hysterie. In jenem Jahr hebt Ville Hermanni …

15 Kommentare