laut.de-Kritik
Dorfjugend-Realness in Reinkultur.
Review von Dani FrommHaken wir rasch die Kritikpunkte ab, dann haben wir das gleich hinter uns: Nein, umwälzende musikalische oder inhaltliche Entwicklungen hat die Hinterlandgang seit ihrem letzten Album nicht vorzuweisen. Ja, über die komplette Spielzeit hinweg wirkt der immer gleiche Vibe schon ein wenig eintönig. Andererseits fängt das Duo das Lebensgefühl, um das seine "Rosa Mitsubishis" kreisen, dieses "Kleinstadtfieber", auf diese Art auch nur allzu gut ein. Mit mangelnder Abwechslung, ausbleibenden Höhepunkten, mit der Monotonie des stetig Wiederkehrenden kennen sie sich in der Einöde fernab aller Metropolregionen ja bestens aus. Wir bezeugen also erneut Realness in Reinkultur.
Obwohl sie eine sehr spezielle Klientel anspricht, handelt es sich bei dieser Hinterlandgang keineswegs um einen exklusiven Zirkel. "Komm Zu HLG", heißen Albert und Pablo willkommen, mit amtlich mitgrölbarer und entsprechend livetauglicher Hook, Arme weit geöffnet und bereit, jede*n in ihren Kreis aufzunehmen, der rafft, was sie tun. Was sie, ganz buchstäblich, TUN: Wer selbst in kulturellem Brachland aufgewachsen ist, weiß schmerzhaft genau, dass man sich die Party, den Rave, das Konzert, das Festival, jedes verdammte Event, eben selbst hinstellen muss, wenn man eins haben will. Frustrierend, ja. Allerdings setzt aus der Not geborenes DIY oft genug auch kreative Energien frei und fördert Potenziale zutage, von denen manche*r gar nicht ahnte, das sie im Inneren schlummern.
So auch im Fall Hinterlandgang: "Tausende von Rappern, aber keiner ist wie wir", schreiben sich diese beiden Jungs mit Fug und Recht auf die Brust, und sie behalten Recht damit, obwohl sie weder Rap-technisch noch gesanglich noch, was ihre Produktionen betrifft, ein Rad neu erfinden. Statt großkotzig über irgendwelche Star-Fantasien zu schwallen, legen sie den Ist-Zustand in der ostdeutschen Provinz auf den Seziertisch.
Ja, es geht auch hier um Autos, weil ohne Auto wirklich gar nix geht, auf dem Land. Um von A nach B zu kommen, genügt - zwangsläufig, man hatte und hat ja nichts anderes - aber auch der japanische Kleinwagen von zweifelhafter Farbgebung. Wenn man den erst unter Einfluss von Alkohol und Drogen schwungvoll genug an die Leitplanke gesetzt oder um den nächstbesten Alleebaum gewickelt hat, macht es eh keinen großen Unterschied mehr. "Disco-Unfälle", nannten Mütter, Großmütter, Lehrer*innen und Polizist*innen in meiner Jugend, was der Titeltrack schmerzhaft präzise beschreibt.
Natürlich sind Klamotten auch im Hinterland ein Thema. Von Versace, Versace könnten die kaputten Turnschuhe, die brandlöchrigen Hoodies und ausgewaschenen T-Shirts, von denen die Rede ist, allerdings kaum weiter entfernt bleiben. Statt bloßes Marken- und Designer-Namedropping zu betreiben, pflegen Albert und Pablo aber die hohe Kunst des genauen Hinschauens: Anders als bei zu vielen anderen weiß man hier einfach, dass diese hier wirklich gesehen haben, wovon sie da reden.
Im Grunde liefert die Hinterlandgang mit "Rosa Mitsubishis" den Soundtrack zu Hendrik Bolz' "Nullerjahre". Dass der reichlich verspätet kommt, macht nichts: Es ändert sich ja einfach wirklich wenig, im dörflichen Nirgendwo. Wahrscheinlich liefert genau das den Hauptgrund dafür, warum mich dieses Album (genau wie das letzte, wie Grims frühe Sachen oder eben wie Testos Buch) gar so tief trifft, bis ins Mark. Die bleierne Tristesse, die Perspektivlosigkeit, die Einsamkeit, die von Jahr zu Jahr schlimmer wird, weil Freund*innen wegziehen, wegsterben oder sich, um sich alldem zu entziehen, so wirkungsvoll abschießen, dass sie gar nicht mehr zu erreichen sind: Ich kenn' das alles, auch wenn ich damit gut dreißig Jahre früher dran war und mein Hinterland nicht kurz vor der polnischen Grenze lag, sondern ein Stück weiter südwestlich, in Sichtweite eines Landes, das nur noch in mancher Leute Köpfen existiert.
Die Stimmung dort, es war haargenau die, die auf "Rosa Mitsubishis" herrscht. Man will nur weg, und eigentlich doch wieder nicht, weil: Wo ist Zuhause, Mama, wenn nicht da, wo man Leute kennt? Dieses Melancholische, leise Klaustrophobische, dabei aber doch irgendwie Heimelige, weil Vertraute: Besser als auf diesem Album kann man das kaum einfangen. Irgendwo zwischen Feld-Wald-Wiesen-Rave und Rap haben sich Albert und Pablo eingerichtet. Hin und wieder hat jemand eine Akustikgitarre dabei, in "Ausgewaschenes T-Shirt" ganz zum Schluss sogar einmal dunkle Streicher, doch das bleibt die Ausnahme. Meist regieren wabernde Synthies und schnurgerade durchpumpende Bässe.
Die Geschichten, die diese Jungs erzählen, brauchen auch keine aufwändig installierten Kulissen. Falls sich jemand noch an die beiden Teenies aus "13 Jahre" erinnert und sich fragte, was aus denen wohl geworden sein mag: "26 Jahre" setzt ihre Story fort. Genau wie beim ersten Teil ließen sich die Lyrics so, wie sie sind, unmittelbar als Drehbuch eines Kurzfilms verwenden. Ganz großartig.
Ansonsten geht es um Langeweile und Frust und darum, wie man derlei Dorfjugendsorgen betäubt, wenn man ihnen schon nicht entfliehen kann. Es geht um besorgte Mütter und abwesende Väter, um traurige Kinder trauriger Eltern. Es geht um Freund*innen, die vor die Hunde gehen. Es geht um die Suche nach dem Platz in einer Gesellschaft, die kaum Möglichkeiten bietet. Manchmal geht es auch einfach nur darum, durch die Nacht zu fahren, irgendwohin, weil es überall anders besser ist als da, wo man gerade ist.
Oder doch nicht? Nicht zuletzt geht es nämlich auch darum, sich gerade zu machen, füreinander einzustehen und sich klar zu positionieren. "Meine Jungs geben sich Küsschen, deine wählen AfD", räumt gleich der erste Track eventuelle Restzweifel daran aus, auf welcher Seite diese Crew steht. Das explizit gegebene Versprechen an die Dorfjugend-Antifa in "Hinterland III" erscheint danach eigentlich wie eine Formsache, so logisch folgt es: "Ein Anruf reicht, und wir sind alle da." Spätestens da sollten es alle kapiert haben: Auf "Rosa Mitsubishis" geht es nicht zuletzt um Solidarität. Ich wüsste wirklich nicht, was wir an Tagen wie diesen nötiger bräuchten.
1 Kommentar
Gefällt mir.