laut.de-Kritik

Ein Chamäleon mit vereinzelten Farbtupfern.

Review von

"Welcome To The New Age", so begrüßten Imagine Dragons im Mega-Hit "Radioactive" vor zwei Jahren zumindest ein neues Modell des alternativen Pop-Songs. Gehüllt in ein schick produziertes Gewand aus elektronischer Bass-Wumme, Trommel-Exotik und verwegener Indie-Melodie erhaschten sie sich damit die erhoffte Aufmerksamkeit für das Debüt "Night Visions". Unterschiedlichste Sparten konnten den facettenreichen Soundgebilden des vierköpfigen Orchesters etwas abgewinnen. Und doch wollte sich kaum jemand verbindlich auf das musikalische Chamäleon einlassen. Zu unentschlossen präsentierten sich die Jungs aus Las Vegas wiederum, ihr Potenzial zwischen Pop-Allüren und weniger glatt gebügeltem Independent auf eine Karte zu setzen.

Was auf Platte Eins unbestritten noch ein packender Kampf der Elemente war, läuft nach gutem Auftakt auf ein müdes Kräftemessen hinaus. Während "Shots" mit 80er Jahre Synthesizer und kopfstimmenlastigen Disco-Vocals noch einen gewissen Charme versprüht, wartet man im trägen "Gold" vergeblich auf überraschende Highlights. Pompöse Beats verleihen dem Song zwar hollywoodtaugliches Soundtrack-Format, verwehren im Gegenzug aber dringend benötigtes Steigerungspotenzial. Weder der balladeske Titeltrack noch der unbeholfen daher trampelnde Bass-Brei in "I'm So Sorry" stellen sich dem Unheil in den Weg. Was wie die Parodie einer Elton John-Nummer klingt, soll wohl allen Ernstes die Bridge des Stückes sein.

Zum Glück steht der Einstieg nicht repräsentativ für das Gesamtpaket. Dass das schier unerschöpfliche Spektrum der Amerikaner fette Songs hervor bringen kann, hört man "I Bet My Life" an. Wie euphorisiert, klatscht der Beat zum Gospel-Chorgesang. Erstmals richtig zur Geltung kommend, kitzeln vor allem die stimmlichen Fähigkeiten von Sänger Dan Reynolds das gewisse Etwas raus. Die Single ist gut gewählt und hat das Zeug zum Radio-Hit. Unaufhaltsam arbeitet sich das US-Quartett über soulige Melodien in "Polaroid", bis hin zum folkigen Ausbruch in "Trouble" vor. Wahrscheinlich ohne es zu merken, lassen sie auf ihrer Reise durch die Genre-Landschaften, die zwei besten Stücke des Albums hinter sich.

Ein orientalisch angehauchtes Gitarrenriff begrüßt den ahnungslosen Hörer in "Friction". Das Ding klingt wie der Vorbote eines bösen System Of A Down-Songs und brennt sich wie ein teuflischer Virus in den Gehörtrakt. Reynolds aggressiver Response-Gesang legt wenig Wert darauf, den fast schon metallisch startenden Groove zu beruhigen. Folgende Anflüge von softeren Melodien oder abgedrehten Elektro-Samples erweisen sich als geschickte Täuschungsmanöver. Spätestens der Refrain keift nämlich wieder fetzig drauf los. Etwas ungewohnt, verirren sich sogar einige Shouts ins Outro. Weniger spektakulär, aber trotzdem ebenbürtig präsentiert sich die Ballade "Dream", in der Reynolds eindrucksvoll nachweist, was er stimmlich so runterspulen kann. Gerade auf rauerem Terrain ein echter Hinhörer.

Die Ausgeburt des Indie-Pop-Songs ist mit "Summer" auch noch vertreten. Während Snow Patrol die Strophe womöglich nicht besser hätten einspielen können, winken Keane im Kopfstimmen-Refrain von der Insel rüber. Solche Justin-Timberlake Gedächtnis- Vocals tauchen in einigen Songs auf, sind aber selten ernst zu nehmen und auch kein wirklicher Ohrenschmaus. Songs wie "It Comes Back To You" oder "Hopeless Opus" dürfen sich angesprochen fühlen. Zum Abschluss kann dann auch das episch verpackte "The Fall" nur noch an guten Ansätzen kratzen.

Nach schwachem Beginn, verdeckt die überzogene Genre-Flickerei nicht nur viele solide Songs, sondern auch echte Schmuckstücke auf "Smoke + Mirrors". Ausrufezeichen setzen Imagine Dragons immer dann, wenn sie hörbar entschieden haben, in welche Richtung ein Track gehen soll. Reynolds Stimme weiß jedenfalls besonders in rockigeren Lagen zu gefallen. Vielleicht liegt darin eine Chance für das Chamäleon, sich vorsichtig aus der Deckung zu wagen und Farbe zu bekennen. Denn Anpassungsfähigkeit alleine verspricht auf Dauer eben auch keine Erfüllung.

Trackliste

  1. 1. Shots
  2. 2. Gold
  3. 3. Smoke + Mirrors
  4. 4. I`m So Sorry
  5. 5. I Bet My Life
  6. 6. Polaroid
  7. 7. Friction
  8. 8. It Comes Back To You
  9. 9. Dream
  10. 10. Trouble
  11. 11. Summer
  12. 12. Hopeless Opus
  13. 13. The Fall

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8 Kommentare

  • Vor 9 Jahren

    Nach mehrmaligem Durchhören find ich die Platte echt ziemlich gut. Beste Song für mich sind Polaroid, Smoke + Mirrors, Summer, Dream und Trouble. Kommt zwar nich an das Debut ran, trotzdem auf jeden Fall kein schwaches Album, pour moi :)

  • Vor 9 Jahren

    Klingt genau wie das Debut. Nur mit neuen Texten. Und einigen, wenigen Neuerungen im Sound. Manchmal ist das auch nichts schlechtes. Never change a winning team. Ich freu mich drüber. Ist immer noch ziemlich einzigartig im Mainstream Radio Mist. Und die fetten Sounds packen halt hier und da immer noch (Dream/The Fall). Wer mehr erwartet hat, hat seine Hausaufgaben nicht gemacht. Die Michael Bays der Popmusik.

  • Vor 9 Jahren

    Ich finde das Album absolut gelungen. Generell hat Laut.de ein Problem mit erfolgreichen und massentauglichen Rock, warum eigentlich?
    Egal ob Shots, Gold, Dream oder Trouble. Alles sehr gute Songs. Besonders gut hat mir "I´m so sorry" gefallen. The Fall war auch sehr solide und eingehend.
    Viele Songs haben Ohrwurm-Potenzial.

    Der beste Song ist meiner Meinung nach "I bet my life" ... fröhlich und laut.

    Durch die verschiedenen Stile im Album ist Imagine Dragons anders als viele Rock Bands. Dazu der Dubstep Bass... das macht es eben massentauglich und genau deshalb haben die Songs von Imagine Dragons 10x so viele Aufrufe (60 Mio) in Youtube als ihre Kollegen.