laut.de-Biographie
Jimmy Scott
"Ich hatte keine Ahnung, wer er war, aber es hat mich umgehauen. Er sang mit dieser munteren, eigenwilligen, fast schon großmütterlichen Stimme. Die aber jugendlich klang. Mir schien es, als sei er gleichzeitig sehr alt und sehr jung", erinnert sich Sufjan Stevens über seinen ersten Besuch eines Konzerts Jimmy Scotts. "In ihm steckt Freude, er hat eine freudige Ausstrahlung. Wenn er singt, scheint er so glücklich, auf der Bühne zu stehen, so lebhaft." Eigenschaften, die ein schweres Leben nicht auszulöschen vermochten.
1925 geboren, wächst Scott als drittes von zehn Kindern in Cleveland, Ohio auf. In einer gewissen Hinsicht verlässt er diese Kindheit nie, da er am seltenen Kallmann-Syndrom erkrankt: Wegen einer Hormonstörung setzt die Pubertät nicht ein, was auch dazu führt, dass der Stimmwechsel ausbleibt.
Gesangsunterricht erteilt die Mutter, die ein betrunkener Autofahrer tötet, als er 13 ist. Ende der 1940er Jahre ist Scott einer der Sänger der Band des Jazzmusikers Lionel Hampton. "Everybody's Somebodys Fool" ist ein großer Erfolg, doch erscheint "Little Jimmy Scott" nicht in den Credits. Ein Schicksal, das ihm später auch mit Charlie Parker widerfährt. Das von ihm gesungene "Embraceable You" wird gar der Sängerin Chubby Newsom angedichtet.
Die Alben, die Scott unter eigenem Namen veröffentlicht, haben in den 1950er Jahren keinen durchschlagenden Erfolg. Das Blatt scheint sich zu wenden, als ihm seine spätere Ehefrau Mary Ann Fisher zu einem Vertrag bei Tangerine Records verhilft, dem Label Ray Charles', in dessen Band Fisher singt. Das gemeinsame Album "Falling In Love Is Wonderful" erscheint allerdings erst 2002. Aus rechtlichen Gründen hatte Tangerine die Freigabe verweigert, da Scott bereits in den 1950er Jahren einen Vertrag über 45 (!) Platten bei King Records unterschrieben hatte.
Ein Schicksal, das auch seine folgenden zwei Alben, die er nun bei Atlantic aufnimmt, teilen: "The Source" (1969 aufgenommen, 2001 veröffentlicht) und "Lost And Found"(1972/2002). In den 1970er Jahren verschwindet Scott aus dem Studio und von der Bühne. Wie sich herausstellt, arbeitet er Gehilfe in einem Krankenhaus und als Liftboy im Sheraton seiner Geburtsstadt Cleveland. Im Laufe seines Lebens kämpft er mit Alkoholproblemen, wenig harmonisch verläuft es auch in romantischer Hinsicht, denn er ist ganze fünf Mal verheiratet.
1991 singt Scott auf der Beerdigung des Blues-Sängers Doc Pomus, mit dem er befreundet war. Plötzlich ist er wieder ein gefragter Mann. Anwesend ist auch Seymour Stein, der ihn unter Vertrag nimmt. Bei dessen Label Sire Records befindet sich auch Lou Reed, mit dem Scott den Track "Power And Glory" (aus dem Album "Magic And Loss", 1992) aufnimmt. Im selben Jahr erscheint das Soloalbum "All The Way", das eine Grammy-Nominierung erhält.
Bereits 1991 hatte Scott einen Auftritt in der letzten Episode von Davis Lynchs Kultserie "Twin Peaks", in der er die eigens für ihn geschriebene Jazz-Ballade "Sycamore Trees" zum Besten gibt. 1993 singt Scott zudem bei der Amtseinführung von Präsident Bill Clinton. Er wählt dabei dasselbe Lied, das er 40 Jahre zuvor bei der Amtseinführung Dwight Eisenhowers interpretiert hatte, "Why Was I Born?"
Der große Erfolg bleibt auch diesmal aus, doch ist Scott in den folgenden Jahren musikalisch aktiv, vor allem auf der Bühne. Für das Album "Holding Back The Years" (1998) steuert Lou Reed einen Text bei, im neuen Jahrtausend kommen neben Livealben auch die 'verschollenen' Arbeiten aus den 1960er Jahren auf den Markt.
Jimmy Scott stirbt am 12. Juni 2014 im Alter von 88 Jahren an Herzversagen in seinem Haus in Las Vegas. Aktiv bleibt er bis zum Schluss. Auch im Studio, denn mit dem deutschen Produzent Ralf Kemper arbeitet er 2009 am Album "I Go Back Home". Eine Dokumentation mit demselben Titel feiert seine Premiere beim SXSW-Festival 2016, die Platte dazu erscheint im Januar 2017.
"Er sang, als ob er Trompete spielen würde", sagte Quincy Jones über Scott einmal. "Er zwang mich mit seinem Stil in die Knie, besorgte mir eine Gänsehaut und riss mir das Herz heraus." Ganz ähnlich sieht es Madonna: Der "einzige Sänger, der mich zum Weinen bringt".
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