laut.de-Kritik
Gitarren-Feuerwerk aus dem Hause Bonamassa.
Review von Philipp KauseBonamassa hat wieder zugeschlagen, als Talent-Förderer für seine Kollegin Joanna Connor und deren Album "4801 South Indiana Avenue". 15 Jahre älter als ihr neuer Label-Mentor Joe ist Joanna - und trotz langer Karriere ziemlich vergessen worden. Schon 1992 trat sie im Alten Schützenhaus von Stuttgart auf, 16 D-Mark kostete der Eintritt. Zum damaligen Zeitgeist passte Connor perfekt, in dem sich auch Marla Glen mit soulgetränkten, rauchig-bluesigen und theatralen Songs durchsetzte.
Zum Zwecke, das Blues-Erbe New Yorks und Chicagos in die Welt hinaus zu posaunen, gründete Bonamassa die Kooperative KTBA, Keeping The Blues Alive, die 2020 mit einer Platte von Dion aufwartete. Der zweite Release widmet sich unter dem sperrigen Titel "4801 South Indiana Avenue" einer Bar namens Theresa's Tavern, bezeichnet deren Adresse und imitiert die Stimmung in jener Location.
Dort buchte Gastwirtin Theresa Needham in den 50ern und 60ern regelmäßig Acts wie Buddy Guy. Die Kneipe entwickelte sich zu einem Stamm-Treffpunkt für Arbeitssuchende aus den Südstaaaten des Mississippi-Deltas, denen die Metropole Chicago ein riesiger, anonymer und latent bis offen rassistischer Moloch war. Ein unwirtlicher Ort um Geld zu verdienen.
Im Blues-Club mit seinen ganzjährig weihnachtlichen Lichterketten konnten sich die Gastarbeiter zuhause fühlen - Joannas Setting. Jeden Freitag bis Montag fanden Konzerte statt, und der Chicago Blues hatte sein Epizentrum.
All die Energie der Pioniere, die in dem Live-Club geherrscht haben mag, als sie E-Gitarre und Blues miteinander fusionierten, sprüht aus Joannas Album. "Ich werde mein Ziel eines Tages erreichen", "I gotta reach my destination some day", schmettert die Sängerin in den Raum, um bald in einem quiekenden Solo zu landen. "Destination" heißt 'Ziel', aber auch 'Bestimmung'. Entsprechend versinkt die Künstlerin in ihrem Flow, reißt einen da auch mit, weil sie ihre Bestimmung eindeutig hörbar gefunden hat. Es herrscht eine flirrige Stimmung, vermischt aus 80er-Rockdisco, Honkytonk-Klavier (man höre "Come Back Home"), wirbelndem Bluesrock und wildem Jukebox-Sound.
Was jetzt den Unterschied zu Beth Hart und den jüngeren Heroinnen Samantha Fish, Joanne Shaw Taylor, Laura Cox & Co. ausmacht: Bei Joanna Connor wirkt alles viel intensiver. Es gibt keine Balladen zum Luftholen. Der organische Band-Sound überspült die Lead Guitar in schäumenden Wellen stürmischen Gebratzels und Geklimpers: Glockenhelles Stakkato aus dem Piano, atemlose Kommentare des Saxophons, und irgendwo zwischendrin meldet sich ab und an der heisere, kratzende Lead-Gesang.
Zur Frage, was bei ihr anders sei als bei dem meisten heutigen Bluesrock-Kolleginnen, wird Joanna selbst überraschend deutlich: "Ich liebe Debbie Davies (...) und Samantha Fish, aber sie rasseln nicht allzu sehr an den Ketten. (...) Für gewöhnlich haben sie eine komplett 'weiße' Band, und sie greifen niemanden an. Ich mache sie jetzt nicht herunter, aber: Sie spielen es 'safe'", diktiert sie dem Vintage Guitar Magazine.
Mit der Lust aufs Risiko schaut es bei ihrer Platte ambivalent aus. Einerseits sieht man Connor oft an einer weinroten Gretsch-Gitarre mit rechteckigem Resonanzkörper, wie Bo Diddley sie spielte. Sie tut alles, um die spezifische Zeit einzufangen und abzubilden, wie es damals in Chicago gewesen sein mag.
Zu ihrem nostalgischen Vorhaben gehört auch ein Gitarrenfabrikat, dessen Basismodell 1959 in Mode kam, die Gibson Les Paul Traditional (vormals Les Paul Standard). Joanna Connor spielt eine blau lackierte, die mit mellow-dumpfem Klang die Platte prägt. Dank Verstärker schneidet sie ordentlich ein, als würde ein Jeep trockenen Wüstensand mit Wucht aufwirbeln. Das Bild kommt einem in den Sinn, denkt man an Bonamassas CD "Dust Bowl", die viel mit der Ästhetik von Joannas Album gemein hat.
Gary Richrath von REO Speedwagon lobt den besonderen Flanger-Effekt dieser Sechssaitigen, das heißt, es legen sich zwei gleiche Töne per Rückkopplung zeitversetzt so übereinander, dass der eine Ton kurz abbremst und der nächste beschleunigt. Somit treffen die beiden Töne in einem unerwarteten Frequenzverlauf aufeinander, dank der besonderen Konstruktion des Rands des Gitarrenhalses. Noch ein paar Argumente für E-Gitarren-Freaks, die Connors Album gewiss lieben werden, liefert Billy Gibbons von ZZ Top. Er beschreibt gegenüber gitarrebass.de die alte Gibson als relativ leicht, gut für druckvolles, straightes und schnelles Spiel in mittleren Tonlagen. Tatsächlich lassen sich ZZ Top-Platten und das Joanna Connor-Album gut kombinieren, funken auf einer ähnlichen Hörfrequenz und einem gefühlt recht verwandten Energielevel.
Das Saxophon in "Part Time Love" hilft hier schon deutlich weiter. Das phänomenale "It's My Time" sollte sich wirklich jeder anhören, der sich irgendwie Classic Rock, Blues oder Session-Musik im Allgemeinen verbunden fühlt. Mit Kneipen-Geräuschen, einem verschachtelten, richtig fetten, kreativen und ausdauernden Solo, quirligen Keyboard-Spielereien und der 'stoned'-Attitüde des stolpernden Rhythmus legt der Song eine ganz steile Kurve hin, bei der wohl manch andere große Band entgleisen würde. Handwerklich spitze! Das ist kein sicheres Terrain mehr für Samantha & Co., dafür unmittelbar, eigenwillig und extrem cool. Das ebenfalls hinten in der Tracklist platzierte "Cut You Loose" ist ein weiterer Anspieltipp.
Joannas Texten hingegen fehlen Humor und Hinhör-Momente. Ohnehing geht was sie singt, meist im Sound-Strudel unter. Manchmal müsste man statt von Liedern gar von 'Instrumentals mit etwas Stimme' sprechen.
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