laut.de-Kritik

Wir sind 17 Millionen, wir sind NRW!

Review von

Wer in Deutschland mit einer einigermaßen rauen Stimme aufspielt, dem stehen Türen offen. Alles klingt gleich zehn Mal so intensiv, die Fühlis kommen zwanzig Mal so schnell und jeder Text wirkt hundert Mal so tiefgründig. Selbst, wenn wie im Falle Joel Brandensteins die Stimme wie ein verwundeter Elch klingt: Geschenkt. Rau ist gleich emotional ist gleich gut. Sein inzwischen drittes Album macht Schmonzetten-Core. Ohne Puls, dafür handwerklich spektakulär unbeeindruckend. "Frei" beweist - es gibt eine Liga unter den Kuschel-Rock-CDs.

Ein waschechter Balladier mit der Reichweite einer gefühlten halben Oktave, der dafür aber wirklich, wirklich laut werden kann. Frei nach der Lewis Capaldi-Schule 'je lauter ich schreie, desto trauriger der Song' hat der Mann, der mit YouTube-Covers berühmt wurde, genau einen Trick, seiner Musik das Gefühl von emotionaler Tiefe zu geben. Er röhrt. Und so stehe Gott ihm bei, er wird diesen Trick nutzen.

"Frei" hat in Sachen Songwriting oder Produktion zwar effektiv nichts zu bieten, dafür ächzt jeder Balken dieses Gebildes vor Pathos. "Ich bin frei!", ächzt Brandenstein im Opener, "Frei wie ein Luftballon". Hätte der Mann denn wenigstens etwas zu erzählen, aber seine militant sterile Anhäufung von Allgemeinplätzen kann nur bewegen, wenn man beliebigen Inhalt selbst in diese Phrasen projiziert. Gleichwohl muss man schon sehr für diesen westfälischen Adam Levine-Lookalike schmachten, um ihm diese emotionale Arbeit abzunehmen.

Eine Ausnahme gibt es: "Größte Stadt Der Welt" überrascht regelrecht mit wahrnehmbaren Percussions. Man fühlt sich fast, als würde Musik passieren. Muss auch sein, immerhin tappt er in die schablonenhafte Lokalpatrioten-Nummer. "Wir sind 17 Millionen, wir sind NRW", singt er dann – und man weiß nicht, ob er gerade Rheinland-Romantik beschwören oder Sparta drohen möchte. "Manchmal bist du furchtbar hässlich und ganz grau", lenkt er zwar ein, versichert aber doch, wie schön die Ecke sei. Brandenstein argumentiert bombenfest, wie viel das Bundesland zu bieten hat: Es gibt "einen Baum" (wow), "Steine" (oha) und ihn! Wer da nicht sofort im TUI-Katalog nach Duisburg blättert, weiß wirklich nicht, was gut ist. Passt vor allem, denn die sterile Synth-Komposition, die wie Muzak-Restmüll im Hintergrund wabert, klingt haargenau nach Musik-Presets für AIDA- und Jack Wolfskin-Werbespots.

Abgesehen davon bewegt sich diese (ohnehin zu lange) Platte mit dem Tempo eines Segways durch die Spielstraße. Schwäbische Rentner im Edeka werden von der Langsamkeit von "Frei" rammdösig. "Der Himmel Reißt Auf (feat. Vanessa Mai)" klingt nach der Hochzeit eines entfernten Verwandten, auf die man nie wollte. Vanessa Mai klingt uninspiriert und Brandenstein klingt, wie er immer klingt, weil er genau eine Art zu singen beherrscht.

In der Welt des Joel Brandenstein ist einfach alles groß. Und wichtig. Bedeutungsschwanger und tiefgründig. Man möchte ihm nach jeder Zeile ein schmachtendes 'Hach!' hinterherwerfen ob dieses tiefschürfenden, geplagten Mannsbilds. Die Liebe, die Freiheit, all seine Freunde. Sogar Nordrhein-Westfalen ist wichtig und wunderschön und herzergreifend. Gegen diesen Mann hat Barockdichtung das Understatement perfektioniert. Eine Stimmlage, sie alle zu knechten.

Trackliste

  1. 1. Frei
  2. 2. Es Tut Mir Leid
  3. 3. Aussichtslos
  4. 4. Dein Applaus
  5. 5. Blauer Fleck
  6. 6. Endstation (feat. Moses Pelham)
  7. 7. Sanduhr
  8. 8. Der Himmel Reißt Auf (feat. Vanessa Mai)
  9. 9. Größte Stadt Der Welt
  10. 10. Kaltes Wasser
  11. 11. Für Immer Jung
  12. 12. Zurück Nach Hause
  13. 13. Um Dich Zu Finden (Aus der Rosenstraße 26)
  14. 14. Scherbenherz (Aus der Rosenstraße 26)
  15. 15. Puzzleteil (Aus der Rosenstraße 26)
  16. 16. Für Liebe Gibt Es Keinen Namen (Aus der Rosenstraße 26)
  17. 17. Blindes Vertrauen (Aus der Rosenstraße 26)
  18. 18. Vielleicht Soll Es So Sein (Aus der Rosenstraße 26)

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LAUT.DE-PORTRÄT Joel Brandenstein

"Ich schöpfe für meine Songs aus meinen Gefühlen und Erlebnissen, die ich gern mit anderen Menschen teile", sagt Sänger/Songschreiber Joel Brandenstein …

8 Kommentare mit 14 Antworten

  • Vor 4 Jahren

    Das macht also der "Typ mit Gitarre und 'wonderwall spiel ich jetzt mal'-Idee" heute.

  • Vor 4 Jahren

    Au weia...ich hab ihn neulich im 'MOMA' gesehen...unfassbar schlechte Musik, belanglos, einfältig, einfach nur gruselig! Typisch deutsche Betroffenheitsmusik!

  • Vor 4 Jahren

    Ich habe mich lange auch gerne über gefühlige Betroffenheitslyrik im deutschen Pop lustig gemacht. Aber trifft Joel Brandenstein nicht gerade durch die Verachtung, die er mit seiner Musik in uns auslöst einen Wunden Punkt? Werten wir derartige Gefühlsäußerung vielleicht nur deshalb ab, weil wir innerlich tot sind? Ich gebe zu: auch wenn es das eigene Emotionsspektrum massiv verflachen würde, wäre ich gerne auf so simple Art Glücklich wie Beatrice Egli. Da hat man am Ende des Tages einfach mehr von.

    • Vor 4 Jahren

      Es geht ja nicht um Gefühlsäußerung. Sondern um dämliches Geblubber, das als Lyrik verkauft wird. Nur weil etwas auf deutsch "gedichtet" ist und es emotional ist, ist es nicht automatisch gut. Wenn ich jemanden mit dem Baseballschläger verdresche, dann ist es auch eine Gefühlsäußerung - es fehlt aber an Tiefe und Originalität (oder?).

      Zu Beatrice Egli: Nein, denn es wird sie einholen, wenn sie älter ist. So lange man hübsch ist und Erfolg hat, kann jeder "simple" glücklich sein. Das ist keine Kunst. Ändern sich aber die Parameter, dann benötigt man durchaus einen tieferen Geist, um das Geschehene reflektieren zu können. Ohne wird es hart, da in der Regel dem Materialismus verfangen.

    • Vor 4 Jahren

      das wahre glück muss dann wohl sein, mit dem drölften acc täglich auf einer internetseite zu posten, wo einen die meisten user aufgrund des nervigen gespammes seit langer zeit nur noch ignoirieren, so dass lediglich andere gescheiterte existenzen mit ihrem dröflten acc ab und an mal antworten.

    • Vor 4 Jahren

      Eben diese Betroffenheitslyrik ist der Ausdruck des Innerlich-Totseins. Sentimentität ist ein Gegenteil vom Fühlen.

    • Vor 4 Jahren

      "Eben diese Betroffenheitslyrik ist der Ausdruck des Innerlich-Totseins"

      Diesen Satz möchte ich bitte auf ein T-Shirt gedrucht haben.

      Wie siehst du das denn, ElMassivo?

    • Vor 4 Jahren

      Alles Miesepeter hier. Ich lasse mir jetzt "Leben, Lieben, Lachen" als Arschgeweih tätowieren. Tschau mit vau.

    • Vor 4 Jahren

      alles nicht neu, Ragism:
      "Sentimentalität ist das Gefühl der Gefühllosen"
      A. Schnitzler

    • Vor 4 Jahren

      Auch gut! Schnitzler ist Ehrenmann.

    • Vor 4 Jahren

      Das ist doch der Autor dieser Bumsnovelle

    • Vor 4 Jahren

      Ich denke emotional ist sehr wichtig für mensch. Ich bin sicher ragizzle denkt auch das liebe andere mensche is einzig hoffnung für welt.

    • Vor 4 Jahren

      Unsinn. Liebe ist was für Simps.

    • Vor 4 Jahren

      bruder wir sollten sprechen über liebe und coracon mit mehrere auge. kommt ihr zu massiv nach hause kocht lecker tapas und gucken sonnenuntergang hinter berge von francoforte del meno. Ich warte für euch. manni soll auch ich freu mich.

    • Vor 4 Jahren

      Wenn ich so charmant eingeladen werde, komme ich natürlich gern. :)

  • Vor 4 Jahren

    Mein 1. Gedanke die Woche beim Moma war: Boah, ist das schlecht!
    Der 2. Gedanke war: Klingt exakt wie Giesinger!
    Und da schließt sich der Kreis wieder.

  • Vor 4 Jahren

    Den hat die Mannfrau doch auch schon in die Hintertür gelassen :)

  • Vor 4 Jahren

    Im Auto laut NRW Hymne hören und in welche Orte die Reisen führen, die Liebe im Herzen zur Heimat bleibt bestehen . NRW ist auf allen Reisen Dein treuer Begleiter und wenn Du zurück kommst in die Heimat, dann erfüllt Dich das Wiedersehen mit großer Freude. NRW❤️ ist Joel's Herzblut❤️. Joel ist mein Herzblut.❤️ Das Lied ist Klasse geworden. Die schönste Stelle für mich : Jede Nation der Erde, jede Farbe der Haut, mein Herzblut, mein NRW - Gänsehaut beim Hören Deiner Stimme. Schöner Wechsel von ruhigen Stellen sowie lautere Stellen mit schnellerem Tempo.