laut.de-Kritik
Jazz voller melancholischer Schönheit und Tiefe.
Review von Toni HennigTenorsaxophonist Joshua Redman und Pianist Brad Mehldau verbindet seit Beginn der 90er, als sie die New Yorker Jazzszene aufmischen, eine besondere Freundschaft. Gemeinsam spielen sie auf mehreren Alben ein breites Repertoire an Standards und Eigenkompositionen. Seit 2008 treten die beiden regelmäßig auf Festivals damit auf. "Nearness" besteht aus Liveaufnahmen der letzten Europatournee und bietet auf knapp 70 Minuten einen wunderbaren Einblick in die improvisatorischen Fähigkeiten der beiden.
Den Charlie-Parker-Klassiker "Ornithology" befreit man zu Beginn von seiner Bebop-Hektik. Tänzerisch umkreist das Tenorsaxophon Redmans die Komposition, während Mehldau akzentuierte Klavierakkorde setzt. Behutsam bewahren sie den Geist Parkers, einer ausschweifenden Persönlichkeit, die in den 40ern kaum etwas ausließ und mit 34 Jahren an den Folgen seines jahrzehntelangen Heroinkonsums verstarb. Eine würdevolle Neuinterpretation.
Das Highlight folgt mit der Mehldau-Komposition "Always August". Der Pianist glänzt mit zurückhaltenden, romantischen Klavierakkorden, die virtuos in der Tradition eines Chopin stehen. Redman sorgt für melodische und einprägsame Akzente. Die lyrische Brillanz seines Spiels gibt dem Stück melancholische Schönheit und Tiefe. Anstrengend und schwer klingt das Ergebnis zu keiner Sekunde.
"In Walked Bud", im Original von Thelonious Monk, bildet den klassischsten Track dieser Liveaufnahme. Mehldau zeichnet sich hier durch eine hohe Konzentration am Piano aus, um mit der Virtuosität eines Monk mitzuhalten, was ihm beeindruckend gelingt. Redman sucht dagegen spontan den Dialog zu seinem Partner und begleitet die Klavierläufe mit spielerischer Leichtigkeit.
Das Duo wirkt durch die jahrelange Livepräsenz gut aufeinander abgestimmt. "Nearness" kennzeichnet Frische und Leidenschaft, weil Mehldau und Redman intuitiv miteinander agieren. Mit dem Vertrauen auf die Fähigkeiten des anderen und Respekt vor der Jazzhistorie verleihen die beiden den Songs individuelle gestalterische Akzente.
Den Redman-Track "Mehlsancholy Mode" veredelt das Tenorsaxophon immer wieder mit kraftvollen, sehnsüchtigen Einschüben, Mehldau begleitet den Song mit spielerischer Präzision. Die Musiker brillieren mit einer weiten Palette individueller Ausdrucksmöglichkeiten.
"The Nearness Of You", in der Ursprungsversion von Hoagy Carmichael & Ned Washington, überzeugt als ein zärtliches Nachtstück, bei dem Redman für herrlich wehmütige Akzente sorgt und Mehldaus sanfte Klavierakkorde Feinfühligkeit und Sensibilität ausdrücken. Die Vorlage interpretieren sie behutsam und stilvoll. Für den Hörer ein genussvolles und intimes Erlebnis.
Das Mehldau-Stück "Old West" bildet einen leidenschaftlichen Abschluss dieses äußerst gelungenen Livealbums. Im Laufe des Stückes entsteht ein herrlicher Dialog zwischen Mehldaus vespielten Klavierläufen und Redmans kraftvollen Einschüben am Tenorsaxophon.
"Nearness" besticht vor allem mit Abwechslung und dem schönen Zusammenspiel der beiden. Neben technischem Anspruch erzeugt das Album durch seine emotionalen Momente sehr viel Tiefgang. Trotz der etwas ruhigen, klassischen Ausrichtung überzeugt diese Aufnahme mit Unverbrauchtheit und Lässigkeit. Es stellt weitaus mehr als nur ein weiteres Livedokument dar.
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