laut.de-Kritik
Stühle fliegen durch die Gegend, Saiten bersten: Der Moshpit ist eröffnet.
Review von Anne NußbaumDeutscher Punkrock ist beerdigt. Hinüber, erledigt, mausetot. Zur Auflösung von ...But Alive hatten wir ihm schon das Totenkleid angelegt. Zehn Jahre später, mit dem Ende von Muff Potter, trugen wir ihn endgültig zu Grabe, schweren Herzens. Seither schaut sich die alte Töle Deutschpunk die Radieschen von unten an. Von unten? Von wegen!
Jupiter Jones' neueste Scheibe verwandelt derartige Trauerklagen prompt in Lobgesang. Allein der erste Durchgang zeigt: Die Eifeler Jungs verstehen es nach wie vor, die Scheiße fett zu rocken. Unnötig auch, große Metaphern für den Viertling zu finden, ein simples Sinnbild reicht: "Jupiter Jones". Ein klares Statment sowie das Postulat, zu sich gefunden zu haben.
Anders als die Autoreferenz im Albumtitel implizieren mag, bedeutet das nicht unbedingt die Rückbesinnung auf Ursprüngliches. Einiges läuft unüblich im Vergleich zum bisherigen Opus: Hinter den typisch klassischen Punkgitarren-Riffs und den ordentlichen Bassläufen lugt schüchtern ein Synthesizer hervor, der dem Jupiter-Sound einen neuen Firnis verpasst. Zurückhaltende Streicher, gar Hammond-Orgel und Banjo finden ebenso ihren Weg in die Harte-Jungs-Instrumentierung.
Der Bogen zu früheren Werken ist dennoch von Anfang an geschlagen: Die Literaturfreunde graben wieder im Zitatekoffer und zaubern den alten Bekannten Hesse hervor. Dessen "Steppenwolf" steht Pate für die "Ansage": "Nun, jeder hat sein Los, und leicht ist keines".
Reif und schlau klangen Jupiter Jones' Zeilen immer schon, und nach wie vor bewegt man sich textlich auf recht hohem Niveau. Der persönlichen Dimension der Zeilen ist immer auch eine gesellschaftliche Relevanz abzugewinnen. Die Band thematisiert scheinbar Banales ebenso wie politisch-kritische Untertöne. Alltagsbeobachtungen ("Komm Bloß Nicht Nach Bad Bentheim") gesellen sich zu ironischen Kommentaren ("Berlin"), Empfindungsausdruck ("Still") zu Verstandesappell ("Hey! Menetekel").
Das alles emotional-kraftvoll wie eh und je hervorgepresst von Nicholas Müller. Seine unverkennbare Gewaltstimme geht, selbst wenn sie an Roheit eingebüßt haben mag, durch Mark und Bein. Unter tausend anderen würde man sie erkennen, sie ist das Herzstück der Band.
Und wo wir eben von alten Heroen sprachen: Gesang wie Songwriting rufen immer noch Marcus Wiebusch ins Gedächtnis, der mit ähnlicher Wucht und Vehemenz ...But Alive und die frühen Kettcar ins kollektive Deutschpunk-/Indierock-Gedächtnis einbrannte.
Ob der Pop-Appeal dem Wechsel zum Majorlabel zu danken ist, spielt keine Rolle. Kuschelig wirds trotzdem selten: Mit Nachdruck tun Jupiter Jones ihre Weltsicht kund, wie ein Aufschrei dringen die Songs durch. "Macht aus Reden endlich Gold - und glaubt, woran ihr glauben wollt".
Scheu vor Gefühlsregungen hatten Jupiter Jones auch noch nie - zum Glück: "Und wenn ich noch 1000 Lieder vom Vermissen schreib, heißt das noch nicht, dass ich versteh, warum dieses Gefühl für immer bleibt".
Geballten Zorn und Kummer, Sehnsucht und Selbstzweifel packen die Jungs in schöne Worte und einschneidende Melodien. Die alte Töle Deutschpunk bellt wieder. Und zwar laut. Stühle fliegen durch die Gegend, Saiten bersten, Schlagfelle platzen auf, Stimmbänder reißen. Der Moshpit ist eröffnet.
9 Kommentare
Also wenn man sich Still anhört (welches ich richtig gut finde) kommt man als letztes darauf, dass die Jungs was mit Punk zu tun haben.
"die Scheiße fett zu rocken" ?????
Aus welchem Trendwörterbuch ist das denn abgeschrieben?
Ich muss sagen, die härteren Lieder der Band gefallen mir eindeutig besser!
@ Sancho: Früher waren sie mal recht hart ("Momentaufnahmen"), zuletzt dann doch eher ein wenig gebremmst ("Das Jahr in dem ich schlief").
Neues Album wird auf jeden Fall gekauft!
sehr schönes album, kommt aber leider auch net an die klasse des debuts ran...
aber ganz gute live band....
So, angehört! Wirklich gut geworden das Album. Mir fehlen 2-3 schnelle Nummern.
Immerhin mal deutscher Poprock mit gutem Sänger und guten Texten, bei denen man sich nicht gleich fremdschämen muss, auch wenns teilweise etwas spießig ist.
Ach, dieses Deutscher Punk ist tot Gelaber ist sowieso völlig bekloppt, nirgendwo in Europa ist Punkrock noch so lebendig wie in Deutschland