laut.de-Biographie
Kaina
Auch wenn Donald Trump es nicht gerne hörte: Migration aus Lateinamerika hat sich in den USA längst bis in den hohen Norden durchgesetzt. In der 'Windy City' Chicago ist der Hispanics-Anteil dennoch recht gering, und Jugendliche, die fürchten müssen, unter den Altersgenossen aufzufallen, flüchten sich da gerne in die Musik. Die stiftet Identität.
Kaina Castillo hat Eltern aus Venezuela und Guatemala. Venezuela verfügt über den Merengue-Rhythmus und Tanz. Kaina wird derweil mit alter kubanischer Musik groß, viel Salsa, die wiederum venezuelanische Merengue-Komponenten mit einschließt.
Ein weiterer Impuls: Stevie Wonder, überhaupt guter alter Motown-Soul. Was die am 22. Januar 1996 geborene Kaina persönlich daraus formt, lässt sich als verträumter R'n'B mit der rhythmischen Eleganz kubanischer Tanzorchester der Sechziger recht 'unique' an.
Zwischen H.E.R., Jessie Reyez, Amber Mark und Jorja Smith nimmt Kaina ihren Platz in einer Generation von R'n'B-Acts ein, die alle nicht mit dem klassischen Album-Format in der Gegenwart aufwachsen, aber trotz anderer Optionen (EP, Mixtape) Spaß am größeren Rahmen haben und ihn ideenreich füllen.
Kaina macht im Wesentlichen alles selbst. Das soll sie früh geübt haben, erinnert sich ihre Mama. Als Kaina mal als Kleinkind eine Puppe geschenkt bekam, habe sie die zur Seite gelegt und lieber auf der Verpackung herum getrommelt. Die erste Schlagzeug-Lektion, autodidaktisch. Heute teilt sich die Komponistin, Texterin, Co-Producerin und Sängerin die Beat-Herstellung mit dem Jazz-Rap-Experten Sen Morimoto. Ein gutes Gespann für die Debüt-LP "Next To The Sun" (2019)! Morimoto mag's verschnörkelt, 'edgy', sucht sich für seine eigenen Mixtapes helle, ätherische Stimmen, die nicht zu dick auftragen und seinen kantigen Grooves nichts wegnehmen. Da liegt er bei Kaina goldrichtig.
Auf ihrem Debüt ist manches gut tanzbar, der Closer des Albums erfrischend Latin-driven, in Neo-Soul-Verpackung. Der Song "Green" weckt Lust auf die Fortsetzung, bildet ein Scharnier zwischen Klassikern der Salsa-Prägung Willie Colóns und heutiger digitaler Angleichung von Produktionen. An Blechbläser- und Keyboard-Samples bedient sich Morimoto fleißig, um viel Seele und Raumtiefe in die elektronisch erzeugte Musik zu holen.
Manchmal lässt Kaina ihm dabei Auslauf, hält sich erst mal mit Text zurück. Wenn es viel zu sagen gibt, läuft der Track halt länger. Hauptsache es bleibt Zeit für atmosphärische Klangkunst. So packen die beiden zum Beispiel im Duett "Could Be A Curse" sechs Minuten voll und überraschen mit einem Switch zwischen Englisch, Spanisch und Japanisch. (Auch Morimoto, japanisch sozialisiert, wohnt in der Metropole des Große Seen-Gebiets.)
Die Eltern Kainas, Maritza und Rene, lernten sich auf der Suche nach guten Clubs in Chicago kennen und hatten dabei viel Spaß, aber nur ein paar Monate lang. "Dann kam ich und ruinierte ihr Leben", scherzt Kaina im Familieninterview des Chicago Reader. In Illinois' Hauptstadt, wo Barack Obama einst als Kanzleipraktikant seine Vorgesetzte Michelle kennen lernte, erarbeitet sich Kaina Castillo bereits als Teenager den Auftrag, nach Washington zu reisen und im Weißen Haus zu tanzen.
Lange nimmt sie Tanzunterricht - zu schüchtern um zu singen, erzählt sie der Lokalzeitung. Sie startet mit neun Jahren, hört mit 16 auf. Bilanz: Die Gruppe, mit der sie Choreographien einstudierte, brachte ihr viele Vorteile ein: "Ich hab das Gefühl, ich hätte leicht ' whitewashed' werden können und würde mich dann völlig an die Leitkultur angeglichen haben. Aber aufgrund dieser Gruppe, hatte ich Unmengen an Gelegenheiten, raus zu kommen aus der Stadt Chicago, und viel zu beobachten."
Sie bringt sich Schreiben bei, als das Tanzen sie langweilt. Mit 18 hat sie ihre erste eigene Band. Loop spielen Funk-Musik. Die Gruppe hält aber nur, solange alle Mitglieder noch aufs gleiche College gehen. Eine kurze Zeitspanne mit Auftritten reicht indes aus, damit Frontfrau Kaina ganz klassisch 'entdeckt' wird. Ein Kontakt entspinnt sich zum Ex-Manager von Noname. Und so ergeben sich weitere Connections.
Während sie ins Musikbusiness hineinwächst, zweifelt sie daran, ob sich der Profitdruck (also aus Aufnahmen Einkünfte generieren zu wollen) mit der künstlerisch-authentischen Emotionalität vertragen würde. Im Zuge weiterer Selbstreflexion stellt Kaina zudem fest, ihre Musik sei zu einseitig fröhlich. Immer happy, das sei "nicht nachhaltig und nicht wahr", meint Kaina im Gespräch mit dem Chicago Reader.
Die folgenden Releases "Apple" – samt knallbuntem Clip mit Puppentheater –, "Anybody Can Be In Love" – quietschbunt mit tanzenden Blumen im Video – und "Casita" unterscheiden sich in den Stimmungen. Doch pflegen sie alle eine übereinstimmend melancholisch-easy-going-ambivalente Note. Fürs zweite Album "It Was A Home" (2022) unterschreibt die Mitt-Zwanzigerin beim Berliner City Slang-Label. Den Job der männlichen Background-Vocals reicht sie für diese LP an ihren bisherigen Label-Chef und Chicagoer Kumpel Nnamdi weiter. Zum Album-Release sind Kaina-Konzerte in Berlin, Hamburg und Köln geplant.
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