laut.de-Kritik

Perfektion, die jegliche Vorstellungskraft sprengt.

Review von

Was war das wieder für ein Geschrei, als Ralf Hütter und Co. die Veröffentlichung von "3D - Der Katalog" ankündigten. Schon wieder keine neuen Songs, bla bla, der alte Mist wieder aufgewärmt, blubb, bläh. Dabei war es nur eine Frage der Zeit, wann die Mensch-Maschine aus Düsseldorf das Konzept ihrer 3D-Konzerte für das heimische Wohnzimmer aufbereiten würde. Was da jetzt aus dem Rheinland in die weite Welt trümmert, sprengt jedoch alles Vorstellbare.

Diese Review befasst sich ausschließlich mit dem dicken Boxset, das alle Kraftwerk-Alben beinhaltet, insgesamt acht an der Zahl, die stets ausgeklammerten Frühwerke nicht inbegriffen. Live aufgenommen an unterschiedlichen Orten, beobachtet man die vier Protagonisten auf der Bühne nicht nur beim statischen Knöpfchendrücken. Essentieller Bestandteil des Pakets sind nämlich die Projektionen, sanfte Übergänge zwischen Live-Bildern und Visuals, die während der Auftritte auf dem großen Screen hinter der Band zu sehen sind.

Man sieht zwar das Publikum, hört es aber nicht, denn der Sound stammt ausschließlich aus den Pulten der Musiker. Das mag mancher kritisieren, ein Best Of-Set mit Zwischenrufern und Gejohle - so unpassend es auch sein mag - bildete bereits die letzte Live-Veröffentlichung "Minimum - Maximum" ab. Zum Sound: Alle Aufnahmen wurden auch für Dolby Atmos abgemischt. Mangels geeigneter Hardware kann ich hier nichts über diesen Aspekt sagen, aber was alleine schon im 5.1 aus den Boxen schallt, klingt verdammt nach Referenz.

Es ist schlicht kaum vorstellbar, dass man die Aufarbeitung für den Heimkino-Genuss noch perfekter in Szene setzen kann. Die Effekte, die einem beim Hören um die Ohren knallen, muss man einfach mal erfahren haben. Die Klarheit des Bildes spottet ebenfalls jeder Beschreibung. Einzig die mangelnde Auflösung der Uralt-Aufnahmen (z.B. "Das Model", "Neonlicht", "Tour De France") fallen auf, machen aber auch einen Teil des Charmes der Filmchen aus. Alle anderen Animationen schwirren, gleiten und surren in 3D durch den Raum, dass es eine wahre Freude ist. Wer bislang nur mit dem Gedanken gespielt hat, sich eine Surround-Anlage zuzulegen, dürfte mit dieser Veröffentlichung ein weiteres gewichtiges Argument an die Hand geliefert bekommen. Der Autor dieser Zeilen spart gerade für ein Atmos-kompatibles Soundsystem.

Wer nicht zu den wenigen gehört, die sämtliche Alben von Kraftwerk bei ihren "12345678"-Events sehen konnte, erhält hier endlich auch die Möglichkeit, alle Songs im neuen Gewand zu bestaunen, die normalerweise nicht im Best Of-Set enthalten sind. Schön: "Antenna". Das im Original doch etwas arg nach Vergangenheit klingende Stück erfährt in dieser Version ein Rundum-Update, wie es famoser kaum ausfallen könnte. Ebenfalls in diese Kategorie fällt "Ätherwellen". Da schiebt und pumpt es in einem Fort. Noch ältere Sachen wie die "Kometenmelodie" oder der "Morgenspaziergang" bekamen ebenfalls eine tadellose Modernisierung, mit Projektionen, die sich zwar am alten Artwork orientieren, aber dennoch zeitlosen Charakter besitzen.

Eine Umsetzung der Alben eins zu eins findet auch nicht statt. Wer denkt, er bekommt hier jede Note der Original-Alben in einer Live-Fassung, wird enttäuscht. "Autobahn" zum Beispiel ist aufgrund des gestrafften Titelstücks nicht einmal eine halbe Stunde lang. Störend? Nicht im Geringsten. Die Tracklisten sind ebenfalls zum Teil umgestellt. Einige Alben folgen einer anderen Dramaturgie, "The Mix" erhält als Bonus sogar noch "Planet Der Visionen" verpasst, das auf keinem regulären Studioalbum vertreten ist.

Quasi als Bonus liegt dem Dickschiff, das gefühlt fünf Kilogramm wiegt, auch noch ein hübsches Fotobuch im hochwertigen Einband bei, in dem viele Bilder der Bühnen-Visuals zu sehen sind, aber keines der realen Musiker. Die Entpersonalisierung der Musiker von ihren Gesamtkunstwerk schreitet also weiter voran. Hütter, Hilpert, Schmitz und Griefenhagen tauchen lediglich in Gestalt ihrer Roboter-Ebenbilder auf.

Mit "3D - Der Katalog" gelingt Kraftwerk die Quadratur des Kreises. Sie überführen ihre Klassiker in den dritten Raum. Wer hier noch den Original-Aufnahmen hinterher flennt, dem ist nicht mehr zu helfen.

Trackliste

  1. 1. Autobahn
  2. 2. Radioaktivität
  3. 3. Trans Europa Express
  4. 4. Die Mensch-Maschine
  5. 5. Computerwelt
  6. 6. Techno Pop
  7. 7. The Mix
  8. 8. Tour De France

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6 Kommentare mit 3 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Die Video-Version kenne ich (noch) nicht. Vom reinen Audiomaterial bin ich als langjähriger Kraftwerk-Bewunderer aber nicht wirklich begeistert. Die Stücke klingen leider teils richtig billig, Tribute-Band-artig. Sogar solche, die eigentlich schon auf "The Mix" oder "Minimum Maximum" ziemlich gut modernisiert vorlagen. Ob das der fehlende Einfluss von Herrn Schneider ist? Mir kam es immer so vor, als wäre Hütter der Fachmann für Melodien und Schneider der Fachmann für Technik. Das scheint sich mir hier zu bestätigen.

    • Vor 7 Jahren

      Ich kann den Enthusiasmus als Besitzer der CD-Box ebenfalls nicht teilen. Natürlich ist der Klang stellenweise auf Referenzniveau, ich empfinde manche Versionen jedoch weniger spektakulär als auf "Minimum-Maximum" (z.B. "Radioaktivität" oder "Die Roboter"). Der Klang war schon bei "12345678 Der Katalog" sensationell und noch dazu handelt es sich da wenigstens um die vollständigen Albumversionen. Wer diese Box also bereits sein Eigen nennt und nebenbei die "Minimum-Maximum" im Regal stehen hat, für den ist die Anschaffung der neuen Box meines Erachtens überflüssig. Killerargument für mich auch: Letztere punktet mit echter Liveatmosphäre im Gegensatz zu den doch sehr sterilen aktuellen Versionen.

    • Vor 7 Jahren

      Vor allem, wer gewisse Livekonzerte und -Versionen der 3-D Jahre mitbekommen hat, beispielsweise die übermächtige Version der "Robots" 2013 in Montreux, dürfte anhand des hier gebotenen (im Falle der Robots z.b. die Piepsstimme-Playback-Version anstelle einer live vocoderten mit random Blastbeats vom Fritz) mehr an einen Schritt zurück denken als an vollendete Perfektion.

    • Vor 7 Jahren

      So richtig ragt für mich nur "Radioaktivität" auf Japanisch heraus. So wollte ich mir die CD's mit den ursprünglichen Covern eher auf Plattenbörsen und Flohmärkten zusammensammeln, statt jetzt auf den Katalog oder gar 3D zurückzugreifen.

  • Vor 7 Jahren

    Eines muss man den Kraftwerkern aber lassen: Wenn schon eine Special-Edition-Supersonic-Box veröffentlicht wird, enthält sie wenigstens Musikmaterial welches bisher nicht erhältlich war. So wird der zur Kasse gebetene Dauerfan wenigstens nicht zu sehr veräppelt wie bei manch anderen "Kultbands" die ihre limitierten Boxen mit ach so tollen Postern, Postkarten und was weiß ich noch auffüllen.

  • Vor 7 Jahren

    Werde bei Zeit mal reinhoeren, bin auf die neuen Versionen gespannt, fand ja Minimum Maximum schon genial. Aber Kraftwerk sollten mal ihre Englischen Versionen mit Single Versionen, B Seiten und Remixen veröffentlichen. Wird langsam mal Zeit. Wahrscheinlich heben die sich das fürs nächste Boxset in 2024 auf. Weiß einer warum Hütter das seit Jahren nicht veröffentlichen lässt?

  • Vor 7 Jahren

    Die sollen sich endlich mal ein Herz nehmen und die Vorgänger von Autobahn neu rausbringen. Vor allem Ralf & Florian ist ein absolutes Meisterwerk!

  • Vor 6 Jahren

    Kraftwerk sind für mich die absoluten Pioniere der elektronischen Musik. Und wie mein Kumpel Udo Schobris immer sagt, - und damit Grüße nach Bernau - Kraftwerk schafft es durch einzigartige Soundbausteine ein völlig neues Universum in deinem Kopf anzulegen. Dem kann ich auch im Bezug auf das neue Album nur zustimmen.

  • Vor 6 Jahren

    Kraftwerk sind für mich die absoluten Pioniere der elektronischen Musik. Und wie mein Kumpel Udo Schobris immer sagt, - und damit Grüße nach Bernau - Kraftwerk schafft es durch einzigartige Soundbausteine ein völlig neues Universum in deinem Kopf anzulegen. Dem kann ich auch im Bezug auf das neue Album nur zustimmen.